Die Knochennäherin. Martin Arz
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Название: Die Knochennäherin

Автор: Martin Arz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783940839473

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СКАЧАТЬ widmete er sich wieder seiner Arbeit und sah nicht auf, als Joseph Bloch, genannt Sepp, erster Gewandmeister am Staatsschauspiel München, das letzte Mal in seinem Leben die Herrenkostümwerkstatt verließ.

      Sepp Bloch taumelte. Er kannte sich selbst nicht wieder. Sicher, sein Kollege hielt ihn für einen Hypochonder, doch was wusste der junge Hupfer schon von den Gebrechen des Älterwerdens! Diese Krämpfe. Womöglich sein zweiter Herzinfarkt? Ein Schlaganfall? Magendurchbruch? Er musste sich so sehr auf das Gehen konzentrieren, dass er niemanden wahrnahm, der ihm entgegenkam. Nicht Traudl, die die Toilette verließ und ihm einen bösen Blick hinterherschickte. Nicht Nives Marell, die nach Beendigung der Proben auf dem Weg zur ersten Anprobe für ihr Kostüm war und ihm »Hat dieses Leben nicht endlich genug von dir?« zuraunte. Nicht Werner Androsch, der mit seinem Kollegen Levent Demir vor dem Aufzug wartete und sich dann für die Treppen entschied, weil er mit Sepp Bloch nicht Lift fahren wollte. »Der Lift ist zu klein für uns beide«, sagte er schnippisch, als er Levent Demir und Sepp Bloch alleine die Kabine betreten ließ und sich abwandte.

      »Was hat der denn?«, fragte Levent Demir.

      Nun erst nahm Sepp den jungen Mann wahr. Er konnte kaum die Lider heben. Statt zu antworten, machte er eine fahrige Handbewegung.

      »Ihnen geht es aber auch nicht gut, Sepp. Sie sollten zum Arzt gehen.«

      »Schon gut«, sagte Sepp müde. »Bin auf dem Weg.«

      »Brauchen Sie Hilfe? Sie sehen sehr mitgenommen aus.«

      »Schon in Ordnung. Passt schon!«

      »Dann macht der Sebastian später die Anprobe mit mir?«

      Sepp Bloch nickte und schwankte nach draußen, als sich die Aufzugstür im Erdgeschoss endlich öffnete. Ihm entging, wie Levent Demir erleichtert ausatmete und gleichzeitig missbilligend den Kopf schüttelte.

      Ein Bier – nein, erst einen Magenbitter, dann wird alles besser, dachte er, als er am Pförtner vorbeitaumelte, die wenigen Stufen zum Hof beinahe hinunterstürzte und über den düsteren Innenhof in Richtung Färberei steuerte. Meinen Jägermeister! Erst einen Jägermeister, dann geh ich zum Arzt.

      04

      Pfeffer blinzelte in die Herbstsonne, die tief über dem Wald hinter der Talsenke am Himmel stand. Ihr Licht goss sich golden über die bunt belaubten Bäume, die saftigen Wiesen in der Ferne und über das Wasser des kleinen Bachs, der träge hinter den hohen Pappeln floss, und es spiegelte sich kupfern in den Fenster des kleinen roten Baggers, der neben dem Erdhaufen parkte. Der Baggerarm mit der zinnfarbenen Schaufel schwebte wie ein krummer Zeigefinger gute zwei Meter über dem Erdboden. Vor dem Bagger standen zwei Arbeiter in schmutzigen Blaumännern und rauchten. Neugier lag in ihren Blicken, kein Anzeichen dafür, dass sie ihr Fund erschreckt oder auch nur irritiert hätte. Kommissarin Annabella Scholz befragte sie und machte sich dabei Notizen. Seit sie sich die langen Locken abgeschnitten hatte und eine Kurzhaarfrisur trug, seit sie sich ein wenig schminkte und vorteilhafter kleidete – kurz, seit sie glücklich verliebt war, fand Pfeffer seine Kollegin erheblich selbstbewusster. Statt der ruppigen Burschikosität, hinter der sie früher ihre Unsicherheit versteckt hatte, legte Annabella Scholz nun immer häufiger gelassene Souveränität an den Tag. Ab und zu verzog sie abschätzig den Mund und warf genervte Blicke zu Pfeffer hinüber.

      Max Pfeffer blickte den Graben entlang, den die Arbeiter ausgehoben hatten. Eine kerzengerade Linie, die sich über die Nachbargrundstücke zog, mitten durch sorgsam angelegte, großzügige Gärten führte, Hecken, Mäuerchen und Zäune durchtrennte und abrupt in einem abgeernteten Gemüsebeet inmitten der Wiese endete, auf der er, seine Kollegin sowie ein Team von der Spurensicherung standen.

      Das Beet und die Wiese gehörten zu einem herrlichen alten Bauernhof, der einige Hundert Meter weiter zur Ortsmitte hin stand. Der Hof grenzte unmittelbar an den großen Friedhof, der die Kirche des Heiligen Zachäus umgab. Das Gebäude mochte mehrere Hundert Jahre alt sein, so wie fast alle anderen Höfe im Ortskern von Zacherlkirchen. Alles aufwendig saniert und restauriert, alles unter Denkmalschutz. Schließlich war das südwestlich von München gelegene Dorf nicht nur ein regional einigermaßen bekannter Wallfahrtsort, sondern ein bayrisches Postkartenidyll. Detailgenau bis zu den Geranienkaskaden, die sich über die Balkone der alten Höfe ergossen. Natürlich wohnten längst keine Bauern mehr im alten Ortsteil. Reiche Emporkömmlinge der Umgebung, meist identisch mit den Gemeinderäten und deren Verwandtschaft, sowie wohlhabende Städter hatten sich in den historischen Höfen eingenistet, oder in den Neubaugebieten ihre Villen gebaut und genossen die ländliche Idylle einen Katzensprung vor den Toren Münchens. Bei der Fahrt in den Ort war Pfeffer die Armada von nicht geländefähigen Geländewagen deutscher und skandinavischer Luxusautobauer aufgefallen, die an der Straße und vor den Supermärkten parkte.

      Pfeffer riss seinen Blick von der eingerüsteten Wallfahrtskirche los, die hinter den Obstbaumwipfeln sichtbar war. Sie thronte auf dem Hügel hinter der meterhohen natursteinernen Friedhofsmauer. Pfeffer trat an den Rand des Grabens und blickte hinunter. Zwei Köpfe tauchten auf, dann richteten sich die beiden Personen im Graben ganz auf.

      »Nichts«, sagte Rechtsmedizinerin Doktor Gerda Pettenkofer. »Ich habe wirklich nichts mehr gesehen.« Sie streckte Pfeffer ihre beiden Hände entgegen, damit er sie herausziehen konnte. Der Graben war zwar nur ungefähr hüfttief, doch Gerda Pettenkofer folgte der Devise, dass Sport Mord sei und hatte Essen zu ihrem Hobby erklärt. Allein würde sie es nie herausschaffen.

      »Gerda in der Grube«, sang Max Pfeffer leise zu der Melodie von »Häschen in der Grube« und half ihr aus dem Graben. Ihre dünnen Einmalhandschuhe quietschten leise.

      »Du, mein starker Held«, schnaufte die Medizinerin. »Also, ich glaube nicht, dass wir da drin weitere Knochen oder sonstige Hinweise finden werden.« Sie klopfte sich etwas Erde von der Hose. »Sie, Doktor Keppler?«

      »Nein«, antwortete der magere grauhaarige Mann mit den schlecht sitzenden Kakihosen und dem rostfarbenen Rollkragenpullover, der nun behände aus dem Graben kletterte. Er mochte um die fünfzig Jahre alt sein. Sein fransiger, kleiner Schnurrbart war vom Rauchen vergilbt. Auf dem Kopf trug er eine billige, verblasste rote Baseballkappe, auf der in schmutzig gelben Lettern ›MacGyver‹ stand. »Nein, ich bin auch sicher, dass wir alles haben.«

      Die Rechtsmedizinerin zündete sich eine Zigarette an. Sie bot Pfeffer einer alten Gewohnheit folgend auch eine an und murmelte dann: »Ach, du rauchst ja nicht mehr.« Doch zu ihrer Überraschung nahm er an. »Doch wieder?«, fragte sie mit aufgerissenen Augen.

      »Ja. Frag nicht. Es passierte einfach so.«

      »Das hast du auch damals behauptet, als du einfach so aufgehört hast. Nichts passiert einfach so.«

      »Doch. Ich rauche wieder seit zwei Monaten. Einfach so. Weil ich eines Morgens Lust drauf hatte. Übrigens – diesmal nicht heimlich. Wir haben uns auf fünf am Tag geeinigt, und ich kann es einhalten. Kein Problem.« Pfeffer inhalierte und konzentrierte sich auf den beißenden Zigarettenqualm in seinem Rachen, denn er fand, dass der Mann, der aus dem Graben gestiegen war, höchst unangenehm roch. Er schwoaßelte nicht, wie man auf Bayrisch über einen ungepflegten, nach altem Schweiß riechenden Menschen sagte – das wäre zu harmlos gewesen. Er stank. Nach wochenlang getragener Unterwäsche und Seifenallergie, einfach nach Stink.

      Kommissarin Annabella Scholz gesellte sich zu der Gruppe. »Das sind vielleicht zwei Herzchen.« Sie deutete zu den beiden Blaumännern und verdrehte die Augen.

      »So, Frau Doktor«, sagte Pfeffer, »erzählen Sie doch bitte mal, was wir wissen sollten.«

      »Darf ich erst einmal Doktor Jens-Uwe Keppler vom Landesamt für Denkmalpflege СКАЧАТЬ