Didaktik und Neurowissenschaften. Michaela Sambanis
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Название: Didaktik und Neurowissenschaften

Автор: Michaela Sambanis

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: narr studienbücher

isbn: 9783823300663

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      Didaktik und Neurowissenschaften lädt zu einer Spurensuche ein, die von Interesse und NeugierNeugier getragen ist, sich um eine kritische Auseinandersetzung mit Wissensbeständen sowie um ein Zusammenführen von Erkenntnissen bemüht und die sich bei der Frage nach Konsequenzen für die Praxis und beim Abgleich mit Praxiserfahrungen statt der Rezeptorientierung dem divergenten Denken verpflichtet fühlt.

      Ausgewählte Literaturhinweise

      Blakemore, S.-J. & Frith, U. (2006): Wie wir lernen. Was die Hirnforschung darüber weiß. München: Deutsche Verlags-Anstalt.

      Müller, T. (2005): Pädagogische Implikationen der Hirnforschung. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Diskussion in der Erziehungswissenschaft. Berlin: Logos.

      2. Gehirn und Hirnentwicklung

      In diesem Kapitel werden die grundlegenden Prinzipien des Gehirns vorgestellt. Allerdings reicht es für unsere Zwecke nicht aus, das „fertige“ Gehirn von Erwachsenen zu betrachten, allein schon deshalb, weil sich sehr viele Lehr-Lernarrangements und didaktische Vorgehensweisen an junge, sich entwickelnde Menschen richten. Hinzu kommt, dass sich viele LernprozesseLernprozesse besser verstehen und einordnen lassen, wenn man die Entwicklung des Gehirns berücksichtigt. Jeder neue Lerninhalt bringt eine (mehr oder weniger große) Umstrukturierung des Gehirns mit sich. Die dabei wirkenden Mechanismen werden durch die Betrachtung der Hirnentwicklung sehr deutlich. Der Schwerpunkt der Darstellungen liegt daher auf der Beschreibung der Entwicklung des Gehirns.

      Sowohl das Gehirn an sich als auch sein Entwicklungsprozess ist ein faszinierendes Wunder der Natur. Mitunter wird kritisiert, Wissenschaft „entzaubere“ die Welt, beraube sie ihrer „Magie“ und reduziere das Wunder des Lebens auf physikalische, chemische und biologische Zusammenhänge. Für das Gehirn und seine Entwicklung besteht das Risiko einer solchen Entzauberung nicht. Vielmehr ist das Gehirn eine Welt, die mindestens ebenso wundersam ist wie das Wunderland, in dem Alice ihre Abenteuer erlebte (vgl. Carroll 1999).

      2.1 Ein Gehirn entsteht: Von einer dünnen Zellschicht zur komplexen Struktur

      Das menschliche Gehirn enthält ein kompliziertes Geflecht aus etwa 86 Milliarden NervenzellenNervenzellen (vgl. Azevedo et al. 2009).1 Diese Zahl ist so groß, dass man sie sich schlicht nicht vorstellen kann. Würde man für jede Nervenzelle eine 1-Euro-Münze nehmen und die Münzen wie Perlen auf eine Kette auffädeln, dann wäre die Kette so lang, dass sie fünf Mal um die Erde herumreichte.2

      Eine andere Möglichkeit, ein Gefühl für die enorme Anzahl an NervenzellenNervenzellen zu entwickeln, ist es, sich zu verdeutlichen, dass während der Schwangerschaft ab der 4. Woche (das ist der Zeitpunkt, ab dem Gehirn und RückenmarkRückenmark angelegt sind) bis zur Geburt pro Minute etwa 250.000 Nervenzellen gebildet werden. Umgerechnet bedeutet das: In jeder einzelnen Sekunde entstehen durchschnittlich etwas über 4000 neue Nervenzellen. Linderkamp, Janus et al. (2009) fassen diesen Vorgang so zusammen:

      Das fetale Gehirn entwickelt sich in wenigen Wochen aus einer dünnen Zellschicht zu einem gigantischen und komplexen NetzwerkNetzwerk mit Milliarden von NervenzellenNervenzellen (NeuronenNeuronen) und Billionen von Verbindungen (SynapsenSynapse).

      Während dieser Zeit entstehen:

       das RückenmarkRückenmark voller Neurone, die Signale an die Muskulatur leiten und solchen, die Informationen von den Tastsinneszellen auf unserer Körperoberfläche aber auch aus unserm Körperinneren weiterleiten,

       der HirnstammHirnstamm, der RückenmarkRückenmark und Groß- und KleinhirnKleinhirn verbindet und lebenswichtige Funktionen wie Atmung, Herzschlag und Reflexe wie den Hustenreflex steuert,

       das Zwischenhirn, das mit dem ThalamusThalamus eine wichtige Umschaltstation für Informationen von den Sinnesorganen beheimatet und mit dem HypothalamusHypothalamus und der HypophyseHypophyse das Bindeglied zwischen Nervensystem und Hormonhaushalt bildet,

       das KleinhirnKleinhirn, dessen dichtgepackte Neurone Bewegungskoordination und Gleichgewicht steuern,

       und das Großhirn, das wir in seiner Entwicklung im Folgenden genauer betrachten wollen.

      Die vielen Neurone, die später unsere GroßhirnrindeGroßhirnrinde (den CortexCortex) bilden, unsere berühmten „grauen Zellen“, werden von StammzellenStammzellen gebildet, die in einem sehr dünnen Häutchen auf der Innenseite einer bläschenartigen Struktur liegen, aus der sich später einmal das Gehirn entwickelt. Die Stammzellen teilen sich unablässig und bilden Zellen, aus denen sich NervenzellenNervenzellen entwickeln, aber auch weitere Stammzellen. Die neu entstandenen, noch unreifen Nervenzellen, die sogenannten NeuroblastenNeuroblasten, können nicht in dem dünnen Häutchen bleiben, in dem sie „geboren“ wurden. Der Platz ist von den Stammzellen bereits belegt. Also begeben sich die Neuroblasten auf Wanderschaft, um zu der Stelle der Hirnrinde zu gelangen, an der sie später als Neurone ihre Arbeit verrichten sollen. Wie bei den großen Wanderbewegungen der Menschheit auch, nennt man diesen Vorgang MigrationMigration. Allerdings finden die jungen Neuroblasten ihren Weg nicht alleine. Vielmehr erhalten sie bei ihrer Wanderschaft zum ersten Mal in ihrem Leben Unterstützung durch sogenannte Gliazellen. Eigentlich ist der Begriff Gliazellen recht unspezifisch: Man fasst darunter all jene Zellen des Gehirns zusammen, die eben nicht Nervenzellen sind. Gliazellen sind wichtige Helfer und Unterstützer der Nervenzellen. Sie haben sehr unterschiedliche Formen und vielfältige Aufgaben. Im menschlichen Gehirn gibt es etwa ebenso viele Gliazellen wie Nervenzellen (vgl. Azevedo et al. 2009). Sie versorgen die Nervenzellen mit Nährstoffen, halten die Umgebung sauber und frei von Krankheitserregern, dienen als Schutz und Stützgewebe, unterstützen die Kommunikation der Nervenzellen untereinander usw.

      Die ersten Gliazellen, die den NeuroblastenNeuroblasten bei ihrer Wanderung helfen, sind langgestreckte RadialgliazellenRadialgliazellen, deren eines Ende bis in die Schicht ragt, in der die Neuroblasten entstehen und deren anderes Ende an der Außenseite der späteren GroßhirnrindeGroßhirnrinde angeheftet ist. So liegen die Radialgliazellen wie die Speichen eines Rades nebeneinander und durchziehen alle Schichten der künftigen Großhirnrinde. Die jungen Neuroblasten hangeln sich entlang dieser Speichen an ihren Bestimmungsort. Dazu wandern sie so lange, bis sie in eine Schicht kommen, die noch nicht von anderen, früher geborenen NervenzellenNervenzellen besetzt ist.3 Dort angekommen, entwickeln sie ihre endgültige Form und werden zu erwachsenen Nervenzellen, den NeuronenNeuronen.

      2.2 Verbindung ist alles: Ein gigantisches neuronales NetzwerkNetzwerk wächst zusammen

      Zum „Erwachsenwerden“ von NervenzellenNervenzellen gehört es, dass sie Verbindungen zu anderen Nervenzellen ausbilden. Sie verknüpfen sich zu einem riesigen neuronalen NetzwerkNetzwerk aus Nervenfasern und SynapsenSynapse (Verbindungsstellen). Dieses Netzwerk bildet die Grundlage aller Hirnfunktionen, egal ob Wahrnehmung, DenkenDenken, Lernen, die Steuerung von Handlungen oder auch automatische und unwillkürliche Prozesse. Über die Synapsen sammeln Neurone Informationen und geben sie weiter. Veränderungen und Umbau der Synapsen setzen sich während des gesamten Lebens fort.

      Um SynapsenSynapse mit anderen NervenzellenNervenzellen aufzubauen, bilden Neurone verschiedene Arten von Ausläufern aus. Die Ausläufer, die Informationen von anderen Nervenzellen einsammeln, also sozusagen die „Antennen“, nennt man DendritenDendriten. Dendriten bilden Verästelungen, die je nach Lage im Gehirn und künftiger Funktion des NeuronsNeuronen eine sehr unterschiedliche Form haben (Abb. 1).

      Abb. 1: Abbildung von СКАЧАТЬ