Die große Inflation. Georg von Wallwitz
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Название: Die große Inflation

Автор: Georg von Wallwitz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783949203152

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СКАЧАТЬ konnte. Kaum jemand sah die wirtschaftliche Achillesferse des Kaiserreichs, die in den kurzen Kriegen des 19. Jahrhunderts unsichtbar geblieben war: Die Steuerbasis von Bismarcks Koloss in der Mitte Europas war bereits in Friedenszeiten bestenfalls tönern. Das Reich lebte von einigen marginalen Steuern und von Zöllen (und war in dieser Hinsicht der heutigen EU vergleichbar), während die Länder, jedes für sich, eine eigene Steuerpolitik betrieben und sich in einen Wettbewerb um die niedrigste Belastung begaben. Deutschland war vor dem Ersten Weltkrieg, nach heutigen Maßstäben, eine Steueroase. Hat man aber je gehört, dass eine Steueroase einen Krieg gewonnen hätte? Eine wesentliche Voraussetzung nicht nur für eine stabile Währung, sondern auch für einen erfolgreichen Waffengang war der effiziente Zugriff auf Einkommen und Vermögen der Bürger und das darauf basierende Vertrauen eines weiten Kreises von Kreditgebern. Davon konnte 1914 keine Rede sein. Lediglich 3,5 % der Einnahmen des deutschen Staates kamen 1913 aus direkten Steuern, gegenüber 47,5 % in Großbritannien, welches bereits über eine moderne Steuerverwaltung verfügte. Die öffentlichen Ausgaben betrugen vor dem Krieg lediglich 15 % des Volkseinkommens. Bei allem Wohlstand, den Deutschland sich erarbeitet hatte, fehlte die finanzielle Infrastruktur für einen langen und verlustreichen Krieg. Woher das Geld nehmen, wenn der Gegner sich nicht besiegen ließ und seine Kassen außer Reichweite blieben? So stark Deutschland äußerlich erschien, die Kombination aus goldgebundener Währung, schwachem Steuerstaat und unterentwickelten Kapitalmärkten zwang die Regierung zu Kreativität bei der Finanzierung des Krieges. Die Ausweitung der Geldmenge war die logische Konsequenz. Das allein hätte aber auch nicht ausgereicht, um aus einer schleichenden Inflation eine trabende oder gar galoppierende zu machen.

      18Die Zitate von Friedrich Bendixen finden sich in: Währungspolitik und Geldtheorie im Lichte des Weltkrieges, S. 27.

      19Der Stein der Weisen, so viel ist heute sicher, befindet sich nicht in greifbarer Nähe. Gold kann nicht auf der Erde entstanden sein, ja nicht einmal in unserem Sonnensystem. Die größten hier verfügbaren Kräfte, die etwa im Inneren der Sonne wirken, setzen weniger als 10 MeV pro Nukleon (Proton oder Neutron) frei, was hinreichend ist für die Entstehung von Eisen, nicht aber für alle schwereren Metalle wie Blei oder die Edelmetalle. Die schwereren Elemente entstehen in einem r-Prozess (»r« steht für »rapid«), in welchem bei extrem hohen Temperaturen Neutronen eingefangen und zu neutronenreichen Atomkernen aufgebaut werden, die dann rasch, sehr rasch in die stabilen neutronenreichen Elemente wie Gold (oder instabile, aber langlebige Isotope wie Uran) zerfallen. Ein r-Prozess kommt durch eine Explosion mit sehr vielen Neutronen ins Laufen, aber wo und wie mag es dazu kommen? Astrophysiker gehen heute davon aus, dass die Kollision zweier Neutronensterne oder die Kollision eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch die nötigen Energiemengen freisetzt. Durch einen galaktischen Zufall werden die so geschaffenen Elemente, als seien es Sternentaler, auf die Erde geschleudert und dort, seit es Menschen gibt, hochgeschätzt. Vgl. dazu Stephan Rosswog: »Out of Neutron Star Rubble Comes Gold«. In: Physics 10, 131, Dez. 2017.

      20Wie so oft im Zusammenhang mit monetären Phänomenen lässt sich auch hier oft nicht sagen, wer die Henne ist und was das Ei. Das Horten von Geld kann die Folge, aber auch die Ursache einer Deflation sein.

      21Deutsche Bundesbank: Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen 1876–1975, S. 14, 16, 37f.

       Rathenaus Planwirtschaft

      Walther war der Sohn von Emil Rathenau, dem Gründer der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), die es sich zum Ziel gemacht hatte, nach dem Vorbild von Thomas Edisons General Electric Corporation in Deutschland die Stromerzeugung und -verteilung voranzubringen und zu diesem Zweck auch die entsprechenden brauchbaren Produkte auf den Markt zu bringen. Das war eine außerordentliche Idee, denn im selbstverliebten Europa der Belle Époque hatten nur wenige Unternehmer begriffen, dass in den USA nicht nur sehr viel Getreide wuchs, sondern auch neue Techniken entwickelt wurden. So erwarb der ältere Rathenau Edisons Patente auf Glühbirnen für Deutschland. Die AEG war aber auch aus eigenem Recht erfinderisch, wie etwa die Erfindung des Drehstrommotors und die Entwicklung der drahtlosen Telegraphie (im Rahmen der gemeinsam mit Siemens & Halske gegründeten Tochtergesellschaft Telefunken) bewiesen. Die AEG war innerhalb weniger Jahre zu einem der großen Konglomerate in Deutschland aufgestiegen. Siemens und die AEG wurden für die Elektroindustrie, was Thyssen, Krupp und Stinnes für die Kohle- und Eisenindustrie wurden, Bayer, BASF und Höchst für die Chemische Industrie sowie die Deutsche, Dresdner und Danat Bank für die Kreditwirtschaft. Diese nationalen Champions steckten nach dem Vorbild der amerikanischen Trusts oder der mittelalterlichen Zünfte ihre Reviere in Syndikaten (heute »Kartelle« genannt) ab, um Konkurrenz zu vermeiden und Gewinne zu sichern. In den Syndikaten wurden Preise und Produktionsmengen einvernehmlich festgelegt, so dass niemand das Geschäft des anderen beschädigte. Für die Verbraucher bedeutete dies eine stabile Versorgung zu hohen Preisen und für die Unternehmer ein angenehmes Leben, in welchem sie sich nicht um niedrigere Kosten oder bessere Qualität kümmern mussten, um ihren Teil vom Kuchen zu verteidigen. In der wohlgeordneten Kaiserzeit versorgten die Syndikate einen meist dankbaren Staat mit Industriearbeitsplätzen und standen dem rasant steigenden allgemeinen Wohlstand jedenfalls nicht im Wege. Im Gegenzug wurde die Wirtschaft weitgehend in Ruhe gelassen, wenig besteuert und reguliert, in dem Vertrauen, sie werde schon von allein das Richtige tun. Industrielle und Bankiers mochten auf der gesellschaftlichen Bühne hinter Adel und Militär zurückstehen, ihr Ansehen und ihr Einfluss waren durch ihre Staatsnähe dennoch erheblich. In der Regierung standen ihnen die Türen immer offen, ihr Rat wurde gerne gehört und in entsprechenden Gremien institutionalisiert. Sie gehörten zum personellen Motor des Aufstiegs Deutschlands zur wirtschaftlichen (und damit auch militärischen) Großmacht.

      In diesem Club der Firmenpatriarchen kannte jeder jeden, man war staatsnah, technikaffin und, je nach Neigung, patriotisch, national oder imperialistisch gesinnt. Walther Rathenau war doppelt Mitglied als Industrieller und Bankier, denn er hatte, um dem Vater seine Tauglichkeit zu beweisen und sich eine Existenz jenseits des Familienbetriebs aufzubauen, 1902 das Angebot angenommen, Vorstand der Berliner Handelsgesellschaft des legendären Bankiers Carl Fürstenberg zu werden. Sein Erfolg als Finanzier konnte ihn nicht darüber hinwegtrösten, dass er in der AEG nie wirklich das Ruder übernehmen durfte. Nach dem Tod seines ursprünglich als Firmenerbe vorgesehenen jüngeren Bruders Erich wurde er zwar Aufsichtsratsvorsitzender, aber in der Rolle eines zahnlosen Erben. Sein Vater hielt ihn für zu weich, für einen Mann von hohen Geistesgaben, dem aber der rohe Geschäftsinstinkt abgehe. Als Vorstandsvorsitzenden berief er Felix СКАЧАТЬ