Machtästhetik in Molières Ballettkomödien. Stefan Wasserbäch
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СКАЧАТЬ ist es doch vehement mit dem unschicklichen Unvernünftigen semantisiert, das mit dem Preis einer gesellschaftlichen Stigmatisierung zum Verrückten korreliert.

      Es ist festzuhalten, dass der Zuschauer das Geschehen aus einer metadramatischen Perspektive betrachtet, wenn er den Wirklichkeitsbruch und die medialen Bereicherungen als binnenfiktionale Realitätsverfremdung des gesamten Bühnengeschehens ins soziale oder empirische Unwirkliche wahrnimmt. Den Wirklichkeitsbruch innerhalb der Fiktion empfindet der Zuschauer jedoch nicht als besonders störend, sodass es ihm gelingt, die verstärkt mediale Theatralik auf die figurale Interaktion zu beziehen, und er sich daher dem Sog der Theaterfiktion nicht widersetzen muss. Die Wahrnehmung der Realität ist für einzelne Figuren auf der Bühne gestört und auch der Zuschauer wird mit dem Problem konventioneller Sichtweisen bei der Aufführung über die binnenfiktionale metadramatische Perspektive konfrontiert. Diese erweitert sich aufgrund ihres intermediären Charakters, nähert sich der theatralischen Perspektive an und wird letztlich von jener absorbiert. Diese Perspektive ist auch als Brückenperspektive zwischen der dramatischen und theatralischen zu betrachten, da soziale wie auch empirische Fiktionalitätsprobleme in eine theatralische Perspektive hinübergespielt werden und sich in der Heiterkeit des Spiels auflösen, sodass bei der Ballettkomödie von einem dominant theatralischen Theater zu sprechen ist. Die metadramatische Perspektive enthält folglich ein potenziell störendes Moment, das aus dem Spannungsverhältnis zwischen Realität und Fiktion resultiert – zwischen Fiktion und Metafiktion oder, wie Georges Forestier konstatiert, zwischen „la fiction et le merveilleux“3 – und den Zuschauer in eine verzerrte Traumwelt hineinmanövriert.

      Wenn man Gattungen als fundierte Organisationsformen von Kommunikationsprozessen versteht, dann bestärkt die für die Ballettkomödie spezifische Kommunikationssituation, die sich aus der zusätzlichen metadramatischen Perspektive ergibt, die Originalität des Genres. Dies gilt auch dann, wenn diese Metaebene nicht in allen Ballettkomödien in vollem Umfang auftaucht, weil die figurale Korrespondenz zwischen Komödie und Intermedium genauso gut ohne Wirklichkeitsbruch vonstattengehen kann und sich somit nur ein medialer Kommunikationswechsel innerhalb einer Sujetwirklichkeit vollzieht. In diesem Fall sind Fiktion und Metafiktion realitätsgleichwertig im Sinne einer einheitlichen Theaterfiktion und über die dramatische, theatralische oder lebensweltliche Perspektive erfahrbar.

      Fazit

      Zusammenfassend lässt sich für die Dramenstruktur in Molières Ballettkomödie anführen, dass es drei fiktionale und eine realitätsbezogene Kommunikationsperspektive gibt. Der Zuschauer verfolgt bei der Wahl der dramatischen Perspektive das Geschehen aus der Sicht der daran beteiligten Figuren. Er nimmt aus der metadramatischen Perspektive die binnenfiktionale Realitätsverfremdung wahr, die von einem medialen Umschwung begleitet ist. Aus der theatralischen Perspektive betrachtet er die Entfaltung der Geschichte als Spiel. Er konfrontiert auf der lebensweltlichen Perspektive die auf der Bühne dargestellten Normen mit seinen eigenen Verhaltenserwartungen respektive mit seinem Erwartungshorizont. Die zugrunde liegende Geschichte fungiert dabei als Referenzpunkt für die einzelnen Perspektiven.1 Daraus lässt sich konkludieren, dass sich die Dramenstruktur der Ballettkomödie aus den vier vermittelnden Kommunikationsebenen und der Ebene der Geschichte zusammensetzt.

      Wie das Weltmodell strukturell im Sujet angelegt ist und wie die Sujethaftigkeit der Texte bestimmt werden kann, wird im Folgenden mit einer gattungstypologisch adaptierten Version des lotmanschen Sujet-Modells erläutert.

      2.2 Sujetstruktur

      Die Ebene der Geschichte spielt im Hinblick auf die Dramenstruktur eine entscheidende Rolle, da sie als Bezugspunkt für die einzelnen Kommunikationsebenen gilt. Vor dem Hintergrund eines Sinngehalts der Geschichte lässt sich das Ereignis beziehungsweise Sujet als ihr thematischer Kern verstehen. Sein Gerüst wird aus dem kulturellen System, aus welchem der literarische Text entspringt, zusammengesetzt und künstlerisch verdichtet respektive modelliert. Der Kultursemiotiker Jurij Lotman geht davon aus, dass das Sujet ein semantisches Feld ist, das in zwei komplementäre Teilmengen gegliedert ist und die binäre Struktur von Kulturmodellen reflektiert.1 Die Sujethaftigkeit in künstlerischen Texten substanziiert sich immer in ihrem Verhältnis zum kulturellen Leitbild der Norm. Einerseits kann die klassifikatorische Grenzlinie zwischen den beiden Bereichen überschritten werden, sodass Texte als revolutionär bezeichnet werden können, sofern die Grenzziehung missachtet wird und der Held sich im neu betretenen Teilbereich etabliert. Andererseits kann die Grenzlinie respektiert werden, sodass Texte als restitutiv bezeichnet werden können, sofern der Held innerhalb eines Teilbereichs verweilt.2 Dergestalt stellt die Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen Feldes ein Ereignis innerhalb der Geschichte dar.3 Die Anordnung von Ereignissen bildet die übergeordnete Handlungsstruktur, also das Sujet, sodass das Ereignis im Umkehrschluss „die kleinste unzerlegbare Einheit des Sujetaufbaus“4 darstellt. Die Entfaltung eines Ereignisses respektive der Übergang über eine semantische Grenzlinie ist somit als Sujet zu bezeichnen.5 Das Sujet kann entweder assimilierend in Bezug auf die Kohärenz einer alten Ordnung oder akkommodierend in Bezug auf eine neue, noch vage Kohärenz wirken.6 Daraus ergibt sich, dass die Sujethaftigkeit in verschiedene Abstufungen einzuteilen ist.

      Die verschiedenen Grade der Sujethaftigkeit sind nach Lotman mit den Termini ‚Ereignis‘ und ‚Metaereignis‘ zu fassen und hängen davon ab, ob das Ereignis reversibel oder irreversibel ist:7 Der Begriff ‚Ereignis‘ ist hierarchisch als Oberbegriff einzelner Ereignisse zu verstehen und impliziert auf dieser Ebene eine Aktion, die eintritt, wenn eine Figur die Grenze zweier semantischer Räume8 übertritt, allerdings das System dieser semantischen Räume in der dargestellten Welt dabei „in der Zeit invariant“9 bleibt und sich nur der Zustand der Figur verändert, die Weltordnung aber in ihrer Konstanz erhalten bleibt. Für ein Ereignis ist es irrelevant, ob es sich physisch konkret oder innerhalb der Psyche der Figuren zuträgt. Es restituiert folglich die Ausgangssituation der Handlungswelt in der Komödie. Dagegen liegt ein Metaereignis dann vor, wenn eine Figur die Grenze zweier semantischer Räume überschreitet, allerdings infolgedessen das System dieser semantischen Räume in der dargestellten Welt „selbst in der Zeit transformiert wird“10 und sich nicht nur der Zustand der Figur verändert, sondern auch die Weltordnung modifiziert wird. Es revolutioniert folglich die Ausgangssituation der Handlungswelt in der Komödie. In letzter Konsequenz verlieren etablierte Ordnungsgrundsätze der Handlungswelt ihre semantischen Räume.

      Die in Molières Ballettkomödien existierenden Metaereignisse bedürfen einer weiteren Erklärung. Obschon sich das Weltbild tatsächlich ändert, sind die Reichweite und deren revolutionäre Wirkung beschränkt, fehlt doch das ästhetische Handlungskohärenzkriterium der innerfiktionalen vraisemblance, die in der Klassik auf dem Kompositionsprinzip der raison fußt. So kann beispielsweise die Rechtfertigung für die gezogene semantische Grenzlinie innerhalb der Fiktion fehlen und die Fiktion dennoch sinnfällig erscheinen. Außerdem kann die Handlungswelt verfremdet in einem exotischen respektive märchenhaften Raum-Zeit-Universum dargestellt werden und die schicksalhaften, übermenschlichen Fügungen können nur indirekt mit der höfischen Weltordnung korrespondieren. Es fehlt ein apodiktischer, lebensweltlich legitimierter Maßstab innerhalb der Fiktion, der diese Metaereignisse bedingt mit dem zeitgenössisch-kulturellen Kontext in Einklang bringen lässt. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen ist hinsichtlich des Grenzgängertums von einem limitierten Metaereignis zu sprechen.

      Der von Andreas Mahler eruierte frühneuzeitliche Sujetwandel11 impliziert verschiedene Grade der Sujethaftigkeit literarischer Texte, die zu Molières Zeiten vorwiegend im Theater ausgedrückt werden. Transformation gestaltet sich in der Tragödie weitaus stärker als in der Komödie, da in Letzterer das Konstruktionsprinzip in Zusammenhang mit dem Auftreten des Komischen und seiner Aufhebung steht.12 In Molières Ballettkomödien greift dieses Restitutionsprinzip nicht mehr ganz. Das dynamische Moment des Sujetumbruchs gibt sich darin deutlich zu erkennen, dass die Aufhebung des Komischen an manchen Stellen nicht mehr stattfindet. Die konfliktive Situation wird einfach überspielt, hinweggespielt. Es manifestieren sich neue Strukturen, СКАЧАТЬ