7 Milliarden für nichts. Günther Loewit
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу 7 Milliarden für nichts - Günther Loewit страница 6

Название: 7 Milliarden für nichts

Автор: Günther Loewit

Издательство: Bookwire

Жанр: Медицина

Серия:

isbn: 9783990013960

isbn:

СКАЧАТЬ um immer mehr kranke Menschen zu produzieren.

      Nur um sich selbst damit zu rechtfertigen.

      Der österreichische »Kompetenzdschungel Gesundheitssystem« mit seinen unzähligen Institutionen, Finanztöpfen und Querfinanzierungen ist selbst für Insider schwer zu durchschauen. Jeder Versuch einer Reform des Systems scheitert am Widerstand mindestens einer Gruppe. Jedes Land will seine Krankenanstalten behalten, jede Krankenkasse ihre Autonomie, der Bund die Kontrolle, die Ärztekammern die alleinige Vertretung der Ärzteschaft und die Gebietskrankenkassen ihre finanziellen Zuflüsse.

      Es bräuchte schon einen Alexander den Großen, um diesen Knoten mit dem Schwert zu durchschlagen.

      Rettung

      Jeder will ein Stück vom Kuchen, selbst wenn das Patientenwohl darunter leiden muss

      Als älterer Hausarzt kommt mir das langjährige Wissen um die Lebensumstände meiner Patienten in der täglichen Arbeit zugute. Viele Fragen müssen nicht mehr gestellt werden, weil die Antworten durch die jahrelange Betreuung bekannt sind. Die gleiche Erfahrung schärft den Blick auf die Veränderungen in den einzelnen Teilbereichen des Gesundheitssystems. Die Rettungsdienste haben sich in den letzten Jahrzehnten erstaunlich emanzipiert und erfreuen sich bester finanzieller Gesundheit.

      Irgendwann im Laufe des Jahres 2017 wird einer meiner Patienten im Rahmen einer Übergangspflege in einem Landespflegeheim aufgenommen, weil die pflegenden Angehörigen schon längst einen Urlaub benötigen.

      Er ist 82 Jahre alt. Nach einem Schlaganfall vergesslich, leicht dement, aber in keiner Weise aggressiv oder fordernd. Mir gegenüber klingt das aus dem Mund der Angehörigen so: »Herr Doktor, wir möchten unbedingt auf Urlaub fahren. Wir sind schon völlig fertig mit den Nerven. Jeden Tag ist mit dem Papa was Neues. Können wir ihn nicht zwei Wochen lang irgendwohin schicken? Vielleicht in ein Spital? Damit er einmal richtig durchgecheckt wird.«

      Ich erkläre dem überforderten Ehepaar, dass dem Vater medizinisch nichts fehlt. Der Blutdruck ist gut eingestellt, die Laborwerte sind in Ordnung, er muss nicht durchgecheckt werden. »Richtig durchgecheckt« in seinem Alter schon gar nicht. Immer öfter glauben Angehörige, dass die Elterngeneration bis zum letzten Lebenstag voll fit sein müsste. Die Werbung suggeriert ein zunehmend unwirkliches Bild vom Alter. Ich lehne die Idee mit dem Spital klar ab, eröffne aber die Möglichkeit einer Übergangspflege. Weil es keine Alternativen gibt, wird dieser Vorschlag angenommen.

      »Papa, du wirst sehen, das wird dir gefallen. Das ist wie ein Urlaub für dich. Da lernst du einmal andere Leute kennen.«

      Aber der alte Mann will keinen Urlaub. Wovon auch. Und sein Bedürfnis nach neuen Bekanntschaften hält sich in Grenzen.

      Schließlich übersiedelt er widerwillig in sein Urlaubsdomizil. Alte Menschen übersiedeln nicht gerne. Sie lieben es, in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben.

      Er tut es nur seiner Tochter zuliebe, vertraut er mir an. Wegen dem angespannten Verhältnis zum Schwiegersohn. Die Ehe der beiden leidet unter seiner Pflege.

      Um 2.15 Uhr in der zweiten Nacht im Heim nimmt das Unheil seinen Lauf, beim Versuch, wie zu Hause ohne Hilfe vom Bett aufzustehen, sich wie gewohnt der Wand entlang zu tasten und das WC zu erreichen.

      Später rekonstruiert er mit mir den Vorgang so: »Ich war so verwirrt, ich hab ja gar nicht gewusst, dass ich im Pflegeheim bin und habe geglaubt, dass ich immer noch zu Hause bin.«

      Er stolpert und stürzt.

      Etliche Male versucht er, sich aus eigener Kraft aufzurichten. Er möchte niemandem zur Last fallen. Aber er kann den rechten Fuß nicht belasten. Jeder Versuch wird mit einem heftigen Stechen im Unterschenkel bestraft. Nach ein paar Anläufen gibt er auf. Bleibt am Boden liegen. Nichts geschieht. Der Schmerz wird stärker, weil das Adrenalin im Blut langsam weniger wird.

      Die Zeit vergeht, die Schmerzen werden unerträglich. Verzweifelt beginnt er irgendwann, um Hilfe zu rufen.

      Aber der Personalstand des Pflegeheimes ist knapp. Seit geraumer Zeit gibt es nur noch einen Nachtdienst.

      »Ich glaube, ich hab ewig gerufen, bis endlich eine Schwester gekommen ist.« Dann muss er noch einmal versuchen, aufzustehen. Aber es gelingt nicht. Auch nicht mit der Hilfe der Nachtschwester.

      Wie es in der Dienstanweisung vorgesehen ist, ruft diese schließlich das Rote Kreuz an. Genauer: die Rettungsleitstelle.

      Nach einem längeren Telefonat, in dem der Name, die Versicherungsnummer, das Geburtsdatum, der derzeitige Wohnort, die vermutete Krankheit und etliche weitere Details des Missgeschicks des 82-jährigen Patienten mitgeteilt werden, verspricht der wortkarge Disponent am Telefon eine rasche Lösung.

      Da die örtliche Rettung mit einem nächtlichen Autounfall im Bezirk beschäftigt ist, wird ein mit zwei Mann besetzter Sanitätskraftwagen aus einer zwanzig Kilometer entfernten Dienststelle mit dem Einsatz beauftragt.

      Tatsächlich erscheinen zwei verschlafene Sanitäter 37 Minuten nach dem Notruf im Pflegeheim.

      »Die zwei Burschen vom Roten Kreuz waren ja lieb, aber sie haben geglaubt, dass sie mein verletztes Bein unbedingt schienen müssen und dann hat es mir noch mehr wehgetan.«

      Im Tragsessel bringen die zwei Sanitäter den verletzten Mann vom zweiten Stock zum Haupteingang. Sie müssen über die Treppen gehen, denn der Lift ist außer Betrieb. »Glauben Sie mir, jede Stufe hab ich im Haxen gespürt.«

      Sie laden ihn in den Rettungswagen.

      Über dem Portal des Pflegeheims kann man auf einem blauen Schild mit weißem Rand die Adresse lesen. Hofmeisterstraße 70B. Dann fahren sie los. Fast 1,5 Kilometer. Nur, um in das unmittelbar nebenan gelegene Krankenhaus zu gelangen. Allerdings mit eigener Adresse. Nämlich Hofmeisterstraße 70.

      Dazwischen liegen zwei Stoppschilder und etliche Einbahnen. Ein paar Erschütterungen, die den Schmerz im Bein intensivieren.

      In der Notfallaufnahme angelangt, wird der Patient ausgeladen.

      Wieder Schmerzen.

      Wieder das Aufnahmeritual. Name und Versicherungsnummer. Wohnort. Unfallhergang. Die Sanitäter helfen dabei. Der Patient sagt nur: »Es tut mir so leid, aber ich kann mich nicht genau erinnern.« Dann das Röntgen. Ein glatter Wadenbeinbruch. Um 3.20 Uhr nachts. Und schließlich ein Gips.

      Und zuletzt die gleiche Reise wieder zurück. 1,5 Kilometer in den Urlaub.

      Dabei hätte alles ganz anders kommen können. Mit deutlich weniger Aufwand, weniger Schmerzen, schneller und effizienter.

      Aber wie?

      Die Antwort klingt wie die Auflösung eines Rätsels.

      Würde es einen offensichtlichen Weg, einen geheimen Gang geben, die Sanitäter hätten ihn doch genommen? Ich behaupte, dass die Lösung des Rätsels in einem solchen einfachen Gang liegt.

      Das österreichische Gesundheitssystem ist im Übrigen voll von solchen Gängen, wenn man sie nur suchen und erkennen würde.

      In unserem Fall liegt dieser Gang im zweiten Obergeschoss des Pflegeheims, ist ungefähr sechzig Meter lang und verbindet das Pflegeheim mit dem Krankenhaus. Für das Personal, für das Essen und СКАЧАТЬ