Das Tagebuch der Jenna Blue. Julia Adrian
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Tagebuch der Jenna Blue - Julia Adrian страница 7

Название: Das Tagebuch der Jenna Blue

Автор: Julia Adrian

Издательство: Bookwire

Жанр: Книги для детей: прочее

Серия:

isbn: 9783959913065

isbn:

СКАЧАТЬ das an der Unsichtbarkeit unseres Dorfes oder dem Verstand ihres Freundes liegt, wage ich nicht zu fragen. Scarlett mag Derek. Derek mag Scarlett. Heute fährt er uns zur Party. Uns – wie seltsam das klingt.

      »Dann lass uns gehen«, versuche ich es erneut, »zum Spukhaus, meine ich.«

      »Er kommt in einer Stunde«, klärt sie mich auf. »Wir haben Zeit.« Sie schnappt sich ihre winzige Handtasche (in die unmöglich passt, was sie vorhin aufgezählt hat) und tritt zum Fenster, unter dem das Stalldach liegt. »Folge mir.«

      Wie sie es in dem extrakurzen Paillettenkleid auf den Fenstersims und hinaus schafft, ist mir ein Rätsel. Ich brauche drei Anläufe und fürchte bis zuletzt, dass ich dabei mein Tagebuch verliere. Ich lasse es niemals aus den Augen, selbst dann nicht, wenn Scarlett in meiner Nähe ist und ich es in Sicherheit weiß. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Als ich den Giebel erreiche, sitzt sie bereits da, in der einen Hand ihr Smartphone, in der anderen eine glühende Zigarette.

      »Auch eine?«, fragt sie und bläst den Rauch in den dunkelnden Himmel.

      »Weiß Anna davon?«

      »Himmel, nein! Und du wirst nichts sagen, verstanden?«

      »Zu Befehl«, erwidere ich zynisch und sinke neben ihr nieder. Unter uns liegt der Hof, eine verwilderte Betonfläche, die im Schatten des Stalls versinkt. Gras sprießt aus sämtlichen Ritzen, Löwenzahn und Vergissmeinnicht erobern trotzig den unwirtlichen Grund. Dass etwas so Unscheinbares wie ein Samenkorn Betonplatten zu sprengen vermag, gibt mir den Mut, nicht aufzugeben.

       Es war ein Freitag, an dem Mutter verschwand. Ich suchte sieben Monde und einen Sommer nach ihr, verteilte Flugblätter und klopfte an jede Tür und wollte nicht wahrhaben, was Anna sagte; dass sie uns verlassen hat, weil sie das Leben auf dem Land nicht länger erträgt.

       Als der Frost kam, erklärte ich sie für tot. Seither habe ich unzählige Male darüber nachgedacht, ob ich ihr eines Tages folge. Ob es mir im Blut liegt, das Verschwinden. Ich bin so still, es würde kaum auffallen, wäre ich fort. Ich bezweifle, dass Scarlett oder Papa mich vermissen würden. Anna vielleicht, doch da sie niemals nach Mutter suchte, ließe sie mich aller Wahrscheinlichkeit nach einfach gehen. Dann wären sie nur noch zu zweit, Anna und Scarlett, ohne die verfluchte dritte Schwester.

      »Du brauchst wohl eine Tasche!« Scarlett zeigt auf das Buch. »Du gehst nirgends hin ohne das da.«

      Reflexartig schließe ich den Einband und stecke den Stift in die dafür vorgesehene Schlaufe. »Ich sagte nie, dass ich keine brauche. Ich will nur keine von dir.«

      Sie lässt den Kopf in den Nacken sinken. »Wie überaus gewitzt.«

      »Ich besitze eine eigene«, füge ich erklärend hinzu.

      »Nur keine Rechtfertigung«, sagt sie leichthin, doch ihre Augen wirken kälter als zuvor. Vielleicht liegt es an den Schatten, die bereits nach uns greifen. Der Abend erblüht wie die Stille zwischen uns. Vor langer Zeit saßen wir schon einmal auf dem Dachfirst und sahen der Sonne beim Untergehen zu. Es muss kurz nach Mutters Verschwinden gewesen sein. Damals, bar aller Worte, waren wir auch still gewesen; ich hatte sie für die Flugblätter verbraucht, Scarlett ihre an Anna. In den ersten Nächten war ich noch durch den klammen Flur zu ihnen hinübergetapst. Da mich Anna jedoch unnachgiebig in mein Zimmer zurückbrachte, gab ich es bald auf und lauschte ihnen stattdessen von meinem Bett aus, ein Ohr an die Wand gepresst, die Knie eng umschlungen. Ich weiß nicht, worüber sie sprachen, doch Annas gedämpfte Stimme trug mich in den Schlaf. Sie half mir durch die Dunkelheit.

      »Erinnerst du dich an das erste Mal, als wir hier oben saßen?« Scarletts Gedanken haben sie weit tiefer in die Vergangenheit getragen, hinein in eine Zeit, an die ich mich weigere zu denken. »Ich glaube, dass Mutter mich schon als Säugling mitnahm. Wie sie es geliebt hat, auf dem Dach zu sitzen und zum Spukhaus zu blicken – und erst die Geschichten, die sie darüber erzählt hat! Über den Zauberer und seine Sammlung schrecklich schöner Insekten. Erinnerst du dich? Ich war fasziniert davon, dass er sie aufspießte, diese zarten, wehrlosen Geschöpfe, nur um sie auf ewig zu besitzen. All die Motten und Käfer und Falter. Er hat sie getötet und in Glaskästen gesperrt. Tödliche Liebe – wie in dem Märchen. Du weißt, welches ich meine? In dem die Mutter ihre Tochter vergiftet und in einen gläsernen Sarg bettet, um sie für immer zu behalten.«

      Ich bin versucht, sie darauf hinzuweisen, dass die Geschichte anders geht; doch wer wäre ich, sie dafür zu tadeln? Neige nicht auch ich dazu, die Welt und die Geschichten um mich herum so zu interpretieren, dass sie in meine Perspektive passen?

      »Ich verstehe den Gedanken dahinter«, fährt Scarlett fort, den Blick auf das Spukhaus jenseits unseres Gartens gerichtet. »Die Zeit lässt alles verkommen. Blumen welken, Schönheit vergeht, selbst Zuneigung schwindet. Wie viel tröstlicher ist da der Anblick eines auf ewig gebannten Glücksmoments? Der Falter in seiner ganzen Pracht, die Tochter in der Blüte ihrer Jugend. Wie eine Fotografie, die niemals vergilbt. Eine Erinnerung, unangetastet durch die Zerstörung der fortschreitenden Realität.«

      Unwillkürlich denke ich an die Bücher, die sich in Scarletts Zimmer türmen, uralte Wälzer mit abgegriffenen Umschlägen und verblichenen Lettern. Sie hortet sie nicht aufgrund ihrer Geschichten, sondern wegen dem, was zwischen den Seiten steckt. Getrocknete Blüten, brüchiges Weidenlaub und pastellgelber Löwenzahn, Vergissmeinnichtstängel und Rosenknospen. Scarlett sammelt Blüten. Sie bricht, trocknet und presst sie. Sie besitzt ganze Alben voll davon, sicher verwahrt vor dem Zerfall.

      »Fürchtest du den Tod?«, frage ich in die Stille.

      »Ich fürchte das Danach.« Eine Antwort, wie sie nur Scarlett geben kann. »Unsere Körper zergehen, zerfallen, zersetzen sich. Doch was dann? Sind wir dann fort oder existieren wir weiter? Womöglich durch Blumen, die sich von uns nähren; doch was, wenn auch sie vergehen? Was bleibt dann noch?«

      »Honig«, rate ich.

      Scarlett sieht mich lange an, dann schlägt sie die Beine auf eine Art übereinander, die mich vermuten lässt, dass sie weit öfter hier oben sitzt und über das Leben nach dem Tod sinniert; mir wird allein vom Zusehen schlecht. Wie wir es als Kinder aushielten, auf den Schindeln Fangen zu spielen, ist mir ein Rätsel. Nicht dass ich die Höhe fürchten gelernt hätte, es ist mehr das Bewusstsein darüber, was ein Sturz alles anrichten kann. Kein Kind denkt darüber nach, das Leben ist ein Abenteuer und der Himmel zum Greifen nah.

      Wenn ich den Kopf in den Nacken lege, erscheinen mir die violetten Zuckerwattewolken so fern wie die Zeit, da Scarlett und ich sie zu kosten versuchten und Mutter uns aufforderte, höher zu springen …

      Wind kommt auf, fröstelnd ziehe ich die Knie an. Da entgleitet mir das Buch. Es schlittert die Schindeln hinab, stolpert über die Rinne, ehe es die Schwerkraft gen Tiefe zieht. Der Aufprall klingt dumpf. Er weckt etwas in mir.

      »Ist dir schlecht?« Scarlett betrachtet mich argwöhnisch.

      Ihre Worte – und der Klang des Buches – haben eine Tür aufgestoßen, die ich all die Jahre sorgsam verriegelt hielt. Nur ein Abend, ein verfluchter Abend und wenige Momente mit ihr genügen, um sie aus den Angeln zu heben.

      Die Erinnerungen stürzen auf mich ein. Mutter am Fenster, wie sie uns über den Sims hebt; wie sie lacht und uns auffordert, es ihr gleichzutun; wie sie die Arme über den Kopf streckt СКАЧАТЬ