Название: Sinclair Lewis: Die großen Romane
Автор: Sinclair Lewis
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4066338121196
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Der Ruf kam nicht, viele Wochen nicht: Ostern war schon vorüber, und er wußte noch immer nicht, was er im nächsten Jahr tun sollte.
2
Frühling in der Prärie, üppiger Frühling. Flieder verdeckte den Backstein und Mörtel der College-Gebäude, Spiräenstauden bildeten eine funkelnde Wand, und aus den Feldern und Wiesen des Kansaslandes kamen sanfte Lüftchen und das Trillern der Lerchen.
Studenten lagen müßig in den Fenstern und riefen zu Freunden hinunter; sie spielten im Hof Fangball; sie gingen ohne Hut und schrieben viel Gedichte; die Terwillinger Baseballmannschaft schlug das Fogelquist-College.
Noch immer erhielt Elmer seinen göttlichen Ruf nicht. Untertags, wenn er Fangball spielte, übermütig war, seine Bekannten verprügelte, an eine Mauer gelehnt sang: »Die glücklichsten Tage, die wir kannten, das war im schönen alten Terwillinger«, oder wenn er allein durch das kleine Pappel- und Weidenwäldchen am Tunker Creek stapfte, blühte er mit dem aufblühenden Jahr auf und war glückselig.
Die Nächte waren die reinste Hölle.
Er fühlte sich schuldig, weil er noch keinen Ruf hatte; Mitte Mai ging er zum Rektor.
Dr. Quarles dachte nach und verkündete dann:
»Bruder Elmer, das allerletzte, was ich, treu dem Geist meines göttlichen Berufs, tun möchte, wäre, Ihnen einen Ruf vorzutäuschen, wenn Sie keinen gehabt haben. Das würde sein wie die heidnischen Halluzinationen, die auf die armen kranken Anhänger des römischen Katholizismus einwirken. Was er sonst auch sein mag, Illusionen darf ein Baptistenprediger nicht haben; er muß seine Arbeit auf gute, handgreifliche wissenschaftliche Tatsachen gründen – die erwiesenen Tatsachen der Bibel und des Sühnopfers, von dem wir sogar pragmatisch wissen, daß es wahr ist, weil es wirkt. Nein, nein! Aber trotzdem bin ich überzeugt, daß Gottes Stimme Sie ruft, Sie müssen sie nur hören können, und ich will Ihnen helfen, den Schleier der Weltlichkeit zu lüften, der zweifellos Ihr geistiges Ohr noch taub macht. Wollen Sie morgen abend zu mir in meine Wohnung kommen? Wir werden die Angelegenheit dem Herrn im Gebete unterbreiten.«
Das Ganze war ziemlich schauderhaft.
An diesem freundlichen Frühlingsabend, an dem ein erfrischender Wind in den Zweigen der Platanen wehte, hatte Rektor Quarles in seiner Wohnstube die Fenster geschlossen und die Rouleaux heruntergelassen; in diesem Zimmer hingen Bleistiftzeichnungen von Baptistengrößen, standen rote Plüschsessel und verglaste Einheitsbücherschränke, welche die weltlichen Schriften der poetischer veranlagten Geistlichkeit enthielten. Als Helfer im Gebet hatte der Rektor die älteren, fundamentalistischen Expastoren des Lehrkörpers eingeladen und die sanfteren, beredteren Y.M.C.A.-Häupter, die von Eddie Fislinger angeführt waren.
Als Elmer eintrat, lagen sie auf den Knien, die Arme auf den Sitzen umgekehrter Stühle, mit gesenkten Häuptern, alle beteten laut und gemeinsam. Sie sahen zu ihm auf wie alte Weiber, welche die Braut mustern. Er wollte ausreißen. Dann erwischte ihn der Rektor und zwang ihn auf die Knie; er litt, er war verwirrt und wußte nicht, was zum Teufel er beten sollte.
Abwechselnd erzählten sie Gott, was er in dem Fall »unseres so eifrig und ernsthaft suchenden Bruders« tun sollte.
»Wollen Sie jetzt Ihre Stimme im Gebet erheben, Bruder Elmer? Lassen Sie sich ganz einfach los. Denken Sie daran, daß wir alle bei Ihnen sind, daß wir alle Sie lieben und Ihnen helfen wollen«, sagte der Rektor mit knarrender Stimme.
Sie drängten sich nahe an ihn. Der Rektor legte seinen steifen alten Arm um Elmers Schulter. Der fühlte sich an wie ein trockener Knochen, und der Rektor roch nach Petroleum. Eddie schob sich an seine andere Seite und schmiegte sich an ihn. Die anderen krochen heran und tätschelten ihn. Es war schrecklich heiß im Zimmer, und sie waren so nahe – es war ihm zumute, als ob er in ein Spitalzimmer gesperrt wäre. Er blickte auf und sah das lange glattrasierte Gesicht, die dünnen, straffen Lippen eines Geistlichen … dem er jetzt nacheifern sollte.
Es lief ihm vor Entsetzen kalt über den Rücken, doch er versuchte zu beten. Er jammerte: »O mein Herr, hilf mir, zu – hilf mir, zu –«
Er hatte eine großartige Idee. Er sprang auf. Er rief: »Ich glaube, der Geist beginnt zu arbeiten, und vielleicht ist's am besten, wenn ich rausgeh', bißchen rumlauf' und allein bete, während Sie hier bleiben und für mich beten; das könnte helfen.«
»Ich glaube nicht, daß das die richtige Methode wäre«, begann der Rektor, aber das älteste Mitglied des Lehrkörpers meinte: »Vielleicht ist dieser Gedanke vom Herrn geschickt. Wenn der Herr etwas schickt, sollen wir uns nicht einmischen, Bruder Quarles.«
»Das ist richtig, das ist richtig«, verkündete der Rektor, »Sie machen Ihren Spaziergang, Bruder Elmer, und beten angestrengt, und wir bleiben hier und belagern den Thron der Gnade für Sie.«
Elmer stolperte hinaus in die frische reine Luft.
Was auch geschehen mochte, er wollte nicht mehr zurück! Wie ihm ihre weichen, schwabbligen, feuchten Hände zuwider waren!
Er dachte schon daran, den letzten Zug nach Cato zu nehmen und sich einen Trostrausch anzutrinken. Nein, er würde nicht promovieren können, genau in einem Monat, und es dann später schwerer haben, als richtiger, hochfeiner Anwalt mit College-Erziehung aufzutreten.
Also dann nicht promovieren! Alles eher, als zurückzugehen zu diesen ekelhaften Händen, diesem alten Atem, der in sein Ohr blies –
Er würde jemand anhalten, ihm sagen, daß er sich nicht wohl fühlte, mit dieser Botschaft zum Alten schicken und ins Bett kriechen. Erledigt. Er würde eben nicht seinen Ruf kriegen, darauf pfeifen, weiß Gott, und nicht Geistlicher werden.
Aber die Aussicht verlieren, vor Tausenden zu stehen und sie zu rühren, indem man ihnen von der göttlichen Liebe und dem Morgen- und dem Abendstern erzählte – wenn er es nur aushalten könnte, bis er das theologische Seminar hinter sich hätte und im Dienst wäre – dann, wenn irgend ein Eddie Fislinger versuchen sollte, in sein Studierzimmer zu kommen und ihm in den Hals zu atmen – er würde rausfliegen, wahrhaftigen Gotts!
Er merkte, daß er an einem Baum lehnte, kleine Zweige abriß, und daß unter einer Straßenlampe Jim Lefferts stand und ihn ansah.
»Du siehst krank aus, Höllenhund«, sagte Jim.
Elmer bemühte sich würdevoll zu erscheinen, gab es aber bald auf und stöhnte: »Ach, das bin ich auch! Was hab' ich mich denn überhaupt in dieses Religionszeug eingelassen?«
»Was tun sie dir denn? Ist egal; brauchst mir's nicht zu sagen. Du mußt was trinken.«
»Bei Gott, das muß ich!«
»Ich hab' ein Quart erstklassigen Kornbranntwein von einem Pascher, den ich hier auf dem Land aufgetrieben hab', und mein Zimmer ist grad in diesem Block. Komm.«
Während der ersten Schlucke war Elmer still, er war verwirrt und suchte Halt an Jim, der ihn schon aus diesen Schrecken herausführen würde.
Aber er war nicht mehr gewohnt zu trinken, und der Branntwein wirkte schnell. Als er die Hälfte des zweiten Glases getrunken hatte, rühmte er sich seiner Kirchenberedsamkeit und ließ Jim wissen, daß im Terwillinger-College noch nie ein so versprechender Redner aufgetreten СКАЧАТЬ