7 Milliarden für nichts. Günther Loewit
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Название: 7 Milliarden für nichts

Автор: Günther Loewit

Издательство: Bookwire

Жанр: Медицина

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isbn: 9783990013960

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СКАЧАТЬ Spitalsärzte klagen über noch nie dagewesenen bürokratischen Aufwand und den Mangel an Zeit für ihre Patienten.

      Weder hat sich in dieser Zeitspanne die Lebenserwartung verdoppelt, noch ist die individuelle Gesundheit um den Faktor vier verbessert worden.

      Im Gegenteil.

      Es gibt mehr Kranke es je zuvor.

      600.000 bis 700.000 Diabetiker, fast zwei Millionen Bluthochdruckpatienten, viele von ihnen laut Fachgesellschaft noch gar nicht entdeckt, geschweige denn ausreichend behandelt. Jeder zehnte Österreicher leidet statistisch gesehen an einer Depression, das wären weitere 800.000 Patienten. Jeder vierte Einwohner des Landes, vom Kindergarten bis ins Seniorenheim, soll einmal oder öfter in seinem Leben an einem Burn-out-Syndrom leiden. Das wären noch einmal zwei Millionen Kranke. Circa 400.000 Osteoporose-Patienten, mehrere 100.000 Bewohner leiden an Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule und der Gelenke, von Jahr zu Jahr steigen die Zahlen der Demenzerkrankungen, Schwerhörigkeit und Sehkraftverlust, die Statistik führt jeden Teilbereich der normalen Körperalterung akribisch als Einzelkrankheit auf. Jeder dritte Österreicher erkrankt aufgrund der fortgeschrittenen Lebenserwartung im Laufe seines Lebens an einem Karzinom. Jede einzelne Fachgesellschaft dokumentiert ihre eigene Bedeutung mit möglichst hohen Fallzahlen und einem eigenen bürokratischen Netzwerk. Lassen Sie den Begriff: »Dachverband der Österreichischen Osteoporose-Selbsthilfegruppen« und die Konsequenzen seiner Sitzungen und Beschlüsse auf sich wirken!

      Addieren wir diese Zahlen.

      Dann leben in diesem Land mathematisch gesehen weit mehr Patienten als Einwohner. Möglich wird das nur dadurch, dass viele Menschen an mehreren Krankheiten zugleich leiden.

      Auch der Zugewinn an durchschnittlicher Lebenserwartung nimmt sich, im Vergleich zum finanziell betriebenen Aufwand, vergleichsweise bescheiden aus. Dabei ist es keineswegs bewiesen, dass dieser Zugewinn ausschließlich und linear mit besserer medizinischer Versorgung zusammenhängt. In den USA werden zurzeit circa 17 Prozent des BIP für Gesundheit ausgegeben. Bei sinkender Lebenserwartung. Die Statistik erklärt das damit, dass die Anzahl der fettleibigen Individuen, die früher sterben, kontinuierlich steigt.

      Rein statistisch gesehen bedeutet schon die Verringerung der Säuglingssterblichkeit eine höhere Lebenserwartung für alle übrigen Menschen eines Jahrganges. Weniger Säuglinge bedeutet auch weniger sterbende Säuglinge. Damit wieder höhere Lebenserwartung. Die durchschnittliche Lebenserwartung hängt also auch von den angewandten Statistikmethoden ab.

      Auch die Behauptung, dass Bildung bessere Gesundheit und höhere Lebenserwartung bedeutet, darf hinterfragt werden. So leben Universitätsprofessoren statistisch gesehen länger als Friseure. Das hängt aber nicht mit einem verbesserten Zugang der Professoren zum Gesundheitssystem zusammen, sondern einzig und allein mit der Tatsache, dass Universitätsprofessoren in der Statistik noch nicht mit zwanzig Jahren sterben können. Weil noch niemand mit zwanzig Jahren eine Professur innehat. Die Ausbildung zum Friseur ist in der Regel mit neunzehn Jahren abgeschlossen. Das bedeutet, dass ein tödlicher Verkehrsunfall eines zwanzigjährigen Friseurs in die Sterbetafel der Friseure miteinfließt. Im Gegensatz zur Sterbetafel der Professoren, die erst viel später im Leben sterben können. Die steigende Lebenserwartung ist also zumindest auch ein Verdienst der Mathematiker.

      Wer bei einer Krankenkasse 2018 in der telefonischen Warteschleife minutenlang den monoton wiederholten Satz: »Wir vorsorgen Sie.« zu hören bekommt, hört nicht einen grammatikalischen Irrtum. Er wird Zeuge eines weiteren Systemfehlers. Vorsorge bedeutet nicht nur Gesundheit, sondern auch Krankheit.

      Durchwegs ernstzunehmende Studien3 belegen, dass vorgesorgte und nicht vorgesorgte Individuen statistisch gesehen am gleichen Tag sterben. Neben der rechtzeitigen Entdeckung schwerwiegender Krankheiten werden bei Vorsorgeuntersuchungen auch eine Unzahl von Nebenbefunden und Zufallsdiagnosen aufgedeckt, die dem Patienten niemals im Leben Schaden zugefügt oder gar das Leben verkürzt hätten.

      Der Beruf des Hausarztes ist inzwischen derart unattraktiv geworden, dass Ärztekammern, Landes- und Bundespolitiker nicht müde werden, vor einem Aussterben der Hausärzte zu warnen. Im gleichen Atemzug drehen sie aber die bürokratischen und wirtschaftlichen Daumenschrauben immer enger und enger.

      Ich hege schon lange einen Verdacht.

      Hausärzte erfreuen sich bei Umfragen in der Bevölkerung regelmäßig hoher Beliebtheitswerte. Nichts wäre für Beamte, Bürokraten und Politiker schöner, als ähnlich hohe Beliebtheitswerte zu erzielen. Dazu muss man aber zuerst die Hausärzte loswerden und durch selbst kontrollierte Institutionen mit angestellten Ärzten ersetzen. Die neu erfundenen PHCs (Primary-Health-Care-Versorgungszentren) stellen nichts anderes dar. Das 1978 in Kasachstan von der WHO aus der Taufe gehobene Versorgungskonzept einer wohnortnahen Basisversorgung (primary health care) stellt nichts anderes als die Beschreibung eines gut funktionierenden Hausarztmodells dar. Dass sich die Politik ausgerechnet vierzig Jahre später an dieses Konzept erinnert, hat einen guten Grund. Gesundheitsökonomen und Politiker versprechen der Bevölkerung die Neuerfindung des Rades und sichern sich ganz nebenbei den ersehnten Beliebtheitsbonus. Wenn die Medien positiv über den Obmann einer Krankenkasse berichten, weil er die finanziellen Mittel für ein PHC bereitgestellt hat, fällt ein wenig von dem Licht, das bislang die Hausärzte als Vermittler von Gesundheit und Wohlbefinden erscheinen ließ, auch auf ihn. Das gilt auch für Bürgermeister, Gesundheitsstadträte und Funktionäre der Sozialversicherungen und Ärztekammern.

      Nach dem Grundsatz »divide et impera«, »teile und herrsche«, wird ein jahrzehntelang gut funktionierendes kostengünstiges System einer wohnortnahen Basisversorgung systematisch zerschlagen. Und durch ein ähnliches System ersetzt.

      Die enge Bindung zwischen Patienten und Hausarzt, wie sie im derzeitigen Modell besteht, wäre damit Geschichte. Erste Erfahrungsberichte mit neu etablierten PHCs bestätigen auch, dass Patienten die enge und konstante Betreuung aus dem Hausarztmodell vermissen.

      Nach fast vierzig Jahren Tätigkeit im Gesundheitssystem erhärtet sich mein Eindruck, dass alle teilnehmenden Institutionen, Verbände und Berufsgruppen wirtschaftlich selbstständige und selbstbewusste Ärzte nur noch als lästige Konkurrenten wahrnehmen. Der Neid auf Ansehen, Position sowie ein gutes und sicheres Einkommen ist so alt wie die Menschheit selbst. Schon lange fragen sich zum Beispiel die Apotheker, warum sie nach einem Hochschulstudium zu Verkäufern von fertig abgepackten Medikamenten degradiert werden. Folgerichtig haben sie damit begonnen, den Patienten vereinzelt Blutdruck, Blutzucker oder verschiedene Harnwerte zu messen und bei Abweichungen von der Norm Behandlungsvorschläge auszusprechen. Noch in Zusammenarbeit mit den Ärzten. Ich erlebe aber immer öfter, dass Patienten einzelne medizinische Anliegen zur Gänze in der Apotheke abwickeln. Warum sollte man als Pharmazeut nicht ein größeres Stück vom Kuchen bekommen?

      Das gilt auch für Politiker, wenn sie neben dem Gemeindearzt Strukturen wie die »gesunde Gemeinde« erfinden, oder ein Spital vergrößern, obwohl internationale Studien Österreich eine Überkapazität an viel zu teuren Spitalsbetten bescheinigen. Die Profilierungsgier im Gesundheitssystem gilt auch für medizinisch nicht ausgebildete Laien, die im Rahmen von Wochenendworkshops Gesundheitstipps geben. Um prognostizierte zehn bis elf Prozent des BIP 2019.

      Im Jahr 1987, dem Zeitpunkt meiner Niederlassung als Landarzt, haben die Gesundheitsausgaben in Österreich – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – 7,1 Prozent betragen.

      Was bedeutet das?

      Eine ökonomische Faustregel besagt: Mit zwanzig Prozent der Ressourcen sind achtzig Prozent der gesteckten Ziele erreichbar. Für die restlichen zwanzig Prozent müssen achtzig Prozent der Mittel aufgewendet werden. Völlige und lebenslange Gesundheit bleibt leider Utopie. Wie lange kann es sich eine Gesellschaft unter diesem Aspekt leisten, horrende Geldsummen für ein Ziel auszugeben, dem man sich СКАЧАТЬ