Название: Sinclair Lewis: Die großen Romane
Автор: Sinclair Lewis
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4066338121196
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Bei der Witwe Bogart wohnte Fern Mullins, ein Mädchen von zweiundzwanzig Jahren, das im kommenden Schuljahr Englisch-, Französisch- und Turnunterricht geben sollte. Fern Mullins war schon früher hergekommen, um dem Sechswochen-Kurs für Landlehrer beizuwohnen. Carola hatte sie auf der Straße gesehen und über sie fast ebensoviel gehört wie über Erik Valborg. Die neue Lehrerin war schlank, fast etwas dürftig, hübsch und unverbesserlich salopp. »Sie sieht aus, wie 'n ganz leichtfertiges Ding«, sagten alle Frau Sam Clarks mißbilligend und alle Juanita Haydocks neidvoll.
An diesem Sonntagnachmittag saßen die Kennicotts in breiten Liegestühlen neben dem Haus und sahen Fern mit Cy Bogart lachen, der wohl noch in der Hochschule, aber schon ein ganzer Mannskerl war, nur zwei oder drei Jahre jünger als Fern. Cy mußte wegen wichtiger Angelegenheiten, die mit dem Billardzimmer zu tun hatten, in die Stadt. Fern saß wieder niedergeschlagen auf ihrer Veranda, das Kinn in die Hand gestützt.
»Sie sieht 'n bißchen einsam aus«, sagte Kennicott.
»Wirklich, das arme Ding. Ich denke, ich geh' hinüber und unterhalt' mich ein bißchen mit ihr. Ich hab' sie bei Dave kennengelernt, aber noch nicht besucht.« Carola glitt über den Rasen, eine weiße Gestalt in der Dämmerung, über das tauige Gras huschend. Erik fiel ihr ein, sie dachte daran, daß sie nasse Füße bekam, ihr Gruß klang uninteressiert: »Hallo! Der Doktor und ich haben gemeint, Sie fühlen sich vielleicht einsam.«
Verdrießlich: »Das bin ich auch!«
Carola wurde wärmer. »Meine Liebe, man hört's Ihnen auch an! Ich weiß, wie das ist. Ich war auch immer müde, wie ich noch in Stellung war – ich war Bibliothekarin. In welchem College waren Sie? Ich war im Blodgett.«
»Ich war an der Universität von Minnesota.« Dann etwas interessierter: »Wo waren Sie Bibliothekarin?«
»In St. Paul – an der Hauptbibliothek … Haben Sie im College einen Theaterverein gehabt? Ich hab' hier mal versucht, etwas mit einer Kleinbühne zu machen. Es war schauderhaft. Davon muß ich Ihnen erzählen –«
Als Kennicott zwei Stunden später über den Rasen kam, Fern begrüßte und gähnte: »Hör mal, Carrie, meinst du nicht, wir sollten ans Schlafengehen denken? Ich hab' morgen 'nen ziemlich schweren Tag«, sprachen die beiden so eifrig, daß sie einander beständig unterbrachen.
Als Carola zum Haus hinüberging, vom Gatten geleitet, die Röcke zierlich geschürzt, jubelte es in ihr: »Alles ist anders geworden! Ich habe zwei Freunde, Fern und – Aber wer ist denn der andere? Das ist komisch; ich dachte, es wäre noch – Ach, wie abgeschmackt!«
5
Sie begegnete Erik Valborg oft auf der Straße; die braune Wolljacke war kein ungewöhnlicher Anblick mehr. Als sie einmal am frühen Abend mit Kennicott Automobil fuhr, sah sie ihn am Seeufer; er las in einem dünnen Buch, das ein Bändchen Lyrik zu sein schien. Es fiel ihr auf, daß er der einzige Mensch in dieser automobilisierten Stadt war, der noch lange Spaziergänge machte.
Sie sagte sich, sie sei die Tochter eines Richters, die Frau eines Arztes, und es liege ihr nichts daran, einen exzentrischen Schneider kennenzulernen. Sie sagte sich, sie reagiere nicht auf Männer … nicht einmal auf Percy Bresnahan. Sie sagte sich, daß eine Frau von dreißig Jahren, die sich mit einem fünfundzwanzig jährigen Jungen beschäftige, lächerlich sei. Und am Freitag, als sie sich eingeredet hatte, der Gang sei notwendig, begab sie sich in Nat Hicks' Werkstatt, höchst unromantisch ein Paar Hosen ihres Mannes über dem Arm. Hicks war im Hinterraum. Sie erblickte den griechischen Gott, der in einem Zimmer mit verschmierten weißgetünchten Wänden ein wenig ungöttlich an der Nähmaschine saß und an einem Rock arbeitete.
Sie sah, daß seine Hände nicht gerade zu einem hellenischen Antlitz paßten. Sie waren dick, schwielig von Nadel, Bügeleisen und Pflugsterz. Aber sogar in der Werkstatt ließ er nicht von seinem Putz. Er hatte ein Seidenhemd an, eine topasbraune Krawatte, leichte braune Schuhe.
Das alles bemerkte sie, während sie kurz fragte: »Kann ich die Hosen gebügelt bekommen, bitte?«
Ohne von der Nähmaschine aufzusehen, streckte er die Hand aus und murmelte: »Wann brauchen Sie sie?«
»Ach, Montag.«
Das Abenteuer war vorüber. Sie ging hinaus.
»Auf welchen Namen?« rief er ihr nach.
Er war aufgesprungen, und obgleich die zerdruckten Hosen Dr. Will Kennicotts ein wenig komisch aussahen, hatte er eine gewisse Anmut.
»Kennicott.«
»Kennicott. Oh! Oh, sagen Sie, Sie sind also Frau Doktor Kennicott, nicht wahr?«
»Ja.« Sie stand an der Tür. Jetzt, da sie ihrem absonderlichen Impuls nachgegeben und sich davon überzeugt hatte, wie er aussah, war sie kühl, war sie ebenso bereit wie das tugendhafte Fräulein Ella Stowbody, Vertraulichkeiten abzulehnen.
»Ich hab' von Ihnen gehört. Myrtle Cass hat mir erzählt, daß Sie einen Theaterverein eingerichtet und eine blendende Aufführung gemacht haben. Ich hab' mir immer schon eine Gelegenheit gewünscht, zu einer kleinen Bühne zu gehören und gute Stücke zu spielen.«
Carola nickte, so wie eine große Dame, die nett zu kleinen Leuten sein will, und etwas in ihr höhnte: »Ja, unser Erik ist wirklich ein verirrter John Keats.«
Er flehte: »Glauben Sie, es könnte möglich sein, im nächsten Herbst wieder einen Theaterverein zusammenzubekommen?«
»Na, das könnte man sich überlegen.« Sie verzichtete auf ihre verschiedenen einander bekämpfenden Posen und sagte einfach: »Wir haben eine neue Lehrerin da, Fräulein Mullins, die hat vielleicht ein bißchen Talent. Damit wären wir schon drei für den Anfang. Wenn wir ein halbes Dutzend aufbringen können, sind wir vielleicht imstande, eine anständige Aufführung mit kleiner Besetzung zustande zu bringen. Haben Sie schon etwas Erfahrung?«
»Ach, nur von einem dummen Klub, den wir in Minneapolis gegründet haben, wie ich dort auf Arbeit war. Aber einen guten Mann hatten wir, einen Innenarchitekten – vielleicht war er 'n bißchen weibisch und verweichlicht, aber er war wirklich ein Künstler, und wir haben 'ne blendende Vorstellung gegeben. Aber ich – Ich hab' eben immer hart arbeiten und immer ganz allein lernen müssen, und wahrscheinlich bin ich schlampig, und ich würd' mich so freuen, wenn ich beim Probieren was lernen könnte – ich meine, je besessener der Regisseur wäre, desto lieber wär' mir's. Wenn Sie mich nicht als Schauspieler brauchen können, würde ich gern die Kostüme entwerfen. Ich bin ganz verrückt mit Stoffen – mit Material und Farben und Mustern.«
Sie wußte, daß er sie aufhalten wollte, zeigen wollte, daß er etwas mehr sei als ein Mensch, dem man Hosen zum Bügeln bringt. Er redete weiter:
»Hoffentlich komm' ich einmal los von dieser dummen Flickarbeit, wenn ich genug Geld gespart hab'. Ich möcht' in den Osten gehen, für einen großen Damenschneider arbeiten und zeichnen lernen und Muster entwerfen. Oder glauben Sie, daß das ein zu verstiegener Ehrgeiz ist? Ich bin auf 'ner Farm aufgewachsen. Und dann mit Seide rumspielen! Ich weiß nicht. Was meinen Sie? Myrtle Cass sagt, Sie sind schrecklich gebildet.«
»Ja. Schrecklich. Sagen Sie: hat man sich über Ihren Ehrgeiz lustig gemacht?«
Sie war siebzig Jahre alt, geschlechtslos und noch mehr »Beraterin« als Vida Sherwin.
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