Interkulturelle Bildung, Migration und Flucht. Группа авторов
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Название: Interkulturelle Bildung, Migration und Flucht

Автор: Группа авторов

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

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isbn: 9783823301905

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СКАЧАТЬ Interkulturelle Bildung. Eine Einführung (Lernen für Europa, Bd. 19). Münster: Waxmann.

      Mecheril, Paul (2002). ‚Natio-kulturelle Mitgliedschaft – ein Begriff und die Methode seiner Generierung‘. Tertium comparationis 8(2), 104-115.

      Meyer, John W. / John Boli / George Thomas /F. O. Ramirez (1997). ‚World Society and the Nation‐State‘. American Journal of Sociology, 103(1), 144–181.

      Ramirez, Francisco O. / John Boli (1987). ‚The Political Construction of Mass Schooling: European Origins and Worldwide Institutionalization‘. Sociology of Education, 60(1), 2–17.

      Rawls, John (2000). Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

      Sloterdijik, Peter (2004). Sphären. Drei Bände. Blasen. Globen. Schäume. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

      Unsere (Denk-)Gewohnheiten befragen: Politische Bildung neu buchstabieren1

      Markus Rieger-Ladich

      Immanuel Kant steht vor dem Giftschrank

      Auch wenn Immanuel Kant heute seinen Ruhm insbesondere den drei großen Kritiken verdankt, beruhte seine Popularität in Königsberg doch kaum weniger auf zwei Vorlesungen, die er alternierend anbot – er las regelmäßig Geographie und Anthropologie sowie Pädagogik. Seine Vorlesung zur Anthropologie, die er erstmals 1772/73 hielt, trug den heute etwas kryptisch klingenden Titel „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“. Das erste Buch dieser Vorlesung behandelt das Erkenntnisvermögen und erschließt sich sehr viel leichter als etwa die berühmte Kritik der reinen Vernunft. Paragraph 1 verhandelt das „Bewußtsein seiner selbst“ und wendet sich dem Kind zu. Kant interessiert sich hier für die besondere Fähigkeit, in der ersten Person Singular zu sprechen. Der Text beginnt wie folgt:

      „Es ist aber merkwürdig: daß das Kind, was schon ziemlich fertig sprechen kann, doch ziemlich spät (vielleicht wohl ein Jahr nachher) allererst anfängt, durch Ich zu reden, so lange aber von sich in der dritten Person sprach (Karl will essen, gehen u.s.w.), und daß ihm gleichsam ein Licht aufgegangen zu sein scheint, wenn es den Anfang macht durch Ich zu sprechen; von welchem Tage an es niemals mehr in jene Sprechart zurückkehrt. – Vorher fühlte es bloß sich selbst, jetzt denkt es sich selbst“ (Kant 1799/1983: 37).

      Kant konstatiert hier also eine „Merkwürdigkeit“: Als erklärungsbedürftig gilt ihm das Auseinanderklaffen von Sprachentwicklung und Selbstbewusstsein; er stellt eine gewisse Verzögerung fest: Obwohl das Kind viele seiner Bedürfnisse bereits sprachlich artikulieren könne, vollziehe sich die Entwicklung seines Selbstbewusstseins doch eigentümlich retardiert. Sie hält nicht ganz Schritt mit der sprachlichen Entwicklung. Karl oder Paula können zwar ihre Anliegen formulieren, ihre Wünsche zum Ausdruck bringen; sie können auch Dinge bewerten und kommentieren, aber zunächst eben nur, indem sie von sich in der dritten Person sprechen. Das klingt, als existiere hier ein gewisser Abstand zur eigenen Person. Wenn Paula sagt, dass Paula nun auch mit der Carrera-Bahn spielen wolle (und Karl endlich die Finger davon lassen solle), wissen zwar alle Beteiligten, wovon sie spricht, und verstehen ihr Anliegen, aber grammatikalisch ist es zweifellos falsch.

      Im Paragraph 2 hält Kant das besondere Ereignis fest, das im Prozess der Individuierung der Wechsel von der 3. zur 1. Person Singular darstellt: „Von dem Tage an, da der Mensch anfängt durch Ich zu sprechen, bringt er sein geliebtes Selbst, wo er nur darf, zum Vorschein […]“ (Kant 1799/1983: 38). Hier wird nun nicht nur der Grammatik Genüge getan, hier kommt auch – so Kant – noch etwas anderes zum Ausdruck. Wir erhalten auf diese Weise Einsicht in den Menschen und in das, was ihn von anderen Wesen unterscheidet: Greift der Mensch auf die 1. Person Singular zurück, zeigt sich darin eben auch ein besonderes Selbstverhältnis. Diese Rede vom Ich ist nicht nur grammatikalisch korrekt, sie wirft auch ein Licht darauf, welcher Art unser Selbstverhältnis ist: Das „geliebte Selbst“ wird nun zum „Vorschein“ gebracht, wann immer sich dazu die Gelegenheit bietet. Das Selbstverhältnis des Menschen ist also fraglos affektiv besetzt. Wir Menschen, so lässt sich Kant interpretieren, stehen unserem Selbst nicht indifferent gegenüber; wir lieben es. Und sind nicht wenig stolz darauf; daher zeigen wir es – bei jeder passenden (und auch bei vielen unpassenden) Gelegenheit(en).

      Bevor ich mich erneut Kant zuwende, möchte ich zunächst daran erinnern, dass die Ontogenese eine riskante Angelegenheit ist. Die Herausbildung eines belastbaren Selbstverhältnisses, das Operieren mit stabilen Identitäten und die sichere Unterscheidung von 1. und 3. Person Singular sind beileibe keine Trivialitäten. Sie müssen vielmehr als überaus störanfällige Prozesse gelten. So ist der Weg vom Neugeborenen zu einem Kleinkind gefährlich und kennt keinerlei Garantieren, denn am Anfang der Ich-Werdung steht das Du. Das Gegenüber, das sich uns zuwendet, wird auf diese Weise zum zweiten Geburtshelfer. So hat auch der Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma (2008) in einer erhellenden Freud-Lektüre an das Ausgeliefertsein des Neugeborenen erinnert:

      „Die Welt ist nichts, was mich automatisch versorgt, noch bevor ich Schmerzen leide, sondern zuerst leide ich, schreie, und dann habe ich vielleicht Glück und werde wieder satt. Glück muss man auch haben, denn das langsam zum Ich werdende Menschenwesen kann für sich nichts tun. Es ist ausgeliefert. Dieses Gefühl begleitet die Ich-Werdung und bleibt als abrufbares Befindlichkeitspotential vorhanden“ (Reemtsma 2008: 105; Herv. durch Markus Rieger-Ladich).

      Dies ist präzise formuliert und ruft durchaus unangenehme Tatsachen in Erinnerung. Das Neugeborene ist auf elementare Weise verletzbar; es ist der Welt ausgeliefert. Es betritt als sog. „Mängelwesen“ (Gehlen) die Bühne der Welt und ist in kaum zu überbietender Weise darauf angewiesen, dass ein anderer – ein Du – sich seiner annimmt. Das Ich, auf das wir nach Kant doch gemeinhin so stolz sind, verdankt sich eben nicht unserer eigenen Anstrengung. Weder das Ich noch das Selbstverhältnis können daher als Trophäe gelten, als Ergebnis intensiver Bemühungen, vielmehr verdankt sich die Ich-Werdung der Zuwendung anderer – und eben nicht eigenen Anstrengungen (vgl. Arendt 1981; Meyer-Drawe 2000).

      Auf diese Facette der conditio humana hat auch die politische Philosophin Judith Butler hingewiesen. Sie erinnert in ihrem Buch Gefährdetes Leben (2005) an unsere elementare Verletzbarkeit und spricht davon, dass die „Ausbildung des Ichs“ stets auf die „Quelle dieser Verletzbarkeit“ verweise: „Dies ist eine Voraussetzung, eine Bedingung des Lebens, die von Anfang an auf der Hand liegt, über die wir nicht streiten können.“ (Butler 2005: 48) Wir verdanken uns also nicht uns selbst; das Ich verdankt sich dem Du. Es verdankt sich damit einer anderen Person, die sich uns zuwendet, die auf unsere elementare Ausgeliefertheit reagiert, die um unsere Verletzbarkeit weiß – und geeignete Maßnahmen ergreift: eine Decke bereithält und entsprechende Kleidung, den Wechsel von hell und dunkel arrangiert, die Temperatur reguliert u. a. m.

      Und damit zurück zu Kant und dessen Anthropologie. Ich zitiere den Anfang von Paragraph 2, von dem ich schon die erste Zeile genannt hatte, nun vollständig. Hier heißt es:

      „Von dem Tage an, da der Mensch anfängt durch Ich zu sprechen, bringt er sein geliebtes Selbst, wo er nur darf, zum Vorschein, und der Egoism schreitet unaufhaltsam fort; wenn nicht offenbar (denn da widersteht ihm der Egoism anderer), doch verdeckt […]“ (Kant 1799/1983: 38; Herv. durch Markus Rieger-Ladich).

      Wir sind also – so könnte man dies paraphrasieren – zunächst kleine Egoisten; und die einzige Grenze des Egoismus‘ besteht darin, dass kleine Egoisten fortwährend auf andere kleine Egoisten treffen. Etwa in einer Kindertagesstätte oder in der Schule. Karl wähnt sich zwar im Mittelpunkt des Geschehens, er hat gelernt Ich zu sagen und artikuliert fortwährend seine Anliegen und Bedürfnisse; in der Familie, in der er aufwächst, wird ihm dieser СКАЧАТЬ