Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Erster Teil. Gustav Schwab
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СКАЧАТЬ Flöte, die ein Bergtal durchhallt. Dann

       kauerte es sich zu den Füßen der schönen Fürstin nieder, blickte sie sehnsüchtig an, wandte ihr den

       Nacken zu und zeigte ihr den breiten Rücken. Da sprach Europa zu ihren Freundinnen, den

       Jungfrauen: »Kommt doch auch näher, liebe Gespielinnen, daß wir uns auf den Rücken dieses

       schönen Stieres setzen und unsere Lust haben; ich glaube, er könnte unserer viere aufnehmen und

       beherbergen. Er ist so zahm und sanftmütig anzuschauen, so holdselig; er gleicht gar nicht anderen

       Stieren; wahrhaftig, er hat Verstand wie ein Mensch, und es fehlt ihm gar nichts als die Rede!« Mit

       diesen Worten nahm sie ihren Gespielinnen die Kränze, einen nach dem andern, aus den Händen und

       behängte damit die gesenkten Hörner des Stieres, dann schwang sie sich lächelnd auf seinen Rücken,

       während ihre Freundinnen zaudernd und unschlüssig zusahen.

       Der Stier aber, als er die geraubt, die er gewollt hatte, sprang vom Boden auf. Anfangs ging er ganz

       sachte mit der Jungfrau davon, doch so, daß ihre Genossinnen nicht gleichen Schritt mit seinem

       Gange halten konnten. Als er die Wiesen im Rücken und den kahlen Strand vor sich hatte,

       verdoppelte er seinen Lauf und glich nun nicht mehr einem trabenden Stiere, sondern einem

       fliegenden Roß. Und ehe sich Europa besinnen konnte, war er mit einem Satz ins Meer gesprungen

       und schwamm mit seiner Beute dahin. Die Jungfrau hielt mit der Rechten eins seiner Hörner

       umklammert, mit der Linken stützte sie sich auf den Rücken; in ihre Gewänder blies der Wind wie ein

       Segel; ängstlich blickte sie nach dem verlassenen Lande zurück und rief umsonst den Gespielinnen;

       das Wasser umwallte den segelnden Stier, und seine hüpfenden Wellen scheuend, zog sie furchtsam

       die Fersen hinauf Aber das Tier schwamm dahin wie ein Schiff; bald war das Ufer verschwunden, die

       Sonne untergegangen, und im Helldunkel der Nacht sah die unglückliche Jungfrau nichts um sich her

       als Wogen und Gestirne. So ging es fort, auch als der Morgen kam; den ganzen Tag schwamm sie auf

       dem Tiere durch die unendliche Flut dahin; doch wußte dieses so geschickt die Wellen zu

       durchschneiden, daß kein Tropfen seine geliebte Beute benetzte. Endlich gegen Abend erreichten sie

       ein fernes Ufer. Der Stier schwang sich ans Land, ließ die Jungfrau unter einem gewölbten Baume

       sanft vom Rücken gleiten und verschwand vor ihren Blicken. An seine Stelle trat ein herrlicher,

       göttergleicher Mann, der ihr erklärte, daß er der Beherrscher der Insel Kreta sei und sie schützen

       werde, wenn er durch ihren Besitz beglückt würde. Europa in ihrer trostlosen Verlassenheit reichte

       ihm ihre Hand als Zeichen der Einwilligung; und Zeus hatte das Ziel seiner Wünsche erreicht.

       Aus langer Betäubung erwachte Europa, als schon die Morgensonne am Himmel stand. Sie fand sich

       einsam, sah mit verirrten Blicken um sich her, als wollte sie die Heimat suchen. »Vater, Vater!« rief

       sie mit durchdringendem Wehelaut, besann sich eine Weile und rief wieder: »Ich verworfene

       Tochter, wie darf ich den Vaternamen nur aussprechen? Welcher Wahnsinn hat mich die Kindesliebe

       vergessen lassen!« Dann sah sie wieder, wie sich besinnend, umher und fragte sich selbst: »Woher,

       wohin bin ich gekommen? ‐ Zu leicht ist ein Tod für die Schuld der Jungfrau! Aber wache ich denn

       auch und beweine einen wirklichen Schimpf? Nein, ich bin gewiß unschuldig an allem, und es neckt

       meinen Geist nur ein nichtiges Traumbild, das der Morgenschlaf wieder entführen wird! Wie wäre es

       auch möglich, daß ich mich hätte entschließen können, lieber auf dem Rücken eines Untieres durch

       unendliche Fluten zu schwimmen, als in holder Sicherheit frische Blumen zu pflücken!« ‐ So sprach

       sie und fuhr mit der flachen Hand über die Augenlider, als wollte sie den verhaßten Traum

       verwischen. Als sie aber um sich blickte, blieben die fremden Gegenstände unverrückt vor ihren

       Augen; unbekannte Bäume und Felsen umgaben sie, und eine unheimliche Meeresflut schäumte, an

       starren Klippen sich brechend, empor am niegeschauten Gestade. »Ach, wer mir jetzt den Stier

       auslieferte«, rief sie verzweifelnd, »wie wollte ich ihn zerfleischen; nicht ruhen wollte ich, bis ich die

       Hörner des Ungeheuers zerbrochen, das mir jüngst noch so liebenswürdig erschien! Eitler Wunsch!

       Nachdem ich schamlos die Heimat verlassen, was bleibt mir übrig als zu sterben? Wenn mich nicht

       alle Götter verlassen haben, so sendet mir, ihr Himmlischen, einen Löwen, einen Tiger! Vielleicht

       reizt sie die Fülle meiner Schönheit, und ich muß nicht warten, bis der entsetzliche Hunger an diesen

       blühenden Wangen zehrt!« Aber kein wildes Tier erschien; lächelnd und friedlich lag die fremde

       Gegend vor ihr, und vom unumwölkten Himmel leuchtete die Sonne. Wie von Furien bestürmt,

       sprang die verlassene Jungfrau auf »Elende Europa«, rief sie, »hörst du nicht die Stimme deines

       abwesenden Vaters, der dich verflucht, wenn du deinem schimpflichen Leben nicht ein Ende machst!

       Zeigt er dir nicht jene Esche, an welche du dich mit deinem Gürtel aufhängen kannst? Deutet er nicht

       hin auf jenes spitze Felsgestein, von welchem herab dich ein Sprung in den Sturm der Meeresflut

       begraben wird? Oder willst du lieber einem Barbarenfürsten als Nebenweib dienen und als Sklavin

       von Tag zu Tag die zugeteilte Wolle abspannen, du, eines hohen Königes Tochter?« So quälte sich das

       unglückliche verlassene Mädchen mit Todesgedanken und fühlte doch nicht den Mut in sich, zu

       sterben. Da vernahm sie plötzlich ein heimliches spottendes Flüstern hinter sich, glaubte sich

       belauscht und blickte erschrocken rückwärts. In überirdischem Glanze sah sie da die Göttin Aphrodite

       vor sich stehen, ihren kleinen Sohn, den Liebesgott, mit gesenktem Bogen zur Seite. Noch schwebte

       ein Lächeln auf den Lippen der Göttin, dann sprach sie: »Laß deinen СКАЧАТЬ