Название: Sinclair Lewis: Die großen Romane
Автор: Sinclair Lewis
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4066338121196
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Während Sharon sprach, schätzte sie diese neue Auswahl Geistlicher ab: die Verschrobenen, die eigensinnigen männlichen alten Jungfern, die reklamemachenden, betriebsamen Demagogen, die ganz gewöhnlichen Kanzelbeamten, die schwankenden jungen Liberalen; die wahrhaften Mystiker, die freundlichen Väter ihrer Herden, die Freunde der Rechtschaffenheit. Den sympathischesten erwählte sie zu ihrem Advokaten, und an ihn richtete sie den Schluß ihrer Ansprache:
»Wollen Sie mich ruinieren, so daß ich nie wieder imstande bin, den verzweifelten Seelen, die überall auf mich warten, nach meiner Hilfe rufen, die Botschaft, das Heil zu bringen? Haben Sie diese Absicht – Sie, die Erwählten, die Menschen, die auserlesen sind dazu, mir im Dienst unseres lieben Herrn Jesus zu helfen? Ist das Ihre Absicht? Ist sie das? Ist sie das?«
Sie begann zu schluchzen, und das war das Signal für Elmer, aufzuspringen und eine wunderbare neue Idee zu haben.
Er wüßte, sagte Elmer, daß die lieben Brüder und Schwestern diese Absicht nicht hätten. Sie wünschten nur praktisch zu sein. Nun, wäre es nicht ein guter Gedanke, daß der Ausschuß zu den wohlhabenden Kirchenmitgliedern gehen und ihnen diese beispiellose Situation auseinandersetzten sollte; ihnen sagen, es sei das Werk des Herrn, und, ganz abgesehen von den außer Frage stehenden geistlichen Vorteilen, die Wiedererweckungsversammlung würde so viel Gutes tun, daß die Verbrechen aufhören und, infolgedessen die Steuern sich vermindern würden; die Arbeiter würden sich von der Agitation ab- und höheren Dingen zuwenden, zum selben Lohn besser arbeiten. Wenn sie von den Reichen genügende Sicherheit für die laufenden Ausgaben hätten, würden diese nicht den Meetings zur Last fallen, und die Leute könnten mit Leichtigkeit dazu gebracht werden, für das »Dankopfer« am Schluß zu sparen; brauchten nicht gequält zu werden, mehr als Kleingeld bei den allabendlichen Sammlungen herzugeben.
Noch andere Widerwärtigkeiten waren mit dem Ortsausschuß zu besprechen. Warum, pflegte Elmer zu fragen, hätten sie nicht für genügend Ankleideräume im Bethaus gesorgt? Schwester Falconer brauche Abgeschiedenheit, öfters habe sie kurz vor dem Meeting wichtige Besprechungen mit ihm abzuhalten. Warum hätten sie nicht mehr freiwillige Platzanweiser geliefert? Er müsse sie sofort haben, um sie einzuüben, denn die Platzanweiser seien es, die, richtig eingepaukt, kämpfenden Seelen den Weg zum Altar leichter machten, wo die erfahrenen Fachleute dann das ihre tun könnten.
Hätten sie daran gedacht, große Delegationen von der Ortsindustrie einzuladen – von der Smith Brothers Saucenfabrik, von den Stellmachereien, vom Packhof? O ja, sie müßten daran denken, diese Institute aufzurütteln; jedem einzelnen von diesen würde ein Abend gewidmet werden, die Vertreter würden beieinander sitzen und sich beim Singen ihrer Lieblingslieder sehr wohl fühlen.
Jetzt war der Ortsausschuß bereits ein wenig benebelt und gestand alles zu; er sah fast überzeugt aus, wenn Sharon heiter schloß:
»Sie alle müssen einem Zeit- und Geldopfer während dieser Meetings entgegensehen, und zwar freudig entgegensehen. Wir sind zu einem großen Opfer hergekommen und zu nichts anderem da, als um Ihnen zu helfen.«
4
Die Nachmittags- und Abendpredigten – das waren die Höhepunkte der Meetings, wenn Sharon laut, mit ausgestreckten Armen, rief: »Freilich ist der Herr an diesem Ort, und ich wußte es nicht«, »All unsere Rechtschaffenheit ist wie schmutzige Lumpen«, »Wir haben gesündigt und gehen der Herrlichkeit Gottes verlustig«, »Oh, daß der Mensch sich in mir erhebt, daß der Mensch, der ich bin, aufhören möchte zu sein«, »Macht eure Rechnung mit Gott« und »Ich schäme mich nicht des Evangeliums Christi, denn es ist die Kraft Gottes zum Heile«.
Aber schon bevor diese garantierten Anrufungen sündige Herzen erreichen konnten, hieß es die Gefühlsbewegungen des Publikums vorbereiten, und zu diesem Zweck war viel zu erledigen, bevor Sharon mit ihrer Redekunst in Aktion trat, ebenso, wie Garderoben, Coulissenschieber und Eintrittskassen vor der Wahnsinnsszene der Lady Macbeth ihre Arbeit tun müssen. Ein großer Teil dieser Vorbereitungen gehörte zu Elmers Obliegenheiten.
Sobald Sharon ihn eingeübt hatte, nahm er sich der »persönlichen Arbeit« an. Die Mädchen überließ er der Direktrice für persönliche Arbeit, einer jungen Frau, die gern tanzte und eine Schwäche für Glasschmuck hatte, es aber trefflich verstand, den Bekenntnissen alter Jungfern zu lauschen. Seine Arbeiter waren Bankkassengehilfen, Buchhalter von Kolonialwarengeschäften, Kommis aus Schuhläden, Handfertigkeitslehrer. Sie nahmen sich Läden, Lagerhäuser und Fabriken vor und hielten in Bureaux Mittagsandachten ab, bei denen sie erklärten, auch die allergrößte Fertigkeit im Stenographieren bewahre einen nicht vor der Wahrscheinlichkeit der Hölle. Elmer erklärte nämlich, die Bekehrungsaussichten seien größer, wenn die Leute in gehöriger Furcht zu den Meetings kämen.
Wenn es ihnen gestattet wurde, gingen die Arbeiter von Tisch zu Tisch und sprachen mit jedem Opfer einzeln über die heimlichen Sünden, die ja mit einiger Gewißheit bei jedem vorauszusetzen waren. Und sowohl Arbeiter wie Arbeiterinnen mußten die bescheideneren Häuser aufsuchen und sich erbieten, mit der verlegenen mehlbestäubten Frau, dem pfeifeschmauchenden, schuhlosen Mann niederzuknien und zu beten.
Über alle statistischen Daten der persönlichen Arbeit – soundsoviel Seelen eingeladen, zum Altar zu kommen, soundsoviel Ansprachen an Arbeiter bei ihren Essenkannen, soundsoviel Hausgebete und ihre Länge – wurde von Elmer und der Direktrice für persönliche Arbeit Buch geführt und daraus mit einiger Phantasie die Bilanz gezogen, die Sharon als Bericht nach den Meetings und als Ausgangspunkt für die Chancen künftiger Meetings war.
Elmer hatte mit Adelbert Shoop, dem schmachtenden, einfältigen Tenor, der mit der Musikleitung betraut war, täglich eine Zusammenkunft, um die Hymnen auszuwählen. Manchmal mußte man singen: »Sanft und zärtlich rufet Jesus«, um das Publikum in Zutrauen einzulullen, manchmal war es notwendig, ein Gefühl primitiver Brüderlichkeit in ihnen zu erwecken; dann sang man:
»Es ist die gute alte Religion –
Sie war gut genug für Paul und Silas
Und ist gut genug für mich –;«
und manchmal hatte man sie mit Melodien wie »Am Kreuze« oder »Vorwärts, christliche Soldaten« anzufeuern. Adelbert machte sich Gedanken über etwas, was er »Anbetung durch Lieder nannte,« doch Elmer war der Ansicht, der wahre Zweck des Singens sei, das Publikum in eine geistige Verfassung zu bringen, in der es alles tun muß, was man von ihm verlangt.
Er lernte, auf der Schreibmaschine mit zwei Fingern Briefe zu schreiben, und erledigte Sharons Post – das heißt, was sie ihn davon sehen ließ. Er führte auf Scheckbuch-Kontrollblättern Buch für sie, salopp, aber hinreichend. Er schrieb allabendlich die Geschichte ihrer Predigten, die von den Zeitungen zusammengestrichen und zwischen Berichte von bemerkenswerten Bekehrungen hineingestopft wurde. Er redete mit Kirchensäulen, die so reich und moralisch waren, daß ihre eigenen Pastoren Angst vor ihnen hatten. Und er erfand ein neues Hilfsmittel zum Heil, das bis zum heutigen Tage bei den mehr evangelistischen Meetings in Gebrauch ist; allerdings wird es Adelbert Shoop zugeschrieben.
Adelbert verstand sich auf die meisten Belustigungen, die im Schwange waren. Er trieb Männer und Frauen an, »gegeneinander« zu singen. In dem spannenden Augenblick, da Sharon nach Bekehrten rief, sprang Adelbert zwischen den Bänken entlang, dick, aber behend, rosig und schüchtern lächelnd, klopfte den Leuten auf die Schulter, sang mitten unter ihnen den Chor eines Liedes mit und kehrte oft mit drei oder vier durch das Schwert des Herrn Gefangenen zurück, seine dicken Arme schwingend und jubelnd: »Sie kommen – sie kommen« – dann entstand immer eine wilde Jagd zum Altar.
Adelbert, in seiner mädchenhaften Begeisterung, konnte fast ebensogut wie Sharon oder Elmer verkünden: СКАЧАТЬ