Название: Wie Transfer gelingt (E-Book)
Автор: Andreas Schubiger
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783035513639
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Ja klar – da war doch die Belastung in der Arbeit und eine Weiterbildung hat er auch noch absolviert. Typisch, da war schlicht keine Zeit mehr vorhanden. Seine Ferien zur Verfügung stellen wollte Hans mit seinen 62 Jahren auch nicht mehr. Irgendwie merkt er, dass er die kurzen Wochenenden für seine körperliche und seelische Erholung braucht. Hanna schaut ihn verständnisvoll an und meint, dass sich daran wohl im nächsten Jahr nicht viel ändern wird. Sie sei aber ohne Weiteres bereit, auch mal ein Wochenende bei Freundinnen zu verbringen, damit er genügend Musse fürs Schreiben erhalte. Dies beruhigt Hans nicht wirklich. Irgendwie muss er es anders anpacken.
Wenn er nicht gerade zu viel Wein vor dem Schlafengehen getrunken hat, schläft Hans eigentlich sehr gut – allerdings nicht lange. Seit geraumer Zeit erwacht er meist vor 5 Uhr morgens und liegt hellwach im Bett. Er hat doch vor Jahren schon einmal sein Studium mit dem Verzicht auf Medienkonsum zeitlich teilfinanziert? Ja, das müsste gelingen – sagen wir dreihundert Tage je eine Stunde –, ja, das müsste klappen.
Das funktioniert wirklich – zwischen vier und fünf Uhr erwacht Hans regelmässig –, doch ganz so einfach ist es doch auch wieder nicht. Was war jetzt wieder die Idee? Hans verliert jeden Morgen eine ganze Weile an Zeit, bis er sich klar ist, was er eigentlich so früh morgens zu tun gedenkt. Er denkt sich, warum nicht am Vorabend – wenn alles noch wach ist – sich die morgendliche Aufgabe kurz skizzieren?
Jede Zeile, die er an den noch frischen Morgenstunden schreibt, spornt ihn zu weiteren Morgentätigkeiten an. Die Morgenziele sind kleine Etappen und umfassen höchstens eine bis zwei Seiten Text.
Eigentlich müsste das ja im Arbeitsalltag auch funktionieren. Hans macht sich gleich an die Sache: Am Vorabend legt er sich diejenigen Pendenzen zurecht, die er am nächsten Tag mindestens erledigen möchte – alles kleine und überschaubare Bereiche.
Louises Welten
«Verdammt!» Louise steht im Badezimmer vor dem Spiegel, die Türe hinter sich geschlossen und draussen herrscht unheimliche Stille. «Das bin doch nicht ich», sagt sie sich immer wieder und schaut in den Spiegel. Sie schämt sich.
Dabei hat der Abend wunderbar begonnen. Von der Arbeit heimgekommen findet sie ihre beiden Vorschulkinder in ihrem Spielzimmer vor und ihr Mann Charles überrascht sie mit einem vorbereiteten Nachtessen. Weil sie aber etwas später als vereinbart zuhause eintrifft, ist ihr Mann schon etwas nervös. Er sollte eigentlich schon weg sein! Er arbeitet im Gastroeventbereich und hat einen Abendtermin. Seine Angespanntheit und die Enttäuschung über die Unpünktlichkeit ist ihm im Gesicht abzulesen.
Und dann beginnen sich die Kinder zu zanken, Charles äussert dazu einen kleinen Vorwurf und die Situation nimmt ihren Lauf: Louise empört sich, wirft ihrem Mann fehlende Flexibilität und mangelndes Einfühlungsvermögen in das Leben einer arbeitenden Frau vor und schreit zuallerletzt ihre Kinder an, die erschrocken erstarren. Die Türe schlägt zu und Charles hat das Haus verlassen. Das Abendessen bleibt auf dem Tisch stehen und Louise verkriecht sich weinend ins Bad. «Das bin doch nicht ich!», sagt sie sich immer wieder.
Louise ist promovierte Sozialpädagogin und leitet ein Institut für Kommunikation und Konfliktmanagement an der Hochschule. Dabei gestaltet sie auch erfolgreich diverse Seminare zu oben genannte Themen für angehende Sozialpädagogen. Sie lehrt nicht nur gewaltfreie Kommunikation, sondern bearbeitet in den Seminaren auch schwelende Konflikte der aktuellen Kursgruppe, indem sie das vorlebt, was sie lehrt. Von den Studierenden wird diese Authentizität immer wieder gelobt. Im letzten Jahr hat sie für ihre Leistung den Lehrpreis der Hochschule gewonnen.
Und jetzt diese Situation. Hundertmal hat sie schon ähnliche Situationen in ihrer Arbeit bewältigt: achtsame Kommunikation, zuhören, statt vorwerfen, konfliktdeeskalierende Verhaltensweisen anwenden und beobachten, statt bewerten. Nichts von dem hat sie heute Abend – und die vielen Male in ihrem Privatleben zuvor – aus ihrem Repertoire hervorgeholt.
Wiederholt schaut sie in den Spiegel: «Ich bin doch nicht dieser Mensch?»
3Transfer – ein weiter Begriff
Ruths Autopilotenmodus bringt sie in Drucksituationen immer wieder dazu, ihre Kontrolle zu verlieren. In einer solchen Situation schafft sie es nicht, ihr Wissen in Handeln umzusetzen. Anitas Erfolgserlebnisse, mathematische Lösungsstrategien auf immer gleichartige Aufgabenstellungen anzuwenden, werden jäh mit der Anwendung auf strukturgleiche, jedoch andersartige Aufgabenstellungen beendet. Erich übersieht mit seinen gut gemeinten Aufgabenstellungen den Kompetenzgrad der Studierenden. Die Anwendungsaufgabe ist einfach zu weit von der gelernten Übungsaufgabe entfernt. Hans weiss, was er will. Er hat aber grosse Mühe, seine Vorsätze in die Tat umzusetzen. Schlussendlich hilft ihm ein Zugriff auf bereits einmal erfolgreich angewandte Strategien. Und wie ist es möglich, dass Louise als erfahrene Konfliktexpertin ihre Kompetenzen im Privatbereich nicht abrufen kann?
Die Beispiele könnten nicht unterschiedlicher sein. Sie haben aber alle ein paar Gemeinsamkeiten:
•In einer aktuellen Situation muss auf Wissen oder Gelerntes aus einer ähnlichen Situation zugegriffen werden.
•Oder es muss Wissen oder Gelerntes auf eine neue Situation angewandt werden.
•Die Distanz zwischen der erlernten Situationsbewältigung und der neuen Aufgabe ist scheinbar unüberbrückbar.
•Allein die Veränderung der Oberflächenstruktur der neuen Situationen erscheint als grosse Herausforderung.
Nennen wir diese Übertragung von einmal Gelerntem auf eine neue Situation einen TRANSFER. Transfer wird heute genauso als schillernder wie auch inflationärer Begriff in der Lehr-/Lernforschung verwendet.
Transfer stammt vom lateinischen Begriff «transferre» ab, was so viel bedeutet wie «hinübertragen». Das Neue muss in Prozessen des Anwendens, des Übens und des Übertragens auf andere Situationen dauerhaft gesichert werden. Die Frage lautet nicht nur, wie führe ich Wissen in Handlung über, sondern vielmehr auch, wie nutze ich in der Handlung vorhandenes Wissen? Auch Klauer (2011) meint, dass Transfer ein nichttrivialer Lerneffekt von einmal Gelerntem in neuen Aufgaben ist.
Mit seinem Aufsatz «Denn sie wissen nicht, was sie tun» weist schon Euler auf diese spezielle Problematik der Übertragung von einmal Gelerntem auf neue Situationen hin. Der Titel will offenlassen, in welche Richtung der Transfer geht. So fragt er einerseits implizit nach den Bedingungen, wie Wissen in konkrete Handlungssituationen überführt werden kann. Und andererseits lässt er vermuten, dass im Tun Wissen entsteht, welches uns im Verborgenen bleibt.
Die Transferdiskussion kann nicht von der Kompetenzdiskussion losgelöst geführt werden. Transfer ist schon definitionsgemäss in der Kompetenz mitgedacht. Wenn Kompetenz als die Fähigkeit bezeichnet wird, mit Wissen, Fertigkeiten und Haltungen eine konkrete berufliche oder alltägliche Situation adäquat zu bewältigen, dann ist der Transfer bereits darin inbegriffen. Kompetenzentwicklung verlangt schon an sich den Transfer in eine entsprechende Arbeitssituation (Schubiger, СКАЧАТЬ