Christlich-soziale Signaturen. Группа авторов
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Название: Christlich-soziale Signaturen

Автор: Группа авторов

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная публицистика

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isbn: 9783950493948

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СКАЧАТЬ nur subjektiv für jemanden gelten („Wertsubjektivismus“).

      Theologie, Philosophie und Ethik begegnen dem Wertebegriff aufgrund dieser Herkunft bis heute eher reserviert. Denn ohne Bezug auf eine universale Transzendenz gibt es keine Möglichkeit, allgemeingültige ethische Prinzipien oder Urteile zu entwickeln. Der Verlust des ethischen Anspruchs auf Universalität kann zu einem Relativismus führen, an dessen Ende nur mehr der menschliche Wille und die Machthaber darüber entscheiden, welche Werte gültig sind. Auch ein gegenständliches Verständnis von Werten, die „objektiv“ vorliegen – gleich, ob außerhalb oder innerhalb des Subjekts –, reduziert den Akt ethischer Urteilsfindung auf positivistische Selbstbehauptung. Die Kritik am ökonomischen Ursprung des Wertebegriffs bringt wiederum Hannah Arendt auf den Punkt:3 Die Reduktion von Ethik auf Werte führt zu einer Vernützlichung, Vergesellschaftung und Austauschbarkeit von Werten, die auch vor der Verrechenbarkeit und Verwertung des Menschen nicht haltmachen werden.

      Aus der Sicht von Judentum, Christentum und Islam4 ist der Wertebegriff überdies deshalb problematisch, weil sich Werte im allgemeinen Sprachgebrauch als Resultate einer radikal autonom gedachten Vernunft verstehen. Nun sind diese drei monotheistischen Religionen selbstverständlich konstitutiv mit ethischen Konzepten verbunden. Aber jene Vernunft ist nicht absolut autonom, sondern relational. Denn diese Religionen anerkennen auch eine heteronome Quelle, der sie ihre Werte verdanken und vor der sie sich zu rechtfertigen haben: die Offenbarung einer göttlichen Autorität. Deshalb spricht man in diesen drei Traditionen bevorzugt von Regeln und Vorschriften, Prinzipien und Normen, Geboten und Gesetzen. Da auch diese der freien und vernünftigen Interpretation unterliegen, sind sie konstitutiv pluralistisch. Aber von der Offenbarung Gottes her sind einer grenzenlosen Pluralität Grenzen gesetzt. So sind beispielsweise der Schutz des Lebens, die Würde und Einzigartigkeit jedes Menschen sowie die Gleichheit aller Menschen unaufhebbare ethische Normen der monotheistischen Traditionen.

      Umgekehrt ist auch der Glaube an Gott in diesen drei Religionen untrennbar mit dem Ethos der Offenbarung verbunden. Wer sie ablehnt, mag an einen Gott glauben – aber er glaubt nicht an jenen Gott, der im Tenach, in der Bibel und im Koran bezeugt wird.5 Dieser ethische Monotheismus hat seinen Ursprung im Alten Testament, das – im Unterschied zu den anderen religiösen Traditionen des Alten Orients – das Ethos (z. B. der Nächsten- und Fremdenliebe) sakralisiert, das heißt der beliebigen Willkür des Einzelnen (z. B. eines Pharaos oder Gottkönigs) entzieht und zu göttlichem Recht erklärt.6 Damit steht zum Beispiel jeder Mensch unter Gottes besonderem Schutz und heiligt Gott, wer sein Ethos befolgt. Die Nächstenliebe ist damit nicht nur Folge, sondern Wesen und Ausdruck der Gottesliebe und ist dem Nächsten nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich geschuldet.7 Von christlichen Werten zu sprechen, ist daher aus der Sicht des ethischen Monotheismus nur dann möglich, wenn sich diese im Ethos Gottes verankern. Die Rezeption des modernen Wertebegriffs erfolgt deshalb vonseiten der ethischen Monotheismen nur mit gewissen Spannungen.

       Von den Chancen christlicher Werte

      Ungeachtet dieser vielen nicht bewussten Spannungen ist es in kirchlichen wie politischen Diskursen heute europaweit gang und gäbe, von „christlichen Werten“ zu sprechen. Während Politikerinnen und Politiker nach deren Beitrag zur Demokratie fragen, sehen die christlichen Kirchen darin die Möglichkeit, christliche Ethik legitim in die ethischen und politischen Debatten einzubringen. Beides birgt Probleme, weil christliche Ethik politisch instrumentalisiert werden kann und der christliche Glaube auf Ethik reduziert zu werden droht.8 Die Interessen sind aber dennoch legitim, weil der Wertebegriff auch zahlreiche sinnvolle Dimensionen birgt. So zeigt sich in seiner weitverbreiteten Verwendung die unverzichtbare Suchbewegung pluralistischer Gesellschaften nach ethischer Orientierung. Bereits dieser Sachverhalt verpflichtet Politik und Kirchen wie auch die Theologie dazu, sich dem Wertebegriff auch positiv anzunähern.

      So wurde der Wertebegriff im Anschluss an Talcott Parson im 20. Jahrhundert zu einem Disziplinen verbindenden Schlüsselkonzept der Human-, Sozial- und Kulturwissenschaften, um Kultur zu erforschen. Er ermöglicht es bis heute, in hermeneutischen wie empirischen Studien nach den real existierenden moralischen und ethischen Einstellungen von Menschen, deren individual- und sozialpsychologischen Funktionen sowie biologischen, soziologischen oder politischen Entstehungsbedingungen zu fragen. Charles S. Peirce, William James, John Dewy, Herbert Mead und Hans Joas wiederum etablierten den Wertebegriff als Teil von Gesellschaft und Kultur in der Sozialphilosophie und im philosophischen Pragmatismus. Hans Joas zum Beispiel definierte Werte als „mental-psychisch verinnerlichte Erfahrungen der Selbsttranszendenz und Selbstbindung, in deren Rahmen Menschen von Lebenswirklichkeiten, die ihnen widerfahren, so ergriffen werden, dass sie sich diese zu eigen machen“9. Werte sind demnach die erfahrungsbasierte, vorethische Grundlage für ethische Urteile. In ihnen bringen sich präreflexive Vorstellungen vom „guten Leben“ zum Ausdruck, die – mehr oder weniger bewusst – das Handeln von Menschen leiten. Weil jedoch nicht jede Vorstellung vom „guten Leben“ auch aus ethischer Sicht „gut“ ist10, bedürfen Werte der kritischen ethischen Reflexion und Bildung. Überdies erschließt sich der Sinn von Werten auch immer erst in konkreten praktischen Verwendungszusammenhängen. So können sich beispielsweise die Werte „Heimat“ oder „Solidarität“ mit politischen Inklusions- oder aber Exklusionspraktiken von gesellschaftlich „anderen“ verbinden.

      Die Anerkennung des Wertebegriffs in diesen Disziplinen macht es den Kirchen und der Theologie jedenfalls möglich, diesen zu rezipieren. Seine Erfahrungsnähe und Subjektbezogenheit sowie die enge Verbindung mit Gesellschaft und Kultur bieten Theologie und Kirchen zahlreiche Anknüpfungspunkte und können Ausgangspunkt für ethische und politische Debatten sein. So definiert der christliche Sozialethiker Clemens Sedmak Werte als „Bezugsrahmen für Präferenzen; Werte sind nicht Entscheidungen, sondern die Grundlage für Entscheidungen; Werte sind nicht Bewertungen, sondern Kriterien für Bewertungen; Werte sind nicht Wünsche, sondern Konzeptionen des Wünschenswerten“11.

       Werte und Demokratie

      Die Verbindung von christlichen Werten und Demokratie ist alles andere als selbstverständlich und taucht in dieser Kombination erst nach 1945 auf. So hat die katholische Kirche die Demokratie erst nach dem Zweiten Vatikanum in ihrer Soziallehre anerkannt. Innerhalb der Kirche gilt sie, anders als in der evangelischen Kirche, als theologisch ungeeignetes Ordnungssystem, da Herrschaft und Recht zunächst nicht beim Volk, sondern bei Gott liegen. Gleichwohl haben alle Kirchen in Österreich ein großes Interesse an funktionierenden Demokratien und setzen sich für diese ein.

      Umgekehrt waren Werte auf der europäischen Ebene lange Zeit überhaupt kein politisches Thema. Die Wertesemantik wurde erst nach 1989 in den politischen Debatten virulent.12 Kontext dieses Rückgriffs auf „Werte“ bildeten dabei die Fragen nach der Integration und der „Idee“ Europas. Im Zuge der weiteren Entwicklungen diente die Beschreibung der Europäischen Union als „Wertegemeinschaft“ zur Selbstverständigung des europäischen politischen Prozesses wie auch des europäischen Gemeinwesens. Denn seit den 1980er-Jahren war die Identität Europas und der Europäischen Union als ihr politisches Projekt fraglich geworden: Die Wohlstandssteigerung taugte – infolge der Ölkrisen und des instabilen Wirtschaftswachstums – nicht mehr als einigendes und legitimierendes Selbstkonzept. Mit der Erweiterung um die mittel-und osteuropäischen Staaten stellte sich überdies die Frage nach dem Sinn und Ziel der europäischen Integration. Das imaginierte Selbstverständnis als „Wertegemeinschaft“ sollte so die Frage nach der politischen Identität der Europäischen Union beantworten.

      Seit 2009 sind nun mit dem Artikel 2 des Vertrags von Lissabon13 folgende Werte in Kraft: Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte. Diese Werte sind in einer Gesellschaft zu wahren, „die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern СКАЧАТЬ