Die Knochennäherin. Martin Arz
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Название: Die Knochennäherin

Автор: Martin Arz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783940839473

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СКАЧАТЬ er es nicht merkte, denn er wollte die Freakshow. Ein schwieriges Unterfangen, aber immerhin hatte sie schon fünf Kilo geschafft. Noch fiel es niemandem außer ihr auf.

      Ein älterer Mann mit beiger Shorts und labbrigem weißen Unterhemd, das am Bauch spannte und gleichzeitig die schlaffe Brust freiließ, blieb stehen und starrte Nives an. Dann schwirrte sein Blick zu dem ziegelroten Elefäntchen und wieder zurück. Er näherte sich zögernd und lächelte. An der linken Hand zerrte er einen kleinen Thaijungen hinter sich her. Das Kind, das höchsten zehn Jahre alt sein mochte, blickte mit toten Augen auf seine Füße, dann in Nives’ Augen, dann wieder auf die Füße.

      »You are Nives Marell, right?«, fragte der Mann mit leiser Stimme. Er sagte »Näivis Märell«.

      Nives nickte.

      »I’m Geoff from Boston. I recognized your eyes! Your beautiful eyes.« Der Mann strahlte und schüttelte ihre Hand mit beiden Händen, dabei ließ er den Thaiboy nicht los. Er zerdrückte fast die Hand des Knaben zwischen seiner und Nives’. Nives spürte die zarte Kinderhaut auf ihrem Handrücken und fühlte sich unangenehm berührt.

      Ihre Augen. Die berühmten türkisen Katzenaugen der Nives Marell – früher hatte man sie deswegen mit der jungen Simone Signoret verglichen.

      »I’m your biggest fan! Really, believe me.« Geoff aus Boston strahlte sie an. »I’ve seen all your movies, all of them. All, all. Even those old German ones. I’m your biggest fan. Never dared to dream meeting you … specially in this … this dramatic circumstances …«

      »Ja, danke, äh, thank you so much, Geoff. Yes, it’s a catastrophe! I’m shattered. « Wie lange sie schon keinen Small Talk mehr mit Fans hatte machen müssen, noch dazu auf Englisch. Es war so ewig lange her, dass sie völlig aus der Übung war. Sie starrte auf den Jungen und versuchte sich nicht auszumalen, durch welche Hölle er ging. Sie blickte zu dem Mann auf und unterdrückte ein kleines Schluchzen. Sie nahm ihre Sonnebrille und setzte sie so demonstrativ auf, dass der Mann die kleine Träne, die sie zustande brachte, noch erkennen konnte. »Ich bin … fassungslos, I am stunned, speachless.« Sie spielte gut. Als wäre ein Schalter umgelegt worden, fand sie in ihre Rolle. Sie konnte es immer noch. »Excuse me, Geoff, but I …« Sie machte eine unbestimmte Handbewegung und biss sich auf die bebende Unterlippe.

      »I see.« Der Mann schüttelte ihr noch einmal die Hand. »I’m so sorry. I didn’t want to disturb. I’m so sorry. If I can do anything for you, let me know. You’ve still got your hotel room?«

      Nives Marell nickte mit zusammengekniffenen Lippen, brachte ein schiefes Lächeln zustande und ließ ihre Hand zu Fritz wandern. Sie tätschelte seinen Oberschenkel. Fritz nahm ihre Hand und drückte sie fest. Geoff aus Boston grinste unsicher, verabschiedete sich und zog schließlich den Thaijungen hinter sich her.

      »Those old German ones. Der Arsch. Die sind von mir, those old German ones. Du bist aber immer noch scheißgut, Nives Marell. Ich sage doch, unser nächster Film wird wieder ein Knaller«, sagte Fritz Roloff grinsend. »Er hat mich übrigens nicht erkannt.«

      »Da kannst du dir bei einem Amerikaner was drauf einbilden. Mit diesem Fusselbart und der riesen Sonnenbrille erkennt dich sowieso keiner. Mich hingegen erkennt man seit Jahren nur noch an meinen Augen! Ich war mal schön.«

      »Du bist noch schön, Maus. Für mich.«

      »Ich will für niemanden schön sein, der Katastrophen schön findet!«

      Fritz brach in schallendes Gelächter aus.

      Nives Marell stand von dem Palmstrunk auf, zog das Elefäntchen am rechten Ohr und sagte im Weggehen: »Fick dich, Fritz Roloff, fick dich doch einfach.«

      »Bleib hier, du blöde Kuh.« Fritz sprang auf und lief hinter ihr her. Er packte ihr Handgelenk.

      »Lass mich los. Ich rufe jetzt Rocco an. In Deutschland müsste jetzt Tag sein. Vielleicht hat er auch schon versucht, mich zu erreichen«, sagte Nives und legte ihre Handtasche auf den Rücken des kleinen Elefanten. Sie wühlte umständlich darin herum, bis sie das gesuchte Mobiltelefon endlich zu Tage förderte. Es war noch ausgeschaltet.

      »Nix wirst du!« Fritz entriss ihr das Handy.

      »Gib es her. Rocco wird sich Sorgen machen. Alle werden sich Sorgen machen! Das ist bestimmt längst auch in Deutschland in den Nachrichten. Die Toten hier, das wird auch bei uns eine Nachricht sein! Wenn es stimmt, dass nicht nur die Bucht hier, sondern die ganze Insel betroffen ist …«

      »Sollen sie sich doch Sorgen machen! Lass sie ein wenig zappeln.« Fritz schleuderte ihr Mobiltelefon in weitem Bogen quer über den Strand ins Meer.

      Nives bebte vor Zorn und krallte ihre Finger in den Nacken des kleinen Elefanten. »Du bist ein Schwein, Fritz Roloff, ein erbärmliches Schwein.«

      »Und? Deshalb liebst du mich doch, oder?«

      Als sie den Mund aufmachte, um ihm zu antworten, kam ein Klingeln dazwischen. Ein Klingeln aus ihrer Tasche. Sie wühlte erneut und zog nach einer Weile ein zweites Handy hervor. Fritz’ Handy. Er warf gerne seine Sachen in ihre Handtasche: Schlüssel, Papiere, Telefone, Drehbücher, Post, MP3-Player, Filofax et cetera, damit er Platz für seine Hände in den Hosentaschen hatte. Einmal hatte sie sich über das Gewicht ihrer Tasche gewundert und festgestellt, dass er sein Notebook in ihre Tasche gesteckt hatte. Sie hatte es herausgeholt und vor seine Füße geschleudert. Zu ihrer beider Überraschung war es heil geblieben.

      Das Display des Mobiltelefons zeigte ›Viola privat‹ an. Natürlich, sie hatte es immer gewusst. Die Geschichte mit Viola war entgegen seiner Beteuerungen keineswegs beendet. Nives fixierte Fritz, der sie abschätzig ansah. Sein Blick sagte ›Trau dich!‹.

      »Gib her«, sagte er dann und griff nach dem Telefon.

      Nives drehte sich abrupt weg, drückte die grüne Taste, hielt sich das Telefon ans Ohr und sagte laut: »Hallo?«

      Am anderen Ende der Leitung herrschte kurz irritiertes Schweigen. Dann sagte die Frauenstimme: »Hallo, hier ist Viola. Nives, Liebes, bist du das? Was für eine Frage, natürlich bist du das. Du, ich habe eben in den Morgennachrichten … nun, bei euch scheint etwas passiert zu sein … diese Monsterwelle …«

      »Richtig«, unterbrach Nives. »Eine Monsterwelle. Eine Katastrophe. Angeblich soll es ganz Phuket erwischt haben.«

      »Phuket? Nives, Liebes, die Welle ist bis nach Afrika geschwappt! Halb Thailand, Indien, Sri Lanka – angeblich alles zerstört! Die Seychellen sollen komplett unter Wasser sein! Es gibt aber noch kaum Bilder.«

      Nives brauchte einen Moment, um die Neuigkeiten zu verdauen. »Alles zerstört«, wiederholte sie tonlos, und ihr Hirn spielte Karussell. Langsam kristallisierte sich ein Gedanke aus dem Strudel. Fritz wollte seine Inszenierung, sie würde wieder seine Spielchen mitmachen. Auch wegen dieser Viola.

      »Hallo, Nives?«, kam es aus dem Hörer.

      »Ja, alles kaputt hier, so viele Leichen.« Nives schluchzte kurz und sah dabei mit kalten Augen zu Fritz hinüber, der schmunzelte. Nives Marell begann zu spielen. »Du kannst es dir nicht vorstellen, Viola, Liebes. Es ist so … so … grauenvoll …« Sie brach in Schluchzen aus. Fritz applaudierte ihr pantomimisch. »All die Toten, all das Leid! Und dann der arme kleine Elefant …«, stammelte sie stakkatoartig.

      »Nives, Schätzchen.« Viola schien deutlich mitgenommen СКАЧАТЬ