50 Jahre Frauenstimmrecht. Группа авторов
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Название: 50 Jahre Frauenstimmrecht

Автор: Группа авторов

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783038552185

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СКАЧАТЬ Einschränkungen waren die volljährigen Bürgerinnen Portugals jedoch erst ab 1974 wahlberechtigt.

      «Schon als Kind fand ich Wahl­sonntage aufregend, ein besonderer Nervenkitzel.»

      Foto: Privatarchiv

      Fina Girard, geboren 2001, ist in Basel aufgewachsen und hat dort das Gymnasium Leonhard besucht. Sie engagiert sich seit ihrem 14. Lebensjahr bei Amnesty Youth und ist beim Klimastreik Basel aktiv. Nach der Matura hat sie sich für ein einjähriges Praktikum bei Amnesty International in Bern entschieden.

      Warum es Sinn macht, schon mit 16 zu wählen

      Fina Girard, Klima- und Jugendstimmrechtsaktivistin

      Das Basler Rathaus ist rot, zinnoberrot. Klar, nennt man es also «Roothus», dachte ich, wenn mich meine Eltern als Kind jeweils zum Abstimmungslokal mitnahmen. Die lange Schlange kurz vor zwölf am Sonntagvormittag, verbunden mit dem besonderen Nervenkitzel, ob wir es noch rechtzeitig zur Wahlurne schaffen, und mit der leisen Vorfreude auf das Schöggeli, das mir eine freundliche Wahlhelferin zustecken würde: Wahlsonntage waren aufregend und sind mir darum bis heute sehr in Erinnerung geblieben.

      Ich hatte das grosse Glück, dass mich meine Eltern mit meinem Interesse für das politische Geschehen ernst genommen haben. Auf dem Schulweg studierte ich als Primarschülerin die bunten Wahlplakate und entzifferte mühselig die grossen Lettern. Sie schienen wichtig zu sein, tauchten sie doch plötzlich an allen Ecken und Enden der Stadt auf, um bereits bald darauf wieder zu verschwinden und erst in ein paar Monaten wieder aufzutauchen. Zu Hause angekommen, löcherte ich meine Eltern am Küchentisch mit Fragen. Nie bekam ich dabei ein: «Das verstehst du noch nicht», nie ein: «Das ist eine Sache der Erwachsenen» zu hören. Zugegeben: Ich gähnte zwar manchmal verstohlen, wenn mein Vater geduldig versuchte, mir eine Finanzreform zu erklären. Aber mir wurde erklärt, wonach ich fragte, und ich wusste, dass auch ich eines Tages mein Stimmcouvert in die Urne legen darf, im roten Basler Rathaus. Mein Interesse für Politik und Gesellschaft hat mich seither nie losgelassen.

      Ich gehöre zur Generation Klimastreik. Als ich an einer grossen Klimademo am 2. Februar 2019 Flyer mit den Demoparolen verteilte, hatte ich Tränen in den Augen. Von allen Richtungen strömten Junge, Alte, Familien und Freundesgruppen auf den Barfüsserplatz, unter ihren Armen und auf ihre Gepäckträger hatten sie bunte Plakate geklemmt. Es fühlte sich befreiend an, mit den eigenen Sorgen und Hoffnungen nicht mehr allein zu sein. Die Klimastreiks haben niemanden kaltgelassen, besonders nicht diejenigen unter 18.

      Jede und jeder, ob begeistert oder kritisch, bildete sich eine Meinung dazu, und in Schulhöfen und am heimischen Küchentisch wurde über den Klimawandel und den Sinn und Zweck der Streiks diskutiert. Gleichzeitig twitterten namhafte Politikerinnen und Politiker darüber, ob die Klimastreikenden sich nicht lieber in einer Partei engagieren sollten, anstatt die Schule zu schwänzen. Klimastreikenden, die bereits Mitglied einer Partei waren, wurde wiederum vorgeworfen, eine angeblich naive, hysterische Jugend zu instrumentalisieren. An den Sitzungen des Klimastreiks lachten wir manchmal etwas verzweifelt über diese paradoxen Vorwürfe.

      Mir und vielen anderen Jugendlichen ging es ähnlich: Wir waren perplex und fühlten uns machtlos. Irgendetwas schienen wir ja richtig gemacht zu haben: Die Klimabewegung erhielt in der Bevölkerung überraschend viel Zuspruch und dominierte die Medien über Wochen. Dennoch schienen unsere Forderungen in ihrer Dringlichkeit nicht zu denen vorzudringen, an die sie gerichtet waren: Parlamente, deren Mitglieder ein Durchschnittsalter von über 50 Jahren haben, fällen kaum Entscheide, die über den Zeitrahmen bis zur nächsten Wahl hinaus Wirkung tragen. Junge Themen fristen ein Nischendasein und stehen auf der politischen Agenda weit unten.

      Es war und ist also eine logische Schlussfolgerung aus der Politisierungswelle der Klimastreiks: Die Jugend kann und muss bei politischen Entscheiden mitbestimmen. Ist es denn nicht die Aufgabe einer Demokratie, die gesamte Bevölkerung zu Wort kommen zu lassen und sie in ihren Parlamenten zu vertreten?

      Die Vorstellung, dass meine Grossmutter 44 Jahre alt werden musste, bis sie zum ersten Mal an einer nationalen Abstimmung teilhaben konnte, macht mich daher immer wieder sprachlos. Meine Grossmutter war kein Heimchen am Herd, das sich nicht um Politik scherte. Neben ihrem langjährigen Engagement als Pfarrfrau für das gesellschaftliche Leben einer Landgemeinde, natürlich unentgeltlich, zog sie fünf Kinder gross. Hunderttausenden starken Frauen wie ihr trauten die Herren dieses Landes jedoch nicht zu, sich eine eigene Meinung bilden zu können und diese auch zu vertreten. Ich weiss, dass ich es der unermüdlichen Arbeit von Generationen oft vergessener, aber unglaublich mutiger Frauen zu verdanken habe, dass ich heute als junge Frau so selbstverständlich am politischen Geschehen teilnehmen kann. Unsere Demokratie dürfen wir keineswegs für selbstverständlich nehmen. Sie ist das Ergebnis jahrhundertelanger Arbeit. Unsere Demokratie ist kostbar und muss bewahrt werden. Das Interesse an der Politik und damit die Freude am politischen Mitgestalten müssen darum stets an die nächste Generation weitergegeben werden. Wählen und Abstimmen sollte eine Plattform für Austausch und Mitgestaltung sein, die auch uns Jugendlichen offensteht. Politiker*innen fahren jedoch fort, uns kleinzureden, während uns gleichzeitig bereits mit 16 Jahren zugetraut wird, wegweisende Entscheidungen in Ausbildung und Berufswahl zu treffen. Das Teilnehmen an politischen Entscheiden, die unser Leben langfristig beeinflussen können, wird uns dagegen untersagt.

      Letzten Herbst bin ich volljährig geworden. Mein 18. Geburtstag fiel exakt auf den Tag der Nationalratswahlen am 20. Oktober 2019. Ich freute mich unglaublich auf meinen ersten Urnengang, telefonierte schon Monate zuvor mit dem zuständigen Amt, um nachzuhaken, ob ich denn auch wirklich bereits an meinem Geburtstag stimmberechtigt wäre. Erstaunlich, aber wahr: Auf dem Amt wusste man das zuerst nicht. Vermutlich war ich die Einzige, die jemals die Frage gestellt hat, ob man schon am Tag der Volljährigkeit abstimmen gehen darf.

      Das geringe politische Interesse der Jugendlichen vor der «Generation Klimastreik» ist vielleicht das Ergebnis davon, dass sie in ihrer Jugend nie ernst genommen wurden. Die Millennials waren keine Wegbereiter für uns. Sie haben Vorurteile gegenüber Jugendlichen, wie «politisches Desinteresse» und «geringe Wahlbeteiligung» gefestigt. Dabei weiss ich, dass viele junge Menschen in der Schweiz heute, genau wie ich bis vor Kurzem, ungeduldig auf den Tag warten, an dem sie zum ersten Mal abstimmen dürfen. Ich wünsche mir, dass sie nicht auf ihren 18. Geburtstag warten müssen.

      Mein Wahlcouvert lag schliesslich doch im Briefkasten. Am Sonntagmorgen radelte ich, wie früher mit meinen Eltern, zum Wahllokal in der Innenstadt. Stolz liess ich meinen Wahlzettel in die Urne gleiten, im zinnoberroten Basler Rathaus. Wie lange hatte ich diesen Moment herbeigesehnt.

      Anmerkungen