Deutsche Sprachgeschichte. Stefan Hartmann
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Название: Deutsche Sprachgeschichte

Автор: Stefan Hartmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783846348239

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СКАЧАТЬ Daher gilt für die Instruktionen: So kurz wie möglich, so lang wie nötig. ✓ Die Reihenfolge der Fragen sollte randomisiert (zufallsgeneriert) sein. Gerade bei Grammatikalitätsurteilen haben viele Studien etwas gezeigt, was man salopp als „Abstumpfungseffekt“ bezeichnen könnte – wenn man viele Sätze bewertet, werden sie immer akzeptabler (vgl. Schütze 2016: 132f.). Doch auch bei Studien, in denen es nicht um Grammatikalitätsurteile geht, können solche Sukzessionseffekte – also Effekte, die sich aus der Reihenfolge der Fragen ergeben – auftreten. Ein bekanntes Problem sind beispielsweise Ermüdungseffekte (vgl. Ben-Nun 2008). Durch die Randomisierung der Fragenreihenfolge erreicht man, dass dieselbe Frage von manchen Teilnehmern sehr früh, von anderen später beantwortet wird. Das gilt natürlich nicht, wenn der Aufbau Ihres Fragebogens einer bestimmten inneren Logik oder „Dramaturgie“ (Porst 2014) folgt, etwa wenn die Fragen aufeinander aufbauen oder wenn Sie „heikle“ Fragen stellen möchten, die man eher am Ende des Fragebogens platzieren sollte (vgl. Porst 2014: 147). ✓ Versuchen Sie, Störvariablen soweit wie möglich auszuschalten. Grob gesagt, sind Störvariablen alle Faktoren, die das Ergebnis einer Untersuchung beeinflussen, ohne dass sie für Ihre Fragestellung relevant sind. Angenommen, Sie wollen erfragen, wie akzeptabel jemand weil mit Verbzweitstellung findet (weil das ist halt so statt weil das halt so ist). Wenn Sie als Stimulus nun einen Satz verwenden wie Die Amigos find ich knorke, weil die sind voll cool und sexy und so, dann ist es möglich, dass die Probanden den Satz nicht wegen seiner Syntax ablehnen, sondern wegen der darin enthaltenen umgangssprachlichen Formulierungen oder wegen seiner verstörenden Gesamtaussage. Ganz vermeiden lassen sich solche Inteferenzeffekte zwar nie, aber ein Satz wie Ich mag meinen Nachbarn, weil er ist immer nett zu mir würde hier den Zweck insgesamt besser erfüllen. ✓ Am Ende der Umfrage sollten Sie demographische Daten erheben. Auch das trägt dazu bei, Störvariablen zu kontrollieren: Wenn beispielsweise an einer Umfrage zum am-Progressiv (ich bin am lesen) überwiegend Menschen aus dem hauptsächlichen Verbreitungsgebiet dieser Form teilnehmen, dann ist die Aussagekraft dieser Studie eine andere, als wenn Sprecherinnen aus dem gesamten deutschen Sprachraum teilnehmen. Ebenso kann z.B. die Akzeptanz eines noch recht jungen Phänomens davon abhängen, wie alt die Personen sind, die an meiner Studie teilnehmen. Alter und Region (genauer: Ort der sprachlichen Sozialisation) sollte man daher stets erfragen. Häufig wird auch das Geschlecht erfragt, auch wenn hier bei Fragestellungen zur deutschen Gegenwartssprache nur in wenigen Fällen Unterschiede zu erwarten sind. Da es sich hier um recht persönliche Daten handelt, empfiehlt es sich, sie auf freiwilliger Basis zu erheben.

      Experimente

      Schlobinski (1996: 31f.) weist darauf hin, dass Experimente im Vergleich zu anderen Methoden nur eine geringe Rolle in der Sprachwissenschaft spielen. Zieht man in Betracht, dass auch eine Korpusuntersuchung durchaus als Experiment gelten kann, also als „[s]ystematische Beobachtung von veränderlichen Merkmalen unter kontrollierten oder künstlich geschaffenen Bedingungen“ (Meindl 2011: 33), so trifft diese Einschätzung mittlerweile nur noch bedingt zu. Auch Experimente im landläufigen Sinne, also behaviorale Studien, bei denen das Verhalten von Probandinnen und Probanden unter systematisch manipulierten Bedingungen untersucht wird, spielen eine immer größere Rolle in der Sprachwissenschaft. Für die Psycholinguistik gehört das Experiment von Anfang an zum unentbehrlichen Handwerkszeug (vgl. Knobloch 2008). Doch auch die historische Linguistik greift immer häufiger zu experimentellen Methoden, sodass sogar der Terminus „Historische Psycholinguistik“ kein Oxymoron mehr ist (vgl. z.B. Bergs & Pentrel 2014). Zwar kann es naturgemäß keine psycholinguistischen Experimente mit, sagen wir, Sprecherinnen und Sprechern des Frühneuhochdeutschen geben, doch kann zwischen historischer Sprachwissenschaft und Psycholinguistik insofern ein fruchtbarer Austausch stattfinden, als sie ähnlichen Fragen nachgehen und sich dabei oft auch auf die gleichen Grundannahmen stützen. Eine wichtige Grundannahme ist das uniformitariane Prinzip, also die Hypothese, dass sich die Funktionsweise der menschlichen Kognition in den letzten Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden nicht wesentlich verändert hat.4 Daraus folgt, dass die gleichen Faktoren, die im synchronen Sprachgebrauch eine Rolle spielen, auch die diachrone Entwicklung von Sprache beeinflussen können. Das gilt insbesondere für kognitive Prinzipien, die in vielen Fällen synchrone und diachrone Phänomene gleichermaßen erklären können. So bringt Köpcke (1988) die Wahl von Pluralformen im Deutschen mit der Fähigkeit zur Prototypenabstraktion und Schemabildung in Verbindung: Im Deutschen gibt es bekanntlich verschiedene Möglichkeiten der Pluralkennzeichnung (sog. Pluralallomorphe), z.B. -en in Frauen, -er in Männer, Nullplural in Tunnel etc. Köpcke (1988) geht davon aus, dass Sprecherinnen und Sprecher aus den Pluralformen, denen sie begegnen, prototypisch organisierte Schemata ableiten. Mit „prototypisch organisiert“ ist dabei gemeint, dass es Kernmitglieder gibt, die dem Muster in besonderem Maße entsprechen, aber auch eher randständige Klassenmitglieder. An einem nicht-sprachlichen Beispiel: Wir können die Farbkategorie „rot“ als prototypisch organisiert verstehen. Das Rot, das der Umschlag dieses Buches hat, ist ein sehr prototypisches Rot. Hellrot oder Weinrot hingegen sind keine prototypischen Rottöne, gehören aber trotzdem noch zur Kategorie.

      Die prototypisch organisierten Schemata, so Köpckes Theorie, setzen Sprecherinnen und Sprecher ein, um den Plural von Wörtern zu bilden, die sie bisher nur im Singular kennen. Daraus lassen sich falsifizierbare Hypothesen ableiten: Je stärker ein Wort dem für die jeweilige Flexionsklasse angenommenen Prototypen entsprechen, desto eher wird der Plural nach dem entsprechenden Deklinationsmuster gebildet (s.u. Kap. 5.1.1).

      Zur Untermauerung seiner Hypothesen stützt sich Köpcke (1988) zum einen auf historische Evidenz, zum anderen auf eine experimentelle Studie. Im experimentellen Teil seiner Untersuchung nutzt er eine Elizitationsstudie, d.h. er „entlockt“ (elizitiert) seinen Teilnehmenden Pluralformen von Nonsenswörtern wie der Knumpe oder das Trilchel. Solche Materialien, auf die Probandinnen und Probanden reagieren sollen, nennt man Stimuli (Singular: Stimulus). Unter anderem konnte Köpcke zeigen, dass Formen, deren Auslaut als Pluralmarker interpretiert werden könnte (z.B. die Bachter: hier könnte -er als Pluralmorphem gesehen werden), eher mit Nullplural versehen werden (also Singular: die Bachter – Plural: die Bachter) als Formen, die einer prototypischen Singularform entsprechen, also einsilbig sind und auf einen Plosiv (/p/, /t/, /k/, /b/, /d/, /g/) auslauten. Dies bringt er mit der Beobachtung in Verbindung, dass historisch einige auf -en auslautenden Singularformen das -n verloren haben, z.B. die küchen > die Küche. Dadurch wird der Unterschied zwischen Singular- und Pluralform eindeutiger.

      Ein weiterer Bereich, in dem sich psycholinguistische Evidenz für die Erklärung diachroner Wandelprozesse als aufschlussreich erweisen kann, ist die Graphie. Das Deutsche weist hier eine Besonderheit auf, die es mit keiner anderen Sprache der Welt – außer dem Luxemburgischen – teilt, nämlich die satzinterne GroßschreibungSubstantivgroßschreibung von Substantiven (vgl. z.B. Bredel et al. 2011: 27). Auch hier können psycholinguistische Studien helfen, die Frage nach dem Warum zu klären. So zeigen beispielsweise Gfroerer et al. (1989) mit Hilfe einer Eye-Tracking-Studie, bei der die Augenbewegungen der Teilnehmenden beim Lesen aufgezeichnet und anschließend analysiert werden, dass die Großschreibung offenbar als Dekodierungshilfe dient: Sie ließen niederländische Muttersprachler deutsche und niederländische Texte lesen, die den deutschen Großschreibungsregeln folgten. Dabei zeigte sich, dass die Teilnehmenden auch beim Lesen der niederländischen Texte nicht von der Großschreibung behindert wurden, obwohl die niederländische Orthographie die satzinterne Großschreibung nicht kennt (außer bei EigennamenEigennamen). Im Gegenteil schienen sie von der Hervorhebung der Substantive zu profitieren und lasen die Texte sogar insgesamt schneller. Diese Beobachtungen können helfen СКАЧАТЬ