Die Waffen nieder. Bertha von Suttner
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Название: Die Waffen nieder

Автор: Bertha von Suttner

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

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isbn: 9783966512114

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СКАЧАТЬ Tante,« sagte ich laut, um diese in meinen Geist sich kreuzenden Widersprüche abzubrechen, »ja, wir wollen fleißig beten und Gott wird uns erhören: Arno bleibt unversehrt.«

      »Siehst du, siehst du, Kind, wie in schweren Stunden die Seele doch zu der Religion flüchtet ... Vielleicht schickt dir der liebe Gott die Prüfung, damit du deine sonstige Lauheit ablegst.«

      Das wollte mir wieder nicht recht einleuchten, daß die ganze, noch aus dem Krimkriege herstammende Verstimmung zwischen Österreich und Sardinien, die ganzen Verhandlungen, die Aufstellung des Ultimatums und die Ablehnung desselben nur von Gott veranstaltet worden wären um meinen lauen Sinn zu erwärmen.

      Aber auch diesen Zweifel auszudrücken wäre unanständig gewesen. Sobald jemand den »lieben Gott« in den Mund genommen, gibt das dem daran geknüpften Ausspruch eine gewisse salbungsvolle Immunität. Was die vorgeworfene Lauheit anbelangt, so hatte dieser Vorwurf einige Begründung. Tante Marias Religiosität kam aus tiefstem Herzen, während ich mehr äußerlich fromm war. Mein Vater war in dieser Beziehung völlig indifferent, ebenso mein Gatte, also hatte ich weder von dem einen noch dem anderen Anregung zu besonderem Glaubenseifer erhalten. Mich in die kirchlichen Lehren mit Begeisterung zu vertiefen, hatte ich auch niemals vermocht, da ich dieselben überhaupt nur mit Anwendung des »Nichtdarübernachdenken« Prinzips unangefochten lassen konnte. Ich ging wohl allsonntäglich zur Messe und alljährlich zur Beichte; auch war ich bei diesen Zeremonien voll Ehrfurcht und Andacht; aber das ganze war doch mehr oder minder eine Art standesmäßiger Etikettenbeobachtung; ich erfüllte die religiösen Anstandspflichten mit derselben Korrektheit, wie ich auf dem Kammerball die Figuren der Lanciers ausführte und die Hofreverenz machte, wenn die Kaiserin den Saal betrat. Unser Schloßkaplan in Niederösterreich und der Nuntius in Wien konnten mir nichts vorwerfen, aber die von der Tante vorgebrachte Beschuldigung war wohl berechtigt.

      »Ja, mein Kind,« fuhr sie fort, »im Glück und im Wohlsein vergessen die Leute leicht ihren Heiland – wenn aber Krankheit oder Todesgefahr über uns und, mehr noch, über unsere Lieben hereinbricht, wenn wir niedergeschlagen und in Kümmernis sind –«

      In diesem Tone wäre es noch lange fortgegangen, aber da wurde die Türe aufgerissen und mein Vater stürzte herein:

      »Hurra, jetzt geht's los!« lautete seine Begrüßung. »Sie wollen Prügel haben, die Katzelmacher? So sollen sie Prügel haben – sollen sie haben!«

      Das war nun eine aufgeregte Zeit. Der Krieg ist ausgebrochen. Man vergißt, daß es zwei Haufen Menschen sind, die miteinander raufen gehen, und faßt das Ereignis so auf, als wäre es ein erhabenes, waltendes Drittes, dessen »Ausbruch« die beiden Haufen zum Raufen zwingt. Die ganze Verantwortung fällt auf diese außerhalb des Einzelwillens liegende Macht, welche ihrerseits nur die Erfüllung der bestimmten Völkerschicksale herbeigeführt. Das ist so die dunkle und ehrfürchtige Auffassung, welche die meisten Menschen vom Kriege haben und welche auch die meine war. Von einer Revolte meines Gefühls gegen das Kriegführen überhaupt war keine Rede; nur darunter litt ich, daß mein geliebter Mann hinauszuziehen hätte in die Gefahr, und ich in Einsamkeit und Bangen zurückzubleiben. Ich kramte alle meine alten Eindrücke aus der Zeit der Geschichtsstudien hervor, um mich an dem Bewußtsein zu stärken und zu begeistern, daß die höchste Menschenpflicht es war, die meinen Teuren abberief, und daß ihm hierdurch die Möglichkeit geboten würde, sich mit Ruhm und Ehren zu bedecken. Jetzt lebte ich ja mitten drin in einer Geschichtsepoche: das war auch ein eigentümlich erhebender Gedanke. Weil von Herodot und Tacitus an bis zu den modernen Historikern herab die Kriege stets als die wichtigsten und folgenschwersten Ereignisse dargestellt worden, so meinte ich, daß auch gegenwärtig ein solches – künftigen Geschichtsschreibern als Abschnittsüberschrift dienendes Weltereignis im Gange war.

      Diese gehobene, wichtigkeitsüberströmende Stimmung war übrigens die allgemein herrschende. Man sprach von nichts anderem in den Salons und auf den Gassen; las von nichts anderem in den Zeitungen, betete für nichts anderes in den Kirchen: wo man hinkam, überall dieselben aufgeregten Gesichter und die gleichen lebhaften Besprechungen der Kriegseventualitäten. Alles übrige, was sonst das Interesse der Leute wach hält: Theater, Geschäfte, Kunst – das wurde jetzt als ganz nebensächlich betrachtet. Es war einem zu Mute, als hätte man gar kein Recht, an etwas anderes zu denken, während dieser große Weltschicksalsauftritt sich abspielte. Und die verschiedenen Armeebefehle mit den bekannten siegesbewußten und ruhmverheißenden Phrasen; und die unter klingendem Spiel und wehenden Standarten abmarschierenden Truppen; und die in loyalstem und patriotisch glühendstem Tone gehauenen Leitartikel und öffentlichen Reden; dieser ewige Appell an Tugend, Ehre, Pflicht, Mut, Aufopferung; diese sich gegenseitig gemachten Versicherungen, daß man die bekannt unüberwindlichste, tapferste, zu hoher Machtausdehnung bestimmte, beste und edelste Nation sei! alles dies verbreitet eine heroische Atmosphäre, welche die ganze Bevölkerung mit Stolz erfüllt und in jedem einzelnen die Meinung hervorruft, er sei ein großer Bürger einer großen Zeit.

      Schlechte Eigenschaften, als da sind: Eroberungsgier, Rauflust, Haß, Grausamkeit, Tücke – werden wohl auch als vorhanden und als im Kriege sich offenbarend zugegeben, aber allemal nur beim »Feind«. Dessen Schlechtigkeit liegt am Tage. Ganz abgesehen von der politischen Unvermeidlichkeit des eben unternommenen Feldzuges, sowie abgesehen von den daraus unzweifelhaft erwachsenden patriotischen Vorteilen, ist die Besiegung des Gegners ein moralisches Werk, eine vom Genius der Kultur ausgeführte Züchtigung ... Diese Italiener – welches faule, falsche, sinnliche, leichtsinnige, eitle Volk! Und dieser Louis Napoleon – welcher Ausbund von Ehrsucht und Intrigengeist! Als sein am 29. April publiziertes Kriegsmanifest erschien, mit dem Motto: »Freies Italien bis zum Adriatischen Meer« – rief das einen Sturm der Entrüstung bei uns hervor! Ich erlaubte mir eine schwache Bemerkung, daß dies eigentlich eine uneigennützige und schöne Idee sei, welche für italienische Patrioten begeisternd wirken müsse; aber ich ward schnell zum Schweigen gebracht. An dem Dogma »Louis Napoleon ist ein Bösewicht«, durfte, solange er »der Feind« war, nicht gerüttelt werden; alles, was von ihm ausging, war von vornherein »bösewichterisch«. Noch ein leiser Zweifel stieg in mir auf. In allen geschichtlichen Kriegsberichten hatte ich die Sympathie und die Bewunderung der Erzähler immer für diejenige Partei ausgedrückt gefunden, welche einem fremden Joche sich entringen wollte und welche für die Freiheit kämpfte. Zwar wußte ich mir weder über den Begriff »Joch« noch über den so überschwenglich besungenen Begriff »Freiheit« einen rechten Bescheid zu geben, aber so viel schien mir doch klar: die Jochabschüttelungs- und Freiheitsbestrebung lag diesmal nicht auf österreichischer, sondern auf italienischer Seite. Aber auch für diese schüchtern gedachten und noch schüchterner ausgedrückten Skrupel wurde ich niedergedonnert. Da hatte ich Unselige wieder an einem sakrosankten Grundsatz gerührt, nämlich daß unsere Regierung – d. h. diejenige, unter welcher man zufällig geboren worden – niemals ein Joch, sondern nur einen Segen abgeben könne; daß die von »uns« sich losreißen Wollenden nicht Freiheitskämpen, sondern einfach Rebellen sind, und daß überhaupt und unter allen Umständen »wir« allemal und überall in unserem vollen Rechte sind.

      In den ersten Maitagen – es waren kalte, regnerische Tage zum Glück; sonniges, lenzfrohes Wetter hätte einen noch schmerzlicheren Kontrast bewirkt – marschierte das Regiment ab, welchem Arno sich hatte zuteilen lassen. Um sieben Uhr früh ... ach, die vorhergehende Nacht ... war das eine fürchterliche Nacht! Wäre der Teure auch nur auf eine gefahrlose Geschäftsreise gegangen, die Trennung hätte mich unsäglich traurig gemacht – Scheiden tut ja so weh – aber in den Krieg! Dem Feuerregen der feindlichen Geschütze entgegen! ... Warum konnte ich in jener Nacht bei dem Worte Krieg durchaus nicht mehr dessen erhabene, historische Bedeutung erfassen, sondern nur sein toddrohendes Grausen?

      Arno war eingeschlafen. Ruhig atmend, mit heiterem Gesichtsausdruck lag er da. Ich hatte eine frische Kerze angezündet und hinter einen Schirm gestellt: ich konnte heute nicht im Finstern bleiben. Vom Schlafen war ja für mich ohnehin keine Rede – in dieser letzten Nacht. Da mußte ich ihm wenigstens die ganze Zeit ins liebe Gesicht schauen. In einen Schlafrock gehüllt, lag ich auf unserem Bette; СКАЧАТЬ