Название: Christlich-soziale Signaturen
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Издательство: Автор
Жанр: Зарубежная публицистика
isbn: 9783950493948
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Freilich ist seit 9/11 und den darauf folgenden weiteren Terroranschlägen sowie im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 der Begriff der „christlichen Werte“ zunehmend zu einem Identifikations- und Abgrenzungsmarker, sogar zu einem politischen Kampfbegriff 16 gegenüber der islamischen Welt beziehungsweise dem Islam als Religion mutiert – ungeachtet des historischen Befundes, dass der Islam zu Europa gehört.17 Astrid Mattes18 zeigt anhand einer Analyse von über 800 Parlamentsprotokollen, Presseberichten und politischen Stellungnahmen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, wie in einem Zeitraum von 20 Jahren vor allem die christdemokratischen Parteien den Islam zum Politikum gemacht haben und auf diese Weise ihre inneren Probleme bearbeiten, sei es durch die Problematisierung des Islam, die Aufspaltung in einen „guten“ und einen „bösen“ Islam oder die Konstruktion einer „universalen Religion“ auf Basis des christlichen Erbes.
Christliche Werte und deren Auslegung werden in Europa und Österreich jedenfalls im öffentlichen Raum wieder heftig diskutiert. So wurde zum Beispiel im Umfeld der Frage, welche Flüchtlingspolitik man legitim als „christlich-sozial“ bezeichnen dürfe, eine intensive mediale Debatte geführt.19 Bemerkenswert angesichts dieser Konflikte ist das, trotz gravierender gesellschaftlicher Bedeutungsverluste des Christentums, nach wie vor große Bedürfnis nach religiöser Legitimation politischen Handelns.
Begriffsklärung: Was sind christliche Werte?
Christlicher Glaube
Eine theologisch sinnvolle Rede von christlichen Werten setzt zunächst ein Verständnis des christlichen Glaubens voraus. Aus dieser Perspektive ist der christliche Glaube weder ein Moralsystem noch eine theoretische Weltanschauung, aus der man wie aus einem Steinbruch, je nach Interesse, persönliche, soziale und politische Werte herausbrechen kann. Es handelt sich vielmehr um eine Praxis, die an eine Glaubensgemeinschaft – an eine Kirche – gebunden ist, die von den Gläubigen als Lebens- und Lerngemeinschaft, von den etablierten Großkirchen (katholisch, evangelisch, orthodox) auch als Rechts-, Erinnerungs- und Interpretationsgemeinschaft verstanden wird. Ihre fundamentale Norm finden alle Glaubensgemeinschaften und Kirchen in der Heiligen Schrift. Je nach Konfession haben sodann auch die verschiedenen Auslegungstraditionen in Theorie und Praxis normatives Gewicht.
Der christliche Glaube ist demnach eine Form gelebter Religiosität sowie ein „Stil“20 des Lebens, der alle Bereiche menschlichen Lebens durchdringt und verändern will. Dabei wird nicht die eine Idee universal umgesetzt, sondern der auf die Universalität der Menschheit hin orientierte Glaube findet in der Vielfalt von Kulturen seinen Ausdruck. Christlicher Glaube ist daher universal und plural zugleich – ein Glaube in Verschiedenheit. Zwischen der Glaubenspraxis und den Glaubensinhalten besteht ein unaufhebbarer dialektischer Wechselbezug. Sie begründen, erschließen und kritisieren einander. Primat aber hat die Praxis (vgl. Mt 25), weil sich erst durch sie die Wahrheit des Glaubens bewährt und erschließt. Glaube ohne Praxis mag theoretisch brillant sein, ist aber faktisch eine Ideologie.
Die durch die Auslegungen in Theorie und Praxis entstehende Pluralität findet im Glauben, den die Heilige Schrift bezeugt, ihre normativen Grenzen. Die Gleichsetzung des christlichen Glaubens mit einer bestimmten Kultur oder Epoche – wie wir sie zum Beispiel in Österreich kennen – ist daher nicht möglich.
Entbettet oder isoliert man christliche Werte aus diesen komplexen Zusammenhängen, besteht Ideologie- oder Instrumentalisierungsverdacht. Daher sind auch christliche Werte plural und finden ihre Grenze im Ethos des christlichen Glaubens und seiner Glaubensgemeinschaften. Dort haben sie ihren ersten und ursprünglichen Ort.
Theologische Orientierungen
Christliche Werte wären demnach plurale Vorstellungen vom guten Leben auf der Basis des christlichen Glaubens, die dann der weiteren ethischen Reflexion anhand des christlichen Ethos bedürfen, wie es in der Bibel sowie zusätzlich in der Tradition bezeugt wird. So hat der katholische Theologe Alfons Auer21 in seinen Überlegungen zur Möglichkeit einer autonomen Moral aus christlicher Sicht den christlichen Glauben als stimulierende, kritisierende und integrierende Grundlage für ethische Urteile beschrieben. Der Glaube stimuliert dazu, in ethischen Fragen wach, kreativ und zum Engagement bereit zu sein. Er kritisiert, indem er unmenschliche Vernunftlosigkeit oder Ideologien anprangert. Er integriert alles in sein Ethos, was als menschlich förderlich erfahren wurde und wissenschaftlich zu rechtfertigen ist. Christliche Werte wären demzufolge Vorstellungen vom guten Leben, die vom christlichen Glauben als Motivationshorizont stimuliert, kritisiert und integriert werden.
Der katholische Sozialethiker Dietmar Mieth wiederum eröffnet eine Möglichkeit, auch als Nicht-Christ legitim von Werten zu sprechen. Er verbindet die Frage nach den Werten mit der Frage nach dem Sinn.22 Ohne die Frage nach den Sinnressourcen drohen Werte nämlich zu bloß positivistisch gesetzten Selbstbehauptungen – eines Einzelnen, einer Gesellschaft, einer politischen Partei – zu verkümmern. Mieth definiert Werte als „die Verpflichtung eines erkannten und anerkannten Sinnes von menschlichem Dasein“23. Zwischen „Wert“ und „Sinn des Daseins“ besteht ein untrennbarer Zusammenhang. Das bedeutet, dass sich jeder Wertebegriff in und aus diesem Kontext begründen, erschließen und diskutieren lassen muss. Wo dieser Zusammenhang auseinanderbricht, entstehen Wertideologien. Wer den Wertebegriff ins Spiel bringt, ist also zugleich auskunftspflichtig hinsichtlich des Sinnes von Dasein, den er damit einbringt. Legitim kann der Wertebegriff verwendet werden, wenn er klar definiert und begründet wird; wenn er rückgebunden ist an die personale Würde des Menschen sowie an die konkrete geschichtliche Situation; wenn ein Kommunikationsprozess über Begründungen und Inhalte stattfindet. Mieth macht bewusst, dass der Wertebegriff moralische und ethische Diskussionen ermöglicht und eröffnet, aber moralische und ethische Kategorien nicht ersetzt.
Beitrag für die Demokratie
Christliche Werte lassen sich aus theologischer Sicht auch für demokratische Interessen nicht einfach aus ihrem Glaubenskontext reißen. Sie sind untrennbar an den christlichen Glauben gebunden. Freilich ist das Label „christlich“ keine geschützte Marke, und eine falsche oder missbräuchliche Verwendung lässt sich daher weder verhindern noch sanktionieren. Zudem vertreten auch Menschen, die sich selbst als „religiös“ bezeichnen, Werthaltungen, die weder dem christlichen Glauben noch demokratischen Werten entsprechen. So zeigte die Europäische Wertestudie 2010, dass ein traditionell-religiöses Selbstverständnis signifikant mit erhöhtem Autoritarismus und einer stärkeren Fremdenfeindlichkeit sowie dem Wunsch nach einer homogenen Gesellschaft verbunden ist.24 Auch die Studien des PEW Research Forum on Religion & Public Life „Being Christian in Western Europe“ sowie „Eastern and Western Europeans Differ on Importance of Religion, Views of Minorities, and Key Social Issues“25 belegen, dass praktizierende Christinnen und Christen das Christentum und seine Werte signifikant häufiger als nicht praktizierende als kulturellen Identity-Marker zur Ab- und Ausgrenzung (v. a. vom Islam) benützen und Werthaltungen vertreten, die inkompatibel mit einer lebendigen Demokratie sind.
Wer jedoch die oben entwickelten Überlegungen und Kriterien berücksichtigt, kann und soll sowohl den Begriff der „christlichen Werte“ wie auch konkrete Werte des christlichen Glaubens in den demokratischen Diskurs einbringen.
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