Название: Gott die Ehre
Автор: Stefan Kiechle
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783429065454
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Der Leib. Entgegen dem Klischee, die Exerzitienspiritualität sei verkopft,10 zeigt der Text doch klar die leiblichen11 Anteile des Übens: Geistliches und leibliches Üben werden parallel gesetzt (1). Die Körperhaltung ist wichtig und frei wählbar (76). Immer wieder soll man „die Sinne anwenden“ (121 ff. u. a.). Überhaupt spielt sentir (in etwa „sinnlich spüren“) eine große Rolle, es meint eine Art leibliche Einsicht und Weisheit.12 Essen und Fasten, Licht und leibliche Bußübungen (79 ff., 210 ff. u. a.) werden reflektiert und aktiv eingesetzt.13 Zu Beginn jeder Übung soll man den Schauplatz aufbauen, das heißt mit den inneren Sinnen sich die Szene vorstellen und sie „spüren“ (91 u. a.). In der Unterscheidung der Geister haben die „Regungen“ einen eminent leiblichen Anteil (314 ff.).14
Im Tod wird die Seele vom Leib getrennt; nach der Auferstehung erscheint Christus wieder „in Leib und in Seele“ (219). Der Leib wird also wertgeschätzt und aktiv in das geistliche Üben einbezogen. Der Leib ist ein gleichsam geistliches Mittel, das hilft, den Menschen zu Gott zu führen. Die innige Verbindung und Einheit von Leib und Seele gehören wesentlich zur ignatianischen Schöpfungslehre und Anthropologie.
Gaben von oben. Der Mensch empfängt von Gott Gaben (dones). Mehrfach nennt Ignatius die Gaben zusammen mit Gnaden oder mit Gunsterweisen (gracias, mercedes15: 20, 74, 87, 275). Am Ende der Exerzitien lässt er die Exerzitantin betrachten (234), welche Wohltaten (beneficios) sie empfing: Schöpfung (creación), Erlösung (redención) und besondere Gaben (dones particulares). Mit dieser Aufzählung blickt sie nochmals dankend auf den Weg der Exerzitien zurück, in ihr entdeckt sie eine Steigerung, und ihre Gaben sind insofern „besondere“, als sie wie jeder Mensch individuell Begabungen, Talente, Erfahrungen, Chancen erhielt – mit „Gaben“ meint Ignatius wohl immer diese besonderen Gaben: jene gnadenhaft, also umsonst erhaltenen „Dinge“ (cosas, 23), die die Exerzitantin schätzen, genießen und in der Wahl ihres Lebensstandes für einen Dienst einsetzen soll. Schließlich soll sie ausdrücklich „schauen, wie alle Güter und Gaben von oben (de arríba) herabsteigen“ (237). Das „Von oben“ aller „besonderen Gaben“ ist das anthropologische Fundament für jene oft so bezeichnete ignatianische Mystik der Entscheidung und des Dienstes.16
Ziel der Schöpfung. Über das Warum und Wie des Erschaffens, auch des Menschen, schweigt Ignatius; es scheint ihm selbstverständlicher Ausfluss des Gutseins Gottes zu sein – immer wieder nennt er ihn direkt „Güte“ (bondad: 20, 52, 98, 151, 157 u. a.). Über das Woraufhin oder Wozu der Erschaffung des Menschen äußert er sich allerdings deutlich: „um Gott, unseren Herrn, zu loben, ihm Ehrfurcht zu erweisen und zu dienen und mittels dessen seine Seele zu retten“ (23).
# „Loben“ (alabar) meint, dass der Exerzitant ausdrücklich die Größe und Güte Gottes anerkennt und preist: mit Worten, in schweigender Anbetung, durch sein tätiges Leben.
# „Ehrfurcht“ (reverencia) meint die Erfahrung von etwas Größerem, dem der Mensch sowohl in staunender Nähe wie in scheuem Zurückweichen begegnet. Sie ist eine starke Präsenzerfahrung des Selbst und zugleich eine Transzendenzerfahrung: ein Überstieg auf den Anderen hin. Ehrfurcht zu Gott gibt Gott Ehre, also Respekt und Wertschätzung, ist aber auch Furcht, nicht als Angst vor Bedrohung, sondern eher als Scheu und Scham, ja Demut, also Anerkennen des Geringseins vor dem gewaltig Numinosen.17 „Ehrfurcht machen“ (so wörtlich: hacer) setzt den Menschen in die rechte Beziehung zu Gott, der größer ist als er, der vor ihm war und ihn geschaffen hat, der ihn stützt und führt und der ihn richtend-rettend zu sich holen wird.18
# „Die Seele retten“ (salvar su ánima) klingt nach Höllenangst: Nach dem Tod des Leibes müsse die jedenfalls sündige Seele, damit Gott sie nicht mit ewigen Qualen bestraft, irgendwie gerettet werden. Bei Ignatius mag zeitbedingt diese Vorstellung mitschwingen, und heute darf man getrost einiges von ihr beiseitelegen. Dennoch: Ohne göttliche Hilfe ist der Mensch von einem Tod bedroht, der irdisch endgültig ist. Jetzt in Gott geborgen zu sein gibt dem Menschen Trost und Zuversicht für dieses Leben und außerdem die Gewissheit, dass über den Tod hinaus sein Leben in Gott Vollendung finden wird – beides in einer, eben kontinuierlichen Bewegung. Ohne Jenseitszusage wäre irdisches Leben verzweifelt. Allerdings wird der Mensch sich nicht durch gute Taten selbst retten, sondern er wird sich „mittels“ (mediante esto) des Lobens Gottes und der Ehrfurcht ihm gegenüber so in die rechte Beziehung zu ihm hineinführen lassen, dass er diese als vor jeglichem Unheil rettend und als unverbrüchlich, damit als über den Tod hinaus beständig und in diesem Sinn als ewig erfährt.19
Individuell und sozial. Die Exerzitien sind zuerst auf den Einzelnen konzentriert: „Der Mensch …“, so beginnt der Text fast feierlich. Schweigend, also allein mit ihrem Gott, macht die Exerzitantin individuell angepasste Übungen. Für genau ihre, keine andere Sünde erbittet sie Vergebung. Sie will Christus lieben und ihm nachfolgen, sie lässt sich dazu persönlich rufen. Sie sucht in der Wahl ihre individuelle Gestalt der Berufung. Sie schaut auf den Gekreuzigten, der für sie gelitten hat, und auf den Auferstandenen, der ihr begegnet. Sie will in allem mehr lieben und dienen lernen. – Dieser ignatianische Individualismus springt sofort ins Auge. Jahrhundertelang wurde er fleißig gepflegt, auch zum Klischee ironisiert – ist er schon alles? Vermutlich ist die soziale Verwobenheit des Geschöpfes Mensch heute mehr bewusst als im 16. Jahrhundert, als das Individuum gerade entdeckt und daher wohl umso mehr betont wurde. Doch auch die Exerzitien haben viele soziale Anklänge: Sünden sind in hohem Maß soziale Sünden. Sakramente werden in der Kirche empfangen und von ihr gespendet. In die Nachfolge sind „Jünger“ – in der Mehrzahl, in Gemeinschaft – gerufen. Die Wahl zielt auf einen Dienst – an anderen. Sie ist eine kirchliche Wahl, mit eigenen Regeln und mit Verbindlichkeit. Am Ende steht die Übung, „um Liebe zu erlangen“ (230 ff.)20 – der für das Soziale sicher stärkste Text des Exerzitienbuchs: Liebe ist „Austausch (comunicación) von beiden Seiten her“ (231), also ein Geben und Empfangen, selbstverständlich in Beziehung, als gegenseitige Hilfe, mit Verantwortung. Als soziales Wesen, mit einem individuellen Weg, aber immer lebend in und aus Gemeinschaft, hingestreckt auf den anderen und sich einsetzend für den anderen, ist „der Mensch“ geschaffen und macht er Exerzitien.
Gott erschafft den Menschen, mit Seele und Leib, individuell und als soziales Wesen. Der Mensch soll sich Gott ehrfürchtig nähern und so in eine Beziehung zu ihm eintreten, die ihn trägt und rettet, auch über den Tod hinaus. Dazu empfängt er von Gott Gaben und Gnaden, die er genießen und aktiv für den Dienst nutzen soll. Im Austausch der Gaben wird er ein liebender Mensch.
7Vgl. DEI 121.
8„Wille“ (volundad) ist im klassischen Sprachgebrauch nicht wie heute die vor allem rationale Kraft, etwas anzustreben und durchzusetzen, sondern eher die emotionale, affektive Energie der Seele.
9Ausführlicher dazu Kiechle (1996) 352–355. Gegenüber dem rationaleren Thomismus erkennt Ignatius mit der augustinisch-franziskanischen Tradition eine gewisse Dominanz des Willens.
10Das war sie in ihrer jahrhundertelangen Praxis durchaus; ihr Leibbezug wird seit einigen Jahrzehnten wiederentdeckt.