Die Knochennäherin. Martin Arz
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Knochennäherin - Martin Arz страница 8

Название: Die Knochennäherin

Автор: Martin Arz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783940839473

isbn:

СКАЧАТЬ abrutschte, als die Angebote ausblieben, als La Nives Kassengift wurde, als keiner mehr ihre legendären türkisgrünen Katzenaugen auf Celluloid bannen wollte, als niemand mehr ihre milchweiße Haut strahlen und ihren üppigen Busen wogen sehen wollte – als es aus und vorbei war.

      Nun, er war auch bei anderen Gelegenheiten in Nives’ Leben dabei gewesen – und das gereichte ihm bisher nicht zum Schaden! Im Gegenteil. Jetzt war er wieder dabei, als sie nach langen Jahren der Vergessenheit ihr Comeback versuchte. Was für ein verrücktes Karussell das Leben doch sein konnte. Er lächelte. Er und Nives wieder bei der Arbeit vereint. Dass sie ihn bei jeder Begegnung mit inbrünstiger Verachtung anstierte, stachelte ihn nur noch mehr an. Sollte sie ihn hassen, er hatte sie in der Hand. Wer hätte das gedacht. Sie war ihm ausgeliefert. Und das nur, weil er sie auch in jener Nacht beobachtet hatte, als sie etwas tat, wobei sie auf gar keinen Fall hatte beobachtet werden wollen.

      Er schraubte leise seine Thermoskanne auf und goss sich mit zittrigen Händen einen Becher Kaffee ein, während auf der Probebühne Viola erneut überdramatisch starb. Kaffee, schwarz und stark, ohne Zucker, ohne Milch. Er pustete vorsichtig in den Becher, beinahe schwappte das Getränk über, so sehr zitterten seine Hände. Dann bekam er den Tremor unter Kontrolle und trank in gierigen Schlucken. Es schüttelte ihn, so bitter schmeckte der Kaffee. Was war nur los mit ihm? Schon seit Tagen schmeckten ihm der Kaffee und leider auch das Bier bitter, viel zu bitter. Der Kräuterschnaps, den er immer hinterherschüttete, musste ja bitter sein, das irritierte ihn nicht. Gestern war ihm speiübel nach dem dritten Bier gewesen, richtig elend. Dabei war es da noch nicht mal halb drei Uhr nachmittags. Für gewöhnlich hatte er da schon mehr Biere. Heute in der Früh hatte er kaum seine zwei Halbe herunterbekommen, so grauslich bitter schmeckten sie – und jetzt der Kaffee. Er unterdrückte den aufkeimenden Brechreiz, er musste dringend mit seinem Hausarzt reden. Am besten noch heute. Wider besseres Wissen trank er noch einen Becher und noch einen. Bis die Kanne leer war. Bitter. Er schüttelte sich, Galle kroch seine Speiseröhre hinauf.

      Eben war Viola auf der Bühne mit einer grotesken Verrenkung gestorben, und Nives schluchzte ergreifend. Das konnte sie wirklich – schauspielern. Das Publikum würde Rotz und Wasser heulen, wenn Nives die Trauernde gab und am Ende vor der Reliquie des Heiligen Zachäus von Palmyra zusammenbrach. Das Publikum hatte auch geschluchzt, als sie aus Thailand zurückgekommen war und die Welt über den tragischen Tod des großen Fritz Roloff unterrichtet hatte.

      Er würgte den Mix aus bitterem Gallegeschmack und Kaffee hinunter, der sich in seinem Mund gesammelt hatte. Er brauchte dringend ein Bier. Jetzt. Sofort. Nein, besser einen Jägermeister. Und dann zum Arzt.

      »Viola, Süße«, unterbrach eben Hannes Wachsmuth die letzte Szene.

      Das ideale Stichwort. Obwohl ihm hundeelend war, nutzte er die Unterbrechung, packte seine Thermoskanne und verließ den Probebühnenraum so unauffällig wie möglich. Beim Hinausgehen nickte er mit so viel Beherrschung, wie er noch aufbringen konnte, den Regie- und Kostümassistenten zu. Krämpfe beutelten seinen Magen. In den Beinen und Armen schienen Ameisen zu laufen. Er kratzte sich. Nun kribbelte es auch noch in seinen Lippen.

      »Verdammt! Können wir bitte in Ruhe proben?!«, hörte er Hannes Wachsmuth noch schreien, während er die Tür hinter sich zuzog.

      Kaum draußen, eilte er mit schleppenden Schritten den langen Flur hinunter Richtung Fahrstuhl und drückte seine linke Faust in den Bauch. Kalter Schweiß brach ihm aus. Dann hielt er kurz inne, drehte um und taumelte so schnell er konnte zu den Toiletten am anderen Ende des Ganges. Dass es in diesem Stockwerk nur Damentoiletten gab, störte ihn nicht. Er riss die Tür auf und übergab sich ins Waschbecken. Das Brennen in seinem Inneren ließ ein wenig nach. Er würgte, doch es kam nichts mehr außer gelber Spucke. Schwer atmend ließ er Wasser ins Becken laufen und versuchte, so gut als möglich sein Erbrochenes zu beseitigen. Dann wusch er sich das Gesicht und ordnete die spärlichen grauen Haare. Beim Blick in den Spiegel sah er sich wie durch einen Nebelschleier. Er musste zum Arzt. Er brauchte ein Bier. Erst das Bier, dann der Arzt.

      Er verließ die Damentoilette und stieß mit Traudl zusammen. Die Schneiderin hatte eben nach der Türklinke greifen wollen und prallte nun erschrocken zurück. Traudl, die irgendwann in den Siebzigern stehen geblieben war und seitdem weder Make-up noch Kleidungsstil geändert hatte. Traudl, die sich die platinblondierten Haare wie ein riesiges Storchennest auftoupierte, wohl damit sie ein Gegengewicht zu ihrer überaus üppigen Oberweite bildeten. Traudl, diese alternde wandelnde Beleidigung für sein Auge, immer schon so provinziell wie ihr bäuerlicher Name: Traudl Sonnenbichl, geborene Kropfhamer. Wie er sie hasste.

      Und wie sie ihn hasste. Kaum dass sich Traudl Sonnenbichl von dem kurzen Schreck erholt hatte, blitzen ihre Augen unter den übertrieben hellblau geschminkten Lidern vernichtend. Sie verzog abschätzig den Mund und sagte: »Jetzt hast du dir dein eigenes Grab geschaufelt, Sepp. Verlass dich drauf. Ich werde dafür sorgen, dass jeder erfährt, dass du dich in der Damentoilette …«

      »Halt dein Maul, Traudl, halt einfach dein dummes Schandmaul.« Er hob die Hand, wie wenn er sie ins Gesicht schlagen wollte, gab ihr aber nur einen schwachen, ungehobelten Schubs und stieg mit wackeligen Beinen die Treppen hinauf, die an diesem Ende des Ganges zu den obersten Stockwerken des Theaters führten.

      »Halt! Deinen Müll solltest du dir schon mitnehmen.« Traudl holte ihn auf der zweiten Stufe ein und drückte ihm seine Thermoskanne in die Hand, die er neben dem Waschbecken hatte stehen lassen.

      Er grunzte etwas und ging mühsam weiter die Treppen hinauf. Oben musste er zunächst wieder die Toilette aufsuchen und sich übergeben. Dann betrat er die Herrenschneiderei und versuchte, den Blicken der Schneider auszuweichen. Er rang um Haltung, ging zu seinem Arbeitstisch und sah seinen Kollegen, den er für sich immer noch den Neuen nannte, obwohl der schon seit mehr als zwei Jahren hier arbeitete, verbissen lächelnd an.

      »Du, Basti, ich muss zum Arzt. Mir gehts nicht gut.«

      »Hmmm«, brummte der Angesprochene, ohne von seiner Arbeit aufzusehen. Er zeichnete mit geübten Bewegungen einen Halbkreis auf den riesigen Bogen braunen Papiers, das auf seinem Arbeitstisch lag. »Du hast heute noch eine Anprobe mit Levent Demir für ›Kanakenbraut‹.«

      »Weiß ich, Basti, weiß ich. Grad drum … tut mir auch wirklich leid. Aber mir geht’s gar nicht gut.« Er beugte sich vor, um den Blick von Sebastian Oßwald zu erhaschen. Doch der konzentrierte sich demonstrativ auf das Schnittmuster für ein Sakko, das er zeichnete, dabei pulsierte eine Ader an der Schläfe und seine Wangenmuskeln mahlten.

      »Schon gut, Sepp. Ist dir wieder so wahnsinnig schlecht? Wieder alles bitter?« Sebastian sprach so beherrscht, als wäre es nicht gang und gäbe, dass sein Kollege ihn in der heißen Phase, wenn die Endproben und die fertigen Kostüme anstanden, im Stich ließ und eine Krankheit vorschob. Sebastian Oßwald konnte die Stunden zählen, in denen sein Kollege bei der Arbeit war, nicht umgekehrt. »Geh nur, Sepp. Ich mach die Anprobe mit Levent Demir. Soll ich morgen gleich noch die Anprobe mit Werner Androsch einplanen? Ich habe ja sonst nichts zu tun.«

      Der letzte Satz peitschte durch die Luft wie ein Goaßlschnoizer. Die Schneider im Nebenraum, die durch die offene Doppelflügeltür jedes Wort mitbekamen, tauschten verstohlene Blicke, senkten die Köpfe über ihrer Arbeit und vermieden jedes Geräusch, um nichts zu verpassen. Keine Nähmaschine surrte, keine Bügelmaschine zischte, alle hatten plötzlich dringende Handarbeit zu erledigen.

      »Tut mir ja leid, Basti, wirklich.« Sepp lächelte verkrampft. »Ich … morgen bin ich wieder auf dem Damm. Verlass dich drauf, gell, Basti.«

      »Geh jetzt besser, Sepp. Morgen ist ein neuer Tag.« Sebastian Oßwald, der es hasste, wenn man ihn Basti nannte, zweiter Gewandmeister am Staatsschauspiel München, bebte vor Wut, biss sich auf die Lippen und freute sich auf den kommenden Tag, der einiges an Veränderung bringen würde. СКАЧАТЬ