Название: Psychologie
Автор: Rainer Maderthaner
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: utb basics
isbn: 9783846355404
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2.3.3 | | Vergangenheit – Gegenwart |
In welchem Ausmaß sind wir durch unsere Vergangenheit determiniert? Wie stark legen bereits vergangene Erfahrungen (z.B. Kindheitserlebnisse) unsere gegenwärtige emotionale und geistige Konstitution fest, und wie veränderbar sind unsere erworbenen Einstellungen und Gewohnheiten?
Aus der entwicklungspsychologischen Forschung ist etwa bekannt, dass durch frühkindliche Verwahrlosung – zum Beispiel durch frühe mehrmonatige Heimaufenthalte (Hospitalismus) – schwerste Beeinträchtigungen in der Gefühls- und Sozialentwicklung entstehen können (s. auch Bindungsstil, 12.7). Ein ähnliches Phänomen konnte bei Schimpansen nachgewiesen werden (Harlow & Harlow, 1962). Sozial- und lernpsychologische Studien zeigten außerdem auf, dass große Teile unserer sozialen Verhaltensweisen wie auch Beziehungsmuster bereits in frühen Jahren „latent“ durch Beobachtung erworben werden (s. 6.11). Aufgrund von Erfahrungen entwickeln wir zudem Vorurteile - und Stereotypien (s. Kap. 11), und oft überschatten auch angstvolle oder aggressive Vorerfahrungen das private oder berufliche Leben (s. Kap. 12).
Merksatz
Zweifellos sind Erleben und Verhalten stark durch vergangene Erfahrungen geprägt, deren Auswirkungen können jedoch durch neue Erfahrungen modifiziert werden.
Allerdings bewies die psychologische Forschung gerade auch die Änderungs- und Lernfähigkeit des Menschen in allen diesen Bereichen. Der daraus resultierende „Milieuoptimismus“, die Betonung der umweltbedingten Plastizität menschlichen Erlebens und Verhaltens, wird verständlicherweise weniger geteilt in Forschungsbereichen mit starkem medizinischen oder biologischen Einschlag.
Freier Wille – Determiniertheit | | 2.3.4 |
Haben wir einen freien Willen? Kann es Freiheit überhaupt geben, wenn Verhaltensweisen kausal erklärt werden können? Wie kann dann allerdings jemand zur Verantwortung gezogen werden, wenn er seine Entscheidungen nicht frei treffen kann?
Prinz (2004, 201) kommt zu dem Schluss, dass aus naturwissenschaftlicher Sicht die Annahme eines Indeterminismus und der damit verbundene Erklärungsverzicht inakzeptabel sei und dass deshalb „für Willensfreiheit als theoretisches Konstrukt im Rahmen der wissenschaftlichen Psychologie kein Platz“ sei. Aus dieser Sicht ist der freie Wille eine „Illusion, wenngleich vielleicht eine, die dem Menschen hilft, mit seiner Natur zurecht zu kommen“ (Markowitsch, 2004, 167). Dagegen kann man einwenden, dass sich eine vollständig kausal determinierte Wirklichkeit mit ihren zahlreichen Wechselwirkungen und Rückkoppelungen zwar postulieren, aber nicht nachweisen lässt, weil Prozesse nicht beliebig genau registriert werden können („Chaostheorie“; Kriz, 1992).
Merksatz
Der Widerspruch zwischen der Annahme einer kausal determinierten Welt und dem subjektiven Empfinden eines freien Willens kann gelöst werden, indem Letzterer als Ausmaß der Einsicht in kognitiv begründete Entscheidungsalternativen und damit partieller Unabhängigkeit von situativen Zwängen interpretiert wird.
Im Gegensatz zu radikal deterministischen Standpunkten könnte Freiheit allerdings auch das Erkennen von Handlungsalternativen bedeuten. Je mehr Möglichkeiten des Handelns bewusst erkannt werden, desto größer sind der Freiheitsgrad und die Selbstverantwortlichkeit beim jeweiligen Individuum. Goschke (2004, 188) meint dazu: „Im Laufe der Evolution unterschiedlicher Formen der Verhaltenssteuerung ist es zu einer zunehmenden Abkoppelung der Reaktionsselektion von der unmittelbaren Reizsituation und Bedürfnislage gekommen, womit gleichzeitig ein Zuwachs an Freiheitsgraden der Verhaltenskontrolle verbunden war“, und weiter: „Die Freiheitsgrade, die sich aus der Fähigkeit zur antizipativen Verhaltensselektion und Selbstdetermination ergeben, begründen insofern die einzige Form von Willensfreiheit, die wir wollen können, wenn wir einem naturalistischen Weltbild verpflichtet sind“. Die Handlungsfreiheit eines Menschen ist demnach umso größer, je mehr Einsicht er in die Voraussetzungen, Bedingungen und Konsequenzen seines Handelns hat. Ein solcher Standpunkt wird heute wahrscheinlich von den meisten Psychologinnen und Psychologen vertreten.
Von dieser Warte aus erscheinen die Annahmen eines freien Willens und einer kausal vollständig determinierten Welt logisch nicht widersprüchlich, weil es sich im einen Fall um die Selbstbeobachtungsperspektive und im anderen Fall um die Fremdbeobachtungsperspektive handelt (Kuhl, 1996). Die Entscheidungen eines erwachsenen Individuums sind insofern prinzipiell frei, als sie mit dem Erreichen geistiger Reife und Mündigkeit bewusst reflektiert werden können (eine umfassende Diskussion dieser Thematik liefern Cranach & Foppa, 1996; auch Lukas, 2004).
2.3.5 | | Bewusst – unbewusst |
Merksatz
Der Großteil psychischer Informationsverarbeitung erfolgt automatisch und wird nicht bewusst kontrolliert. Bewusstsein wird dann eingeschaltet, wenn unbekannte Informationen auftreten, genauere Analysen von Kognitionen anstehen oder neue Handlungen zu entwerfen sind.
Viele Menschen sind davon überzeugt, ihr Verhalten sei überwiegend bewusst kontrolliert. In welchem Ausmaß steuern jedoch auch unbewusste psychische Prozesse unser Erleben und Verhalten? Wenn man wie der Physiologe Keidel (1963) lediglich die neuronale Ausstattung des Menschen betrachtet und die „Kanalkapazität“ (Durchflussgeschwindigkeit) der menschlichen Informationsverarbeitung abschätzt, dann erhält man 109 bit/s für Sinnesorgane, 107 bit/s für die Verhaltensorgane, und nur etwa 102 bit/s entfallen auf das Bewusstsein. Exaktere Untersuchungen über die kontrollierte versus automatisierte Verarbeitung von Informationen stammen von Schneider und Schiffrin (1977), die ebenfalls die engen Grenzen einer bewussten Steuerung menschlicher Lebensäußerungen aufzeigen. Wir müssen also allgemein davon ausgehen, dass die überwiegende Mehrheit psychischer Prozesse automatisch abläuft und dass sich nur dann das Bewusstsein einschaltet (als „psychische Lupe“ nach Mandler, 1979), wenn die automatischen Programme nicht mehr zum gewünschten Ergebnis führen, wenn neue Aufgaben gelöst werden müssen oder wenn gespeicherte Erfahrungen einer geistigen Analyse unterzogen werden (s. dazu auch Kap. 4).
Allgemeingültigkeit – Einzigartigkeit | | 2.3.6 |
nomothetisch: gesetzgebend, gesetzesfindend ideografisch: das Einzelne beschreibend
Merksatz
Eine Beschreibung der psychischen Beschaffenheit des Menschen erfordert sowohl generalisierende als auch spezifizierende Vorgehensweisen.
Sind alle Menschen gleichartig strukturiert, sodass sich für alle allgemeinpsychologische Gesetze formulieren lassen, oder sind Menschen hinsichtlich ihrer Persönlichkeit, ihrer Einstellungen und ihrer Denkweise so unterschiedlich, dass für jede Person ein eigenes theoretisches Modell erstellt werden muss? Die erste Annahme entspricht eher der nomothetischen, die zweite der ideografischen Betrachtungsweise in der psychologischen Forschung, wobei die erste eher für die naturwissenschaftliche und die zweite eher für die geisteswissenschaftliche Richtung steht. Bortz und Döring (1995, 274) meinen allerdings: „Diese Begriffsbestimmung gilt heute als wenig hilfreich, da rein ideografisches Arbeiten nicht als wissenschaftlich bezeichnet werden kann“ (wegen des geringen Grads an Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse). Umgekehrt kann man in der Psychologie auch nicht auf den ideografischen Aspekt verzichten, weil man sonst etwa in der Beratung oder in der Therapie den konkreten Menschen zu verlieren droht. Zum Beispiel sind Diagnosen, Gutachten und Behandlungsprogramme ideografische „Produkte“, die allerdings unter Zuhilfenahme nomothetischer Kenntnisse entworfen werden.
Wertfreiheit – Wertbekenntnis | |
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