Das Tagebuch der Jenna Blue. Julia Adrian
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Название: Das Tagebuch der Jenna Blue

Автор: Julia Adrian

Издательство: Bookwire

Жанр: Книги для детей: прочее

Серия:

isbn: 9783959913065

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СКАЧАТЬ es ziellos auf. Fahrig gleitet sein Blick über die Zeilen, von denen ich bezweifle, dass auch nur eine einzige seinen Verstand erreicht. So sitzt er da, zwischen abgegriffenen Büchern und überfüllten Regalen, die sich unter der Last eines Jahrzehnts gefährlich biegen, ein einsamer alternder Mann, der dem Leben abgeschworen hat.

      Sorgsam schließe ich die Tür und lehne die Stirn ans Holz. Aus der Küche dringt Scarletts Lachen und Annas Stimme. Sie sprechen über die Party, das Essen, die Ferien. Unverfängliche Themen. Über Papa reden sie nie. Vielleicht fehlen ihnen die Worte. Vielleicht glauben sie, es sei besser, so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Wer lange genug eine Lüge lebt, hält sie irgendwann für die Wahrheit.

      Ich fahre mit der Hand über die Blümchentapete unseres Flurs. An den Ecken blättert sie bereits ab, offenbart den grauen Putz darunter. Mutter hat sie ausgesucht. Alles hier trägt ihre Spuren: das Muster von Papas Sessel, die bunten Gemälde, die gestrichenen Stühle des Esszimmers, der Teich in der Badewanne. Ich erinnere mich nur flüchtig und unfreiwillig an sie; hier ein Bild, dort ein Fetzen. Wie sie den ersten Fisch in die Wanne setzte, wo er noch heute zwischen Sumpfgräsern und Lotusblumen golden hervorschimmert. Scarlett auf der Schaukel im Wohnzimmer, Mutter hinter ihr in einem bunten Kleid. Anna im Garten, auf der Wange einen leuchtenden Handabdruck und zu ihren Füßen ein zertretener Wildkräuterstrauß. Ich erinnere mich an Mutters Schreie, nicht jedoch an den Grund des Streits.

       Nie wieder! Tu das nie wieder!

      Ich umfasse das gedrechselte Treppengeländer. Meine Finger finden eine jede Kerbe blind. Dieses Haus liegt mir im Blut, mit all seinen schimmeligen Ecken und knarrenden Dielen. Es konserviert unsere Erinnerungen wie in Formaldehyd. Das Leben, das wir einst hatten, spiegelt sich in jedem Zentimeter. Die Striche an der Wand im oberen Stockwerk, mit denen wir unsere Größe festhielten.

      Anna. Jenna. Scarlett.

      Daneben der Elefant, den ich unbeholfen an die Wand malte, als niemand hinsah. Er erinnert mehr an einen Hasen mit zu langer Nase. Ich zeichne die blassen Linien nach, frage mich, ob sie verschwänden, sollte ich sie oft genug nachfahren, und fürchte zugleich, dass es geschieht.

      Der Gedanke ist unerträglich.

      Genauso der an die Zukunft. Ich bilde mir ein, die Jahre verfliegen zu sehen; mich selbst mit Koffern nach unserem Abschluss, kurz darauf Papa in einem Sarg; ihm folgt Anna, treu bis zum Schluss. Das Haus steht eine Weile leer, der Winter kommt, der Winter geht, ehe Maler all unsere Spuren von den Wänden tilgen, den Elefanten unter weißer Farbe begraben und mit ihm unsere Kindheit.

      »Jenna?« Anna steht am Fuß der Treppe. »Kommst du essen?«

      »Gleich.« Verstohlen wische ich die Tränen fort. Sie soll nicht sehen, dass ich weine. Sie würde es falsch verstehen, sich womöglich die Schuld geben. Und das will ich nicht.

      Wenn es etwas Beständiges in unserem Leben gibt, dann Anna. Die gute Seele des Hauses, die Mutters Aufgaben übernahm, als sie verschwand, und Papas mit dazu, als er sich und uns aufgab. Sie ist meine Halbschwester, ihre Mutter starb, bevor meine in ihr Leben trat. Wir sprechen selten darüber, zu schmerzhaft sind die Erinnerungen, zu sehr unterscheiden sie sich voneinander. Nicht zu Unrecht handeln Märchen von bösen Stiefmüttern.

      »Alles in Ordnung?« Erneut Anna, diesmal näher. Sie ist die Treppe hinaufgekommen. Ihre Hand legt sie auf meine Schulter. »Scarlett sagt, du begleitest sie zur Party?«

      »Blödsinn.« Meine Stimme klingt schrecklich erstickt.

      Anna bemerkt es nicht. »Du solltest mitgehen. Freunde treffen, ein bisschen feiern, Spaß haben.« Uns trennen nur acht Jahre, doch manchmal kommt es mir wie eine ganze Generation vor. Sie streicht mir die Haare aus der Stirn; hat sie die Tränen doch gesehen? »Sie reicht dir eine Hand, Jenna.«

      »Es ist bloß eine Party«, protestiere ich.

      »Richtig, bloß ein Abend. Was macht das schon?«

      Ja, was macht das eigentlich? Ein Abend. Eine Party.

      »Vielleicht«, gebe ich nach. Ich tue es allein für Anna.

      Veilchenblau

       Ich weiß nicht, wann ich Scarlett das erste Mal des Nachts die Stufen hinunter folgte; die Wände sind hellhörig, mein Schlaf ist leicht und im Gegensatz zu mir hat sie nie gelernt, sich lautlos zu bewegen, eins zu werden mit dem Haus und seinen Schatten. Ich hörte sie in der Küche hantieren und später im Wohnzimmer. Die Dielen verrieten ihren Weg; und wie ich so dastand und mit der Dunkelheit verschmolz – beim ersten und bei allen folgenden Malen –, vernahm ich nichts als das Wispern des Windes, der zärtlich ums Gemäuer strich und sich mit Scarletts Atem vereinte. Ihr Seufzen lockte mich wie das Licht die Motte. Das Wohnzimmer, bestehend aus zwei Teilen, betrat ich durch den hinteren Zugang im Flur. Scarlett befand sich im angrenzenden Teil nahe der Küche; ich konnte sie hören – und schließlich auch sehen. Sie saß auf dem Sofa, die Beine angewinkelt, das Nachthemd gelöst. Erst starrte ich nur auf die Rundung ihrer milchweißen Brüste, die im Gegensatz zu meinen so prall waren, dass ich mich unwillkürlich fragte, weshalb wir uns ausgerechnet in diesem Detail unterschieden. Dass sie sich vor das Fenster mitten in das Viereck aus Mondlicht setzte, vermag ich mir nur so zu erklären, als dass auch sie sich gern zusieht und um ihre Schönheit weiß.

       Sie zu beobachten, wie sie sich selbst berührt, sie für ihre Unbeschwertheit zu hassen und zugleich um ihre scheinbar grenzenlose Freiheit zu beneiden, lässt mich ihr so nah sein wie nur irgend möglich. Wir teilen ein Geheimnis. Das verleiht mir gewisse Macht über sie. Es macht den Alltag in ihrem Schatten erträglicher. Ich weiß, was sie zur dunkelsten Stunde tut. Ich weiß, wer sie dann ist.

      »Ich wusste, dass es dir steht!«

      Scarletts Mund lächelt, doch ihre Augen sind so ausdruckslos wie mein Gesicht. Nebeneinander stehen wir vor dem Spiegel, der jede Ballerina vor Neid erblassen ließe. Wie Scarlett es aushält, sich durchgehend selbst zu betrachten – am Schreibtisch, beim Umziehen, im Bett –, ist mir schleierhaft. Ich würde mich beobachtet fühlen.

      Vielleicht ist es gerade das, was ihr gefällt.

      Vielleicht kann sie nicht mehr ohne.

      »Was sagst du dazu?« Sie zupft den Träger auf meiner Schulter mit spitzen Fingern zurecht. Ich weiß nicht, wann wir uns das letzte Mal so nah waren. Ich erinnere mich nicht einmal daran, wie sie sich anfühlt. Der Gedanke, ihre Hand zu halten, sie gar in den Arm zu nehmen, ist so surreal, dass ich unweigerlich einen Schritt zur Seite trete. Scarlett quittiert es mit einer gehobenen Braue.

      »Gefällt es dir nicht?«

      Nein. »Doch.« Ich betrachte mich im Spiegel.

      Ich trage niemals Rot. Es ist Scarletts Farbe. Ihre Schuhe, ihr Haarreifen, ihr Mantel. Ihre Farbe. Selbst in der Schule wagt niemand darauf zurückzugreifen. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz. Rot liegt ihr im Blut. Oder besser noch: im Namen. Mich in diesem Kleid zu sehen, fühlt sich an, als würde ich ihre Haut tragen.

      »Vertrau mir«, sagt sie und streift sich das Top über den Kopf. »Es ist perfekt.«

      »Was ziehst du an?«

      »Ich gehe nackt«, scherzt sie und stellt sich СКАЧАТЬ