Название: Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt
Автор: Umberto Eco
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783846353776
isbn:
Die Diplomierung führt in ihren verschiedenen Formen zur praktischen Berufstätigkeit. Der PhD dagegen qualifiziert zu einer Tätigkeit im akademischen Bereich; wer diesen Titel also erwirbt, schlägt fast immer die akademische Laufbahn ein.
Eine »echte PhD-Arbeit« beruht immer auf eigenständiger Forschung; der Kandidat muß beweisen, daß er in der Lage ist, das gewählte Gebiet voranzubringen. Darum schreibt man auch [8] diese Arbeit nicht, wie unsere Abschlußarbeit, mit zweiundzwanzig Jahren, sondern in einem höheren Alter, manchmal auch erst mit vierzig oder fünfzig Jahren (auch wenn es sehr junge PhD gibt). Warum soviel Zeitaufwand? Eben weil es sich um eigenständige Forschung handelt, bei der man sicher auch wissen muß, was andere über den gleichen Gegenstand gesagt haben, bei der es aber vor allem etwas zu entdecken gilt, was andere noch nicht gesagt haben. Wenn man, speziell in den Geisteswissenschaften, von »Entdeckung« spricht, dann denkt man nicht an umwälzend neue Entdeckungen wie die Atomspaltung, an die Relativitätstheorie oder an ein Mittel gegen Krebs: es kann sich auch um bescheidenere Entdeckungen handeln, und man betrachtet als »wissenschaftlich« auch eine neue Art und Weise, einen klassischen Text zu lesen und zu verstehen, das Ausgraben eines Manuskripts, das ein neues Licht auf einen Autor wirft, oder die Neubewertung und die Neuinterpretation schon vorhandener Arbeiten, wenn dadurch Gedanken weitergebracht und in eine systematische Ordnung eingefügt werden, die bisher über verschiedene andere Texte verstreut waren. Jedenfalls muß eine Arbeit entstehen (zumindest ist das die Idee), die andere Forscher, die sich mit dem Gegenstand beschäftigen, nicht außer acht lassen dürfen, weil in ihr etwas Neues gesagt wird (vgl. II.6.1.).
Entspricht die Abschlußarbeit, mit der wir uns hier beschäftigen, diesen gleichen Anforderungen? Nicht zwangsläufig. Da sie meist zwischen zweiundzwanzig und vierundzwanzig Jahren und in einem Alter, in dem man noch Universitätsexamina ablegt, geschrieben wird, kann sie nicht das Ergebnis langer und ausgefeilter Überlegungen sein, die völlige Reife beweisen. Und so kommt es, daß es Abschlußarbeiten (geschrieben von besonders begabten Studenten) gibt, die wirkliche PhD-Doktorarbeiten sind, und andere, die dieses Niveau nicht erreichen. Auch die Universität verlangt dies nicht um jeden Preis: Eine gute Abschlußarbeit muß nicht unbedingt auf eigenständiger Forschung beruhen, sie kann auch kompilatorisch sein. In einer kompilatorischen Arbeit zeigt der Student immerhin, daß er [9] kritisch vom Großteil der vorhandenen »Literatur« Kenntnis genommen hat (d.h. von den Veröffentlichungen über den Gegenstand) und daß er in der Lage ist, sie auf eine übersichtliche Weise darzustellen, dabei die verschiedenen Ansichten zueinander in Beziehung zu setzen und so einen guten Gesamtüberblick zu geben, der vielleicht auch einem Spezialisten zur Information nützlich sein kann, der sich gerade mit diesem Detailproblem nie eingehender beschäftigt hatte.
Daraus ergibt sich ein erster Hinweis: Man kann eine kompilatorische oder eine Forschungsarbeit schreiben – eine »Diplom-, Magisterarbeit« oder eine »PhD«, d.h. »Doktorarbeit« (Dissertation).
Eine Forschungsarbeit dauert immer länger, sie ist anstrengender und stellt höhere Anforderungen; auch eine kompilatorische Arbeit kann lange dauern und anstrengend sein (es gibt kompilatorische Arbeiten, die viele Jahre in Anspruch genommen haben), aber normalerweise kann sie in kürzerer Zeit fertiggestellt werden und birgt ein geringeres Risiko in sich.
Es ist auch keineswegs gesagt, daß man sich mit einer kompilatorischen Arbeit die Forschungslaufbahn verbaut. Das Zusammentragen von Material kann darin seinen Grund haben, daß sich der junge Forscher vor Beginn der eigentlichen Forschungsarbeit über einige Gedanken durch umfassende Dokumentation Klarheit verschaffen will.
Andererseits gibt es Abschlußarbeiten, die mit dem Anspruch auftreten, Forschungsarbeiten zu sein, die aber schnell heruntergeschrieben sind. Dabei handelt es sich um schlechte Arbeiten, die denjenigen verärgern, der sie liest und die dem, der sie schreibt, überhaupt nicht von Nutzen sind.
Die Wahl zwischen einer Forschungsarbeit und einer kompilatorischen Arbeit hängt also von der Reife und von der Arbeitskraft des Kandidaten ab. Oft – und unglücklicherweise – hängt sie auch von den finanziellen Umständen ab, weil sicher ein Student, der nebenbei arbeiten muß, weniger Zeit, weniger Kraft und oft auch weniger Geld für langwierige Untersuchungen hat (die häufig mit dem Erwerb seltener und teuerer Bücher [10] verbunden sind, mit Reisen zu ausländischen Forschungsstätten oder Bibliotheken etc.).
Leider kann dieses Buch keine wirtschaftlichen Ratschläge geben. Bis vor kurzem war es in aller Welt ein Privileg der reichen Studenten zu forschen. Man kann auch nicht behaupten, daß dieses Problem heute durch Stipendien, Reisebeihilfen, Mittel für den Aufenthalt an ausländischen Universitäten für alle ganz gelöst wäre. Das Ideal wäre eine gerechtere Gesellschaft, in der Studieren als vom Staat bezahlte Arbeit angesehen würde, in der eine Bezahlung erhielte, wer zum Studium berufen ist und in der es nicht notwendig wäre, um jeden Preis ein »Stück Papier« zu erwerben, um einen Arbeitsplatz zu finden, um befördert zu werden, um bei einer öffentlichen Stellenausschreibung gegenüber anderen erfolgreicher zu sein.
Aber die italienische Universität und die Gesellschaft, für die sie steht, sind so wie sie sind. Wir können uns nur wünschen, daß Studenten jedweder Gesellschaftsschicht sie ohne übergroße Opfer besuchen können, und wir wollen im folgenden versuchen darzulegen, wie man – unter Berücksichtigung der verfügbaren Zeit und Energie sowie der eigenen Berufung – eine anständige Abschlußarbeit schreiben kann.
I.2. Für wen dieses Buch von Interesse ist
Wenn die Dinge so stehen, müssen wir davon ausgehen, daß viele Studenten gezwungen sind, eine Abschlußarbeit zu schreiben, um möglichst schnell mit dem Studium fertig zu werden und den Titel zu erwerben, der dem berufstätigen Studenten aufgrund des Hochschulabschlusses das Vorwärtskommen ermöglicht. Einige dieser Studenten sind vielleicht schon vierzig. Gerade solche Studenten erwarten von uns praktische Ratschläge, wie man eine Abschlußarbeit in einem Monat schreibt, um die Universität hinter sich zu bringen, gleichgültig mit welcher Note. Für sie ist, um es nachdrücklich klarzustellen, dieses Buch nicht bestimmt. Wer solche Ansprüche stellt, wen die geltende [11] paradoxe Rechtslage zwingt, eine schwierige wirtschaftliche Lage dadurch zu lösen, daß er die Universität so schnell wie möglich abschließt, für den bieten sich zwei Lösungen an: 1. Eine vernünftige Summe investieren und sich die Arbeit von einem anderen schreiben lassen. 2. Eine an einer anderen Universität schon einige Jahre früher geschriebene Arbeit abschreiben (es ist unzweckmäßig, eine schon gedruckte Arbeit, auch wenn sie aus dem Ausland stammt, zu nehmen, weil ein auch nur einigermaßen informierter Dozent von ihrer Existenz weiß; aber in Mailand eine Arbeit abzuschreiben, die in Catania angefertigt wurde, bietet die begründete Chance, daß man unentdeckt bleibt; natürlich muß man sich darüber informieren, ob der Doktorvater nicht, bevor er nach Mailand kam, in Catania als Dozent tätig war. Auch das Abschreiben einer Arbeit setzt also Forschungsarbeit voraus, die Intelligenz verlangt).
Es versteht sich, daß die soeben gegebenen Ratschläge rechtswidrig sind. Es ist, als würde man sagen: »Wenn Du verletzt zur Notaufnahme kommst und der Arzt dich nicht untersuchen will, so setze ihm das Messer an den Hals.« In beiden Fällen handelt es sich um Verzweiflungstaten. Unser Rat wurde gegeben, um die Ausweglosigkeit der Situation klarzumachen und zu bekräftigen, daß das Buch nicht den Anspruch erhebt, die schwierigen sozialen Probleme zu lösen, die die gegenwärtige Rechtsordnung mit sich bringt.
Dieses Buch wendet sich also an Studenten, die (auch ohne Millionär zu sein und ohne 10 Jahre Zeit für den Abschluß zu haben und dafür in der ganzen Welt herumzureisen) einige Stunden am Tag ihren Studien widmen können und die eine Abschlußarbeit machen wollen, die ihnen eine gewisse geistige Befriedigung gibt und die ihnen auch nach dem Universitätsabschluß Nutzen bringt. Und die im Rahmen des gesteckten Zieles – mag es auch bescheiden sein – ernsthafte Arbeit leisten СКАЧАТЬ