Die Knochennäherin. Martin Arz
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Название: Die Knochennäherin

Автор: Martin Arz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783940839473

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СКАЧАТЬ sehr an ihre eigenen körperlichen Defizite, die sich mit zunehmendem Alter einstellten. Sie war nur sieben Jahre älter als ihr Kollege und fühlte sich in seiner Gegenwart so unendlich viel älter. Nein, für Jutta Staubwasser stand auch bei näherem Hinsehen fest, dass Maximilian Pfeffer zwar gut aussah, besonders wenn, wie heute, auch noch ein leichter Bartschatten das markante Kinn betonte, aber eben nicht attraktiv für sie war.

      Nur bei Pfeffers Augen – da kam sie bisweilen ernsthaft ins Schwanken. Wie konnte so ein Mann nur so sehnsuchtsvoll-sanfte Augen haben! Sie sah schnell weg. Pfeffer beendete sein Telefonat.

      »Und?«, fragte sie.

      »Ein Skelettfund in Zacherlkirchen.« Er zuckte mit den Schultern. »Jetzt werden Sie sagen: Das lassen Sie mal Ihre Kollegen machen. Dann werde ich sagen: Außer Kollegin Scholz habe ich momentan niemanden für einen neuen Job. Und alleine kann ich die Gute nicht nach Zacherlkirchen lassen. Dann gibt ein Wort das andere und dann …« Er beendete den Satz nicht, sondern sah sie mit fragend hochgezogener Augenbraue an. Keine Frage, auch er mochte seine Chefin.

      Kriminaldirektorin Staubwasser schmunzelte und hob spielerisch drohend den Zeigefinger. »Dann werden Sie ohnehin nicht auf mich hören und schnurstracks nach Zacherlkirchen fahren. Hören Sie, ich verspreche Ihnen, dass wir die Personalsituation in den nächsten Wochen in den Griff bekommen. Die Krankschreibungen … Ich kämpfe auch für neue Planstellen. So wie es aussieht, wird eine der freien Stellen tatsächlich nicht mehr besetzt. Der momentane Sparkurs triff leider alle. Auch uns.«

      »Schon gut«, winkte Pfeffer ab und stand auf. Dabei merkte er, dass er auch in den hinteren Oberschenkeln Muskelkater hatte. Wo der nur herkam? Er joggte jeden Tag fast eine Stunde, daran dürfte es kaum liegen. Dann fiel ihm wieder ein, was er gestern Nacht noch gemacht hatte, und er biss sich innen auf die Wangen, um ein Grinsen zu unterdrücken. Der Biss nutzte nicht viel.

      03

      »Verrecken sollst du«, murmelte die Mutter mit abgewandtem Kopf mehr vor sich hin als zu jemandem. Sie redete gerade so laut, dass die Tochter sie hören konnte – die Tochter, die zu ihren Füßen in gekrümmter Hocke kauerte und sich schwer atmend an ihren Rockzipfeln festkrallte.

      »Was?« Die junge Frau hob den Kopf und versuchte mit tränenverschleierten Augen, den Blick der Mutter zu erhaschen. Doch die schwergewichtige Frau starrte unvermindert ins Nichts.

      »Was?!«, wiederholte die Tochter deshalb lauter, und ihre Stimme überschlug sich, bevor sie in einem Schluchzen erstarb. »Mutter, ich … verrecken?«

      »Nichts habe ich gesagt«, antwortete die ältere Frau ungerührt und verschränkte die Arme vor ihrer schweren Brust. Ihr Gesicht blieb eine teilnahmslose Maske.

      Mit letzter Kraft rappelte sich die junge Frau vom Boden auf, zog sich mühsam an den Falten von Mutters Rock hoch, bis sie auf Knien Halt fand. Hilfe suchend blickte sie zum Vater hinüber, der zusammengesunken am Küchentisch saß und das Gesicht in den Händen vergraben hielt.

      »Papa?!«, rief die junge Frau.

      »Du hast deine Mutter gehört«, kam nach einer schieren Ewigkeit die gebrochene Stimme zwischen den Fingern hervor. »Du … Ich kann nichts mehr für dich tun.«

      »Papa?!«, wiederholte sie mit weit aufgerissenen Augen und streckte die Hand in Richtung Küchentisch. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte vornüber auf den staubigen Holzboden. Eine Wolke kleiner Partikelchen stob auf und tanzte irrwitzig im grellen Licht der Deckenbeleuchtung. Die Frau trug nur ein langes, grünlich-verwaschenes T-Shirt, das um ihren mageren Körper schlabberte, sowie eine hautfarbene Strumpfhose.

      Die Mutter sah kurz zu ihr hinüber. Sie zog sich einen der einfachen Holzstühle heran und ließ sich schwer darauf fallen. Der Stuhl knarzte unter ihrem Gewicht. Sie musste dringend noch mehr abnehmen, schoss ihr durch den Kopf. Wenn sie wollte, konnte sie sehr diszipliniert sein. Es machte ihr sogar Spaß, jeden Morgen auf der Waage zu kontrollieren, wie die Pfunde purzelten. Zwar brach sie nun nicht mehr bei jeder Bewegung in Schweiß aus, doch es reichte noch nicht. Sie musste unbedingt die Achtzig knacken. Sie wollte wieder wer sein!

      Und sie hatte die Chance dazu. Sie blendete die Szenerie um sich herum komplett aus. Sie wusste, dass er dort irgendwo im Verborgenen saß und alles beobachtete. Und sie wusste, dass er vermutlich schon längst betrunken war, wie immer um diese Uhrzeit. Sie meinte sogar, seine Fahne bis hierher riechen zu können. Seine Bier-Jägermeister-Fahne und diesen unangenehmen säuerlichen Körpergeruch, den er ausdünstete. Sie musste sich endlich etwas einfallen lassen. Es durfte einfach nicht sein, dass er sich weiterhin in ihrem Leben breitmachen konnte. Sie musste … – sich zusammenreißen! Sie öffnete die Augen und horchte auf das Keuchen der Tochter, die sich auf dem Dielenboden wand.

      Konzentriere dich, dumme Kuh, schalt sie sich. Versau nicht diese Chance.

      Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Der Vater zuckte zusammen und blickte endlich auf.

      Die Tochter hustete am Boden und wälzte sich auf den Rücken. »Er hat gesagt, dass er mich heiratet«, stammelte sie schwach.

      »Hat er das?« Die Stimme der Mutter schnitt messerscharf durch den Raum. »Nun nicht mehr! Schau an, was er aus dir gemacht hat!«

      »Nein.« Die junge Frau am Boden bäumte sich auf. »Nein, das hast du aus mir gemacht. Du allein!«

      »Meine Tochter eine Hure, die sich von einem dahergelaufenen Kanaken schwängern lässt. Was habe ich zum Heiligen Zachäus von Palmyra gebetet!« Die dicke Frau faltete so energisch ihre Hände, als wollte sie Kartoffeln zerquetschen, nicht beten, dann erhob sie sich schwerfällig und griff sich an die Brust.

      »Meine Tochter, das Türkenliebchen! Meine Tochter …« Sie brach ab. Ihr Blick schweifte durch den Raum, sie ließ die Arme schlaff hängen und begann leicht zu zittern. Sie fuhr sich mit der Rechten über das Gesicht. Als hätte sie einen Schleier weggezogen oder eine dicke Make-up-Schicht abgewischt, veränderte sich ihr Ausdruck schlagartig. Alle Härte wich aus ihren Zügen. Die Augen, eben noch türkiskalte Eisschollen, füllten sich mit Tränen und flammten warm auf. Ihr ohnehin sehr blasser Teint schien in Sekundenschnelle alle Reste von Farbe zu verlieren, schimmerte zartweiß, fast transparent wie die Oberfläche einer kostbaren Porzellanpuppe. Ihre Lippen, eben noch schmal zusammengepresst, entspannten sich und erblühten zu einer sinnlichen Knospe. Nun konnte man nicht nur erahnen, dass diese Frau einmal wunderschön gewesen war – man sah, dass sie es immer noch war.

      »Ich …«, stammelte sie und sank neben der Tochter auf die Knie, »ich … will dich nicht verlieren, hörst du? Die Schande … mein einziges Kind …«

      Die Worte sprudelten aus ihr heraus. Sie beugte sich vor und schlang vorsichtig die Arme um die junge Frau. Sie hob die Sterbende ein wenig an, zog sie auf ihren Schoß und wiegte sie leicht hin und her. Dabei verrutschte das lange T-Shirt der Tochter und gab ihren Unterleib frei. Blut rann die Schenkel herunter.

      »Mein Kind«, flüsterte die Tochter. »Weg. Ausgeblutet.«

      »Mein Gott!« Der Vater sprang auf und gab ein herbes Schluchzen von sich. »Ich kann das nicht mehr mit ansehen!«

      »Ich auch nicht!«, mischte sich eine weitere männliche Stimme barsch ein.

      Viola richtete sich seufzend auf und starrte mit zusammengekniffenen Augen in die Richtung, aus der die Stimme kam. Nives und Werner beschirmten sich die Augen mit den Händen gegen das gleißende Licht und versuchten, im Dunkeln des weiten Raums hinter dem Licht etwas zu erkennen.

      »Ich СКАЧАТЬ