Das Tagebuch der Jenna Blue. Julia Adrian
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Название: Das Tagebuch der Jenna Blue

Автор: Julia Adrian

Издательство: Bookwire

Жанр: Книги для детей: прочее

Серия:

isbn: 9783959913065

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СКАЧАТЬ erst, als sich das Mauermassiv am Straßenrand erhebt. Scarlett ist überzeugt, dass unser Dorf schon vor Mutters Verschwinden verflucht war. Es ist auf keiner Karte vermerkt, nicht einmal bei Google Maps, als sei es schlicht vergessen worden, gestrichen aus dem Gedächtnis der Welt. Ein Ort des Nirgendwo, dessen einzige Besonderheit das Spukhaus ist.

      Vermooster Klinker, ein Tor aus rostigem Eisen und dahinter der geschwungene Kiesweg. Er ist gesäumt von dichten Spindelsträuchern und uraltem Silberregen, durch den der Wind träge streicht. Mehr ist von der Straße nicht zu erkennen. Innerhalb der Sphäre unseres Dorfes spinnen sich unzählige Legenden um das Spukhaus und seinen Besitzer.

      Dass jeder, der das Grundstück betritt, dem Tode geweiht ist, hält sich hartnäckig als Gerücht. Ich kann es weder bestätigen noch Lüge strafen, obwohl ich direkt daneben wohne und manch wagemutigem Dorfkind beim Erklimmen der Mauer zusah. Die meisten scheiterten bereits beim Aufstieg, ob aus Furcht oder aufgrund der Höhe, ist ungewiss. Einige schafften es auf die Krone, doch von denen sah ich niemals einen auf der anderen Seite verschwinden. Es galt bereits als höchster Beweis des eigenen Mutes, dort oben zu sitzen und die Beine über dem Ginster baumeln zu lassen.

      Scarlett behauptet, einst durch einen Spalt in den Nachbarsgarten geschlüpft zu sein, sie verbot mir jedoch, darüber zu sprechen, und ich, damals noch ihre engste Vertraute, habe bis heute geschwiegen.

      Nun, Scarlett lebt noch. Bedauerlicherweise.

      »Wartest du auf mich?«, fragt sie und hält neben mir an.

      »Warst du im Garten der Spukvilla?«

      Sie hebt eine Braue. »Das interessiert dich? Nun, ich verrate es dir, wenn du mich begleitest.«

      »Mich interessiert einzig, ob du bald stirbst.«

      Sie gluckst. Dabei meine ich es todernst.

      »Hör zu«, Scarletts Augen blitzen vergnügt, »ich verrate dir alles, was du über den geheimen Garten wissen willst. Ich zeige dir sogar den Spalt – falls es ihn gibt –, solang du mich begleitest.«

      Verschwörerisch zwinkert sie, als wäre das alles ein Heidenspaß. Gott, ich hasse sie wirklich dafür, dass es ihr leichtfällt. Dass sie lacht und tanzt und lebt, als läge unsere Welt nicht in Trümmern.

      »Abgemacht?«, fragt sie und streckt mir die Hand entgegen. Ich kann aus Prinzip nicht annehmen. Scarlett bekommt immer, was sie will – nur bin das aus irgendeinem unverständlichen Grund diesmal ich.

      »Warum?«, frage ich.

      »Das war kein Nein«, stellt sie zufrieden fest, kreuzt die Arme über dem Lenker und stützt den Kopf darauf. So sieht sie mich an, schräg von unten, die Augen zu wach für die scheinbare Gelassenheit. »Du glaubst doch an Zeichen, nicht wahr? Betrachte es als eines. Wir sollen gemeinsam zu dieser Party gehen. Du und ich. Wie …«

      Das Früher verschluckt sie gerade noch rechtzeitig, als würde sie ahnen, dass ich es kein zweites Mal ertrage, daran zu denken. An früher. An uns und wie wir einst waren.

      »Nein«, sage ich schwerfällig. »Ich komme nicht mit.«

      Sie zuckt mit den Achseln, schwingt das Bein übers Rad, schiebt es die letzten Meter bis zum Hof und wirft es achtlos ins Gras. Ihr Pferdeschwanz wippt, als sie die brüchigen Stufen zu unserer Haustür erklimmt und die fehlende überspringt. Die Türklinke fällt scheppernd zu Boden. Ich höre Scarlett fluchen und das Metall knirschen, als sie den Stift zurück an seinen Platz schiebt.

      Es sind Momente wie diese, in denen ich ihre Scham teile. Unser Resthof gleicht einer Ruine. Die Farbe blättert von den Wänden wie die Rinde von jungen Birken, dem Dach fehlen Schindeln, eine Außenwand sackt gefährlich gen Erde. Sie wird einzig durch zwei Balken gehalten, die ich letzten Herbst anbrachte. Der Zerfall ist nicht aufzuhalten. Ich kann ihn verzögern, hier und dort eine Wunde versorgen, die über kurz oder lang aufbrechen wird. Wie die Wand.

      Ob Vater aus seiner Starre erwachen und etwas tun würde, sollte sie einstürzen? Manchmal bin ich versucht, es herauszufinden, indem ich einen Balken entferne – und lasse es dann doch, zu groß ist die Angst, dass er es nicht täte.

      Ich schiebe den Schmerz beiseite und die Räder in den Stall. Scarlett ist es gewohnt, dass andere ihr vorauseilen oder hinterherräumen, und da es abgesehen von mir niemanden gibt, der sich daran stört, ignoriere ich es. Wähle deine Kämpfe. Das Motto, nach dem ich lebe. Ein Streit mit Scarlett zählt zu den Dingen, die ich meide wie der Teufel das Weihwasser.

       Du hast mich gefragt, ob mir das Schreiben gefällt. Ich konnte nicht zugeben, dass es so ist. Scarlett saß neben dir. Es war die Art, wie sie mein Tagebuch ansah.

       Als witterte sie eine Schwäche.

       Ich hasse sie dafür.

       Ich hasse auch dich, weil du es nicht bemerkst.

       Sie fragte, ob sie eines haben könne, und du hast versprochen, ein zweites zu kaufen. ›Fein‹, hat sie gesagt und gelacht und mich mit diesem Blick bedacht, der so vieles verspricht. So viel böses Blut zwischen uns.

       Ich traue ihr nicht.

       Wieso tust du es?

      Papa sitzt in seinem Arbeitszimmer, neben ihm auf dem Tisch stapeln sich die Zeitungen der letzten Wochen, darauf Dutzende schwarze Ringe: Zeugen seiner Kaffeesucht. Er blättert in einem Buch und blickt erst auf, als ich meinen Rucksack in einem Anfall von Trotz in die Ecke zwischen die Zeitschriftenstapel schmetterte. Die Dielen ächzen, als sich Papa aus dem Sessel hievt, in dem er vermutlich den ganzen Morgen saß. Manchmal fürchte ich, er kommt nur uns zuliebe aus ihm heraus. Für einen kurzen Moment, einen Kuss, eine Umarmung. Weil er die Scham nicht erträgt, die in unseren Blicken wächst. Was aus ihm werden soll, wenn wir erst fort sind, wage ich mir kaum auszumalen.

      Unbeholfen drückt er Scarlett einen Kuss auf den Scheitel. Sie verzieht den Mund und taucht unter seinem Arm hinweg in die Küche. Anna steht am Herd und lächelt, als Scarlett von hinten die Arme um sie schlingt.

      »Was gibt es?« Sie ignoriert unseren Vater.

      Er nimmt es kommentarlos hin und zwinkert mir zu, ehe er zurück in sein Zimmer schlurft und im verblichenen Blümchenpolster seines Sessels versinkt. Ich beobachte von der Tür aus, wie er den Umschlag des Buches anstarrt, das er vorgab zu lesen. Früher einmal verbrachte er jeden Nachmittag mit mir in der Werkstatt. Wir flickten Möbel, schliffen und strichen Zäune, planten ein Baumhaus. Heute liegt so dicker Staub auf der Werkbank, als wäre sie seit einem Jahrzehnt ungenutzt – was sie ist.

      Zehn Jahre sind vergangen, seit Mutter uns verließ.

      Zehn Jahre, die Vater zu einem Wrack haben verkommen lassen. Einem Schatten seiner selbst.

      »Jenna?«, fragt er heiser und blickt zu mir auf. Der Wunsch nach Ruhe steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er hofft, dass ich gehe, dass ich nicht erneut versuche, ihn aus dem Zimmer und seiner Lethargie zu befreien. Er will nicht. Er will einfach nicht.

      »Ich hab dich lieb«, sage ich deshalb.

      Er СКАЧАТЬ