Название: Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik
Автор: Michael Bohnet
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783846351383
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Aus dem Gedanken heraus, dass die im zweiten Entwicklungsjahrzehnt notwendige Entwicklungspolitik der Industrienationen nicht alleine Aufgabe der Regierung sein könne, sondern von einer breiten Schicht der Bürger verstanden, bejaht und getragen werden sollte, hatte Bundespräsident HeinemannHeinemann, Gustav die Gründung eines Forums für EntwicklungspolitikForum für Entwicklungspolitik angeregt. Am 17. August 1970 berief der Bundespräsident 27 sachkundige Persönlichkeiten auf die Dauer von 3 Jahren in das Deutsche Forum für Entwicklungspolitik.32 Sie repräsentierten folgende gesellschaftliche Bereiche und Gruppen: Gewerkschaften, Landwirtschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Jugend, Kirchen, politische Stiftungen und Publizistik. Das Forum sollte in seiner Zusammensetzung bewusst den Meinungspluralismus in der Bundesrepublik widerspiegeln, um mit seinen Aussagen ein entsprechend breites Echo in der deutschen Bevölkerung zu erreichen. Es arbeitete unabhängig und war an Weisungen nicht gebunden. Das Forum hatte ein dreiköpfiges Präsidium:33 Prof. Theodor DamsDams, Theodor, Universität Freiburg, der Schriftsteller Günter GrassGrass, Günter und Dr. Wilfried GuthGuth, Wilfried, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank. Das Forum hatte die Aufgabe, die Bewusstseinsbildung in allen Schichten und gesellschaftlichen Gruppen in der Bundesrepublik über Zielsetzung und Bedeutung der Entwicklungspolitik zu fördern. Die Wirkungen des Forums hielten sich in Grenzen.
Erhard EpplerEppler, Erhard war ein visionärer, fordernder, zuweilen aber auch schwieriger Minister. Gunther HuonkerHuonker, Gunther, EpplersEppler, Erhard Büroleiter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, erinnert sich: „Niemand im Hause konnte EpplerEppler, Erhard Redeentwürfe liefern, die seinen Vorstellungen auch nur annähernd entsprachen. Das gab nur Ärger. Große Reden hat er gleich selbst geschrieben.“ Auch ich musste dies schmerzlich erfahren, mein erster Redeentwurf für eine Rede des Ministers bei dem Entwicklungsausschuss der OECD in Paris fiel glatt durch. „Lesen Sie erstmal die Akten gründlich“, stand auf meinem mit Herzblut geschriebenen Entwurf.
Nachdem Bundeskanzler Willy BrandtBrandt, Willy infolge der GuillaumeAffäreGuillaumeAffaire im Mai 1974 seinen Rücktritt eingereicht hatte, übernahm mit Helmut SchmidtSchmidt, Helmut ein Politiker das Amt, der nicht nur eine generelle kritische Haltung gegenüber der Eppler’schen Version von Entwicklungspolitik einnahm, sondern der angesichts der Ölkrise eine stärkere Berücksichtigung der Eigeninteressen forderte und tendenziell beabsichtigte, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen.34
EpplersEppler, Erhard entwicklungspolitische Bilanz ist beachtlich. Er legte die erste umfassende Konzeption der deutschen Entwicklungspolitik der Öffentlichkeit vor. Entwicklungszusammenarbeit erfolgte von nunmehr auf der Grundlage länderbezogener Hilfeprogramme. Dem Umweltschutz wurde ein wichtiger Platz eingeräumt, regionale Entwicklungsvorhaben gefördert und das Instrument der Programmfinanzierung eingeführt. Ferner wurde ein Gastarbeiterprogramm und ein Technologieprogramm konzipiert und ein Forum für Entwicklungspolitik gegründet. Kritisch anzumerken bleibt die Gewährung eines großen Entwicklungskredits an Jugoslawien am Parlament vorbei. EpplerEppler, Erhard hat die notwendigen Konzepte erarbeitet, in quantitativer Hinsicht ist ihm hingegen kein Durchbruch gelungen.
EpplerEppler, Erhard stellte am Ende seiner Amtszeit resigniert fest: „Ein neues, zwischen mächtigen Ressorts eingezwängtes Ministerium ist auf ein Mindestmaß an Wohlwollen im Kanzleramt angewiesen. Nur wenn zumindest offen ist, wie ein Streit enden wird, der bis ins Kabinett getragen wird, kann ein solches Ressort arbeiten.“35 Unter BrandtBrandt, Willy hatte EpplerEppler, Erhard dieses Wohlwollen für die Entwicklungspolitik ausgemacht. Helmut SchmidtSchmidt, Helmut dagegen wollte von Entwicklungspolitik möglichst wenig hören. Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass kurz nachdem das BMZ die nötigen Kompetenzen für eigenständiges Arbeiten erhalten hatte, unter der Kanzlerschaft Helmut SchmidtsSchmidt, Helmut kein Interesse mehr an Entwicklungspolitik bestand. Als für EpplerEppler, Erhard klar wurde, dass vom Kanzler kaum neue finanzielle Engagements bewilligt werden würden, trat EpplerEppler, Erhard am 4. Juli 1974 zurück.36 In seiner Rücktrittserklärung zitierte er Gustav HeinemannHeinemann, Gustav mit dem Satz: „Wer heute nur für sich selber sorgen will, verspielt mit der Zukunft anderer auch seine eigene.“37 Für EpplerEppler, Erhard war Entwicklungspolitik ein Versuch, das Leben für alle erträglich zu machen, damit es nicht für alle unerträglich wird.
❋ Stimmen von Zeitzeugen: Manfred Kulessa, Herbert SahlmannSahlmann, Herbert
Manfred KulessaKulessa, Manfred
Geschäftsführer des Deutschen Entwicklungsdienstes 1969–1974, UNDP 1974–1988, UNKoordinator in China 1983–1988. Honorarkonsul des Königreichs Bhutan.
Weltinnenpolitik und Pietcong
Als der britische Diplomat D.J.M. Cornwell (John Le Carré) Erhard EpplerEppler, Erhard auf einer gemeinsamen EnglandReise kennenlernte, notierte er erstaunt, dass für diesen jungen Abgeordneten Politik zu 90 % aus Ideen und nur zu 10 % aus Beziehungen bestand, während doch bei den meisten Politikern dieses Verhältnis in der Realität eher umgekehrt zu sein pflegt. Das hinderte allerdings Willy BrandtBrandt, Willy nicht daran, dem schwäbischen Protestanten im bewegten Jahr 1968 unmittelbar nach der richtungsweisenden Weltkirchenkonferenz von UppsalaWeltkirchenkonferenz von Uppsala das BMZ anzuvertrauen.
Später hat EpplerEppler, Erhard über die begrenzte politische Unterstützung in diesem Amt geklagt, die ihm eigentlich nur von den MitteLinksGruppierungen in der SPD und allenfalls sporadisch aus der CDU zuteil wurde, z.B. von der unvergessenen Erika WolfWolf, Erika. Heute wissen wir, dass EpplerEppler, Erhard seiner Zeit voraus war. Dabei ist niemand klarer und entschiedener für eine Politik internationaler Solidarität eingetreten als er. Er tat dies in zahlreichen Büchern und Reden, auf Kirchentagen bis hin zu Gewerkschaftskongressen (z.B. in Oberhausen 1972, wo er sein Konzept von „Lebensqualität“ vorstellte) wie auf Parteiveranstaltungen und internationalen Konferenzen. In ungewöhnlicher Weise pflegte er den Meinungsaustausch mit dem MontagskreisMontagskreis junger bmz-beamter wie mit prominenten Gesinnungsgenossen, etwa dem Vietnam-geläuterten Robert McNamaraMcNamara, Robert, Staatsmännern wie NyerereNyerere und PalmePalme, Olof und Carl-Friedrich von Weizsäckervon Weizsäcker, Carl-Friedrich, den er damals für den Vorsitz des Deutschen EntwicklungsdienstesDeutscher Entwicklungsdienst gewinnen konnte.
Tatsächlich hat er anregend und motivierend auf eine ganze Generation entwicklungspolitisch engagierter Menschen in Staat, Kirche und Zivilgesellschaft gewirkt. Hierin liegt wohl seine besondere historische Leistung. Natürlich ging das nicht ohne Konfrontationen ab, und er nahm dabei auch einige Risiken auf sich. In Anlehnung an RosenstocksHuessysRosenstockHuessy Begriff der Friedenspiraten nannte er die Entwicklungshelfer gelegentlich „Friedenspiraten“ und lieferte damit Gegnern und Kritikern das rote Tuch, mit dem sie ihn in die linke Ecke zu verweisen suchten. Herbert WehnerWehner, Herbert, der ähnliche Angriffe selbst reichlich erfahren musste, bezeichnete EpplerEppler, Erhard und seine Gefolgsleute freundlichgrimmig als „Pietcong“.
Manfred KulessaKulessa, Manfred: Abgang Erhard EpplerEppler, Erhard (1974)
Im Bundestag hat dieser Lehrer
Mehr Kritiker als Verehrer.
Ob er wohl im Be-Em-Zette
Eine Kaderschmiede hätte,
fragte dreist die CDU
und sie schaute ungern zu,
traf er sich nach langer Reise
nicht im Beirat weiser Greise,
nein, im linken Montagskreise.
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