Название: Die große Inflation
Автор: Georg von Wallwitz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783949203152
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Geld und Schulden entstehen, grob gesagt, indem eine Bank dem Kreditnehmer auf dessen Konto ein Guthaben einbucht. Dieses Geld wird nicht einem anderen weggenommen, es entsteht neu, aus dem Nichts. Mit den Bankschulden wächst also auch die Geldmenge.15 Die Schöpfung des Geldes aus heiterem Himmel ist für viele Menschen schwer zu akzeptieren, auch wenn sie jeden einzelnen Schritt und die Funktionsweise des Bankensystems nachvollziehen können. Nichts daran ist obskur, und dennoch bleibt ein Unbehagen. Der einzige Trost mag darin liegen, dass eine gewisse Unverständlichkeit weder selten ist noch schädlich sein muss – solange das Vertrauen in die handelnden Personen gut begründet ist. Friedrich Schlegel hat – in einem ganz anderen Kontext – darauf hingewiesen, dass es in menschgemachten Verhältnissen häufig vorkommt, dass auch das Wichtigste »irgendwo an einem solchen Punkte [hängt], der im Dunkeln gelassen werden muß, dafür aber auch das Ganze trägt und hält, und diese Kraft in demselben Augenblicke verlieren würde, wo man ihn in Verstand auflösen wollte«.16 Es gibt nicht den einen Archimedischen Punkt, aus dem sich der Wert des Geldes wie in einer mathematischen Formel stringent herleiten ließe, sondern nur Buchungen, Funktionen und Kontrollmechanismen, die, wenn sie verantwortlich gehandhabt werden, ihren Zweck erfüllen. Nicht mehr und nicht weniger.
Privatpersonen machen Schulden meistens zum Erwerb oder zur Schaffung neuer Wirtschaftsgüter. Die durch die entsprechenden Buchungen bei der Bank gestiegene Geldmenge steht dann einer gestiegenen Menge an werthaltigen Wirtschaftsgütern (wozu Kriegswaffen nicht zählen, die in der Regel schnell kaputtgehen und nicht zur Produktion von etwas Neuem taugen) entgegen, so dass in der Regel kein inflationärer Effekt entsteht – zumal die Kredite irgendwann zurückbezahlt werden müssen, wodurch die Geldmenge wieder schrumpfen kann. Der Staat ist in einer anderen Situation: Da er (theoretisch) das ewige Leben hat, muss er seine Schulden nicht zurückzahlen, sondern kann sie bei Fälligkeit durch neue ersetzen (»rollen«), sofern er noch kreditwürdig ist. Und wenn er weder willige Geldgeber findet noch seinen Steuerzahlern zusätzliche Bürden zumuten möchte, kann er die Notenbank anweisen, die ausstehenden Staatsanleihen zurückzukaufen (zu monetisieren). Das vergrößert die Geldbasis, löst aber kurzfristig das Finanzierungsproblem. Da der Staat also die Möglichkeit hat, in schwierigen Situationen mit Hilfe der Zentralbank unbegrenzt Geld zu schaffen, das er oft nur langsam (oder gar nicht) zurückzahlt, ist der Zusammenhang zwischen hoher Staatsverschuldung und anschließender Geldentwertung theoretisch plausibel und in der Praxis oft beobachtet worden.
Dennoch gibt es hier keinen Automatismus. Eine hohe Staatsverschuldung ist (ebenso wenig wie eine stark wachsende Geldmenge) weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für eine Inflation. Im Zweiten Weltkrieg stiegen die Schulden Großbritanniens auf 250 % der Wirtschaftsleistung an. Obwohl der Krieg lange Zeit ungünstig für Großbritannien verlief, kam es nicht zu einer Schuldenkrise. In dieser Situation höchster Unsicherheit war offensichtlich die Nachfrage nach einem sicheren Hafen für die Ersparnisse hoch. Japan ist für die Gegenwart ein Beispiel für Stabilität und niedrige Inflationsraten, obwohl dort die Notenbankliquidität seit 2013 dramatisch angewachsen ist und die Staatsverschuldung nach Jahrzehnten struktureller Defizite ebenfalls bei etwa 250 % der Wirtschaftsleistung liegt – ohne dass ein merklicher Einfluss auf die Zinsen oder die Inflationserwartungen spürbar wäre. In diesem Fall legt ein guter Teil der gealterten Bevölkerung ihr Geld in Staatsanleihen an und sorgt dadurch für Stabilität und niedrige Zinsen. Auch der Umstand, dass die Bank of Japan einen immer größeren Teil der Staatsschulden hält, ist seit Jahrzehnten unproblematisch. Die Europäische Zentralbank und die Bank of England halten heute etwa 35 % der jeweiligen Staatsschulden, ohne dadurch eine bemerkenswerte Inflation auszulösen. Olivier Blanchard, ehemaliger Chefökonom des Weltwährungsfonds, stellt angesichts dieser Entwicklung (die in Europa und den USA nicht unähnlich ist) die Überlegung an, ob Staatsschulden für Länder, die sich in eigener Währung verschulden können, überhaupt ein Problem darstellen müssen. Solange sie ihre Zinskosten unterhalb der Rate des Wirtschaftswachstums (und damit des Wachstums der Steuereinnahmen) halten können, zahlen sich demnach die Schulden praktisch von allein zurück und es gibt keinen Grund, sich um die Höhe der Schulden Sorgen zu machen.17 Demnach wäre auch nicht das Verhältnis von Schulden zu Wirtschaftsleistung die entscheidende Größe bei der Beantwortung der Frage: Wie viele Schulden sind zu viel? Die relevante Größe wäre der Anteil der Wirtschaftsleistung, der für den Schuldendienst aufgewendet werden muss. Ein Land, in dem für Staatsanleihen niedrige Zinsen gezahlt werden, kann sich höhere Schulden leisten als ein Land mit hohem Zinsniveau.
Es gibt bis heute keine vollständig befriedigende Theorie zur Inflation. Aber es gibt eine Reihe von Faktoren, die immer wieder im Zusammenhang mit Inflation auftauchen, wie die Täter am Ort des Verbrechens. Die Staatsverschuldung zählt dazu. Ebenso wie die Geldmenge, die von der in den 1970er und 1980er Jahren beliebten Quantitätstheorie der Inflation als wesentliche Ursache ausgemacht wurde.
7Zur deutsch-britischen Konkurrenz vor dem Ersten Weltkrieg und den Parallelen zum chinesisch-amerikanischen Antagonismus in der Gegenwart vgl. Markus Brunnermeier et al.: »Beijing’s Bismarckian Ghosts: How Great Powers Compete Economically«. In: The Washington Quarterly, Vol. 41/3 Herbst 2018, S. 161–176.
8Helfferich: Deutschlands Volkswohlstand 1888–1913, S. 100 und S. 63.
9Zu Helfferich gibt es nur eine brauchbare Biographie, aus der alle hier erwähnten Angaben zu seiner Lebensgeschichte stammen: Williamson: Karl Helfferich.
10Das Protokoll der Reichstagssitzung findet sich unter https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt_k13_bsb00003402_00235.html.
11Felix Pinner: »Entfesselte Instinkte«. In: Berliner Tageblatt, 21. 12. 1918, Abendausgabe, S. 4.
12Vgl. Williamson: Karl Helfferich, S. 146. Diese Berechnungen stimmen ungefähr überein mit Holtfrerich: Die deutsche Inflation 1914–1923, S. 15.
13Holtfrerich: Die deutsche Inflation 1914–1923, S. 185ff.
14Vgl. beispielsweise Hans-Werner Sinn: Corona und die wundersame Geldvermehrung in Europa. Vortrag gehalten am 14. 12. 2020 am Ifo-Institut München. https://www.ifo.de/vortrag/2020/weihnachtsvorlesung/corona-und-geldvermehrung.
15Anders verhält es sich, wenn der Schuldner (privat oder staatlich) Geld aufnimmt, indem er eine СКАЧАТЬ