Über Umwege zum Lehrberuf. Dilan Aksoy
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Über Umwege zum Lehrberuf - Dilan Aksoy страница 4

Название: Über Umwege zum Lehrberuf

Автор: Dilan Aksoy

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783035508499

isbn:

СКАЧАТЬ alles andere als selbstverständlich.

      Herausfordernd ist für Lehrpersonen mit Vorberuf auch die Tatsache, dass eingeschliffene Routinen, Überzeugungen und Erwartungen aus einem früheren Beruf die Lernprozesse bei einer Umschulung nicht nur stützen, sondern auch behindern können (Sulimma, 2012). Neue Lerninhalte werden in der Regel in bestehende Wissensstrukturen und Überzeugungssysteme integriert; insbesondere in Situationen mit hoher Beanspruchung neigen Menschen dazu, auf ihre vorhandenen subjektiven Theorien zurückzugreifen (Herzog & von Felten, 2001). Diese sind aber möglicherweise im neuen Berufskontext nicht mehr gültig. Genau dies ist für Berufswechslerinnen und Berufswechslern eine Realität, wie unter anderem die Ergebnisse in Kapitel 4 Herausforderungen (S. 28) zeigen: Aus dem Vorberuf mitgebrachte Erwartungen und Qualitätsmassstäbe stehen nicht selten im Widerspruch zu den neuen Anforderungen. Diese Diskrepanz ist herausfordernd und kann zuweilen auch als belastend empfunden werden.

      Zusammenfassend zeigen die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse also, dass frühere Berufserfahrungen für die professionelle Entwicklung im Lehrberuf durchaus gewinnbringend sein können – doch nur dann, wenn es gelingt, sich Überzeugungen, Erwartungen und subjektive Theorien bewusst zu machen, sie zu hinterfragen und bereits erworbenes Wissen und Können in die neuen, berufsrelevanten Wissensstrukturen zu integrieren. Gleichzeitig können gefestigte Vorerfahrungen in der Zweitausbildung und dem Zweitberuf auch zu spezifischen Herausforderungen führen. Die Frage ist, unter welchen Bedingungen ein Transfer von Wissen und Können auf den neuen Beruf möglich ist und wie dieser Prozess unterstützt werden kann.

      Viele Länder, darunter auch die Schweiz, haben mit wiederkehrenden Phasen des Lehrpersonenmangels zu kämpfen (vgl. z.B. Ingersoll, 2001; Laming & Horne, 2013; OECD, 2015). Die Schweizer Bildungspolitik reagierte bereits in den 1960er-Jahren mit der Schaffung von Ausbildungsangeboten – die heute wohl als Quereinsteigermodelle bezeichnet würden –, um die Kapazitäten in den bestehenden Ausbildungsinstitutionen zu erhöhen (Criblez, 2017). Die Lehrerinnen- und Lehrerbildung wurde für neue Personengruppen geöffnet, alternative Ausbildungsmöglichkeiten für Personen mit unterschiedlichen Qualifikationen wurden gebildet, darunter Sonder- und Umschulungskurse für Personen mit Matura, für Akademikerinnen und Akademiker sowie für Berufsleute, das heisst Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung.

      Die Ausweitung der Rekrutierung und die Schaffung alternativer Zugangswege und Ausbildungsmöglichkeiten für Personen mit Berufsausbildung entspricht zwar einer langjährigen Praxis, ist aber grundsätzlich mit zwei Problemen behaftet: Zum einen ist sie nur bedingt dazu geeignet, das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage im Schuldienst zu regeln, wie Criblez anhand der sogenannten «Schweinezyklen» darlegt. Staatliche Steuerungsmassnahmen haben die Tendenz, erst verzögert zu greifen, und trugen in der Vergangenheit nicht selten dazu bei, dass Phasen des Lehrermangels ins Gegenteil kippten. Zum anderen steht, wie Puderbach und Kollegen (2016) pointiert ausführen, die erst kürzlich durchlaufene Tertiarisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im eigentlichen Widerspruch zur Senkung der formalen Zugangshürden für Berufswechsler und Quereinsteigende, zumal positive Effekte früherer Berufserfahrungen auf die professionelle Entwicklung von Lehrpersonen bisher nur schwer belegbar seien. Sind Berufswechslerinnen und Berufswechsler als «Lückenbüsser» also wirklich die richtige Wahl?

      Hinzu kommt, dass das Phänomen des Lehrkräftemangels sich durch Berufsaustritte beziehungsweise die Berufsmobilität noch verschärft. Zwar ist die Lage diesbezüglich zumindest in der Schweiz nicht ganz so dramatisch wie zuweilen in den Medien berichtet. Wie sowohl der Bericht des Bundesamts für Statistik wie auch der Schweizer Bildungsbericht 2014 klarstellen (BFS, 2014; SKBF, 2014), beträgt der Anteil der Berufsaussteigenden bei den Lehrpersonen in den ersten fünf Berufsjahren entgegen wiederholter Medienberichte nicht 50 Prozent, sondern rund 17 Prozent. Die 50 Prozent beziehen sich auf die allgemeine Berufsmobilität, das heisst sämtliche personellen Verschiebungen wie z.B. Kündigungen mit anschliessendem Schul- oder Kantonswechsel. Berufsmobilität ist nicht mit Berufsausstieg gleichzusetzen, auch wenn eine hohe berufliche Mobilität lokal durchaus zu Lehrpersonenmangel führen kann, wenn etwa die Anstellungsbedingungen in einem Kanton attraktiver sind als in einem anderen. Die relativ starke Berufstreue von Lehrpersonen bei gleichzeitig hoher Berufsmobilität stützt die Einschätzung von Ingersoll (2003), dass weniger die Zahl der beginnenden Lehrkräfte zu erhöhen sei, als dass dafür gesorgt werden müsse, dass die Arbeitsbedingungen und die beruflichen Perspektiven für die ausgebildeten Lehrkräfte attraktiv genug seien, um langjährig im Beruf und auch an einer bestimmten Schule zu verbleiben.

      Wie die in diesem Kapitel zusammengefassten Überlegungen zeigen, spricht vieles dafür, dass die Schweiz mit ihren Programmen für Berufswechslerinnen und Berufswechsler auf einem guten Weg ist: Die diversen Angebote haben sich als alternative Zugangswege zum Lehrberuf inzwischen relativ fest etabliert und zielen nicht nur aufs Füllen von Personallücken ab – anders als beispielsweise in Deutschland, wo Programme für Quereinsteigende derzeit mehrheitlich Projektstatus haben und nur in Phasen des Lehrkräftemangels eingesetzt werden, wie Puderbach und Kollegen (2016) erläutern.

      Es lässt sich schlussfolgern, dass die Ausbildung von Quereinsteigerinnen und Berufswechslern zwar häufig als Gegenmassnahme in Zeiten des Lehrermangels verstanden wird, dass diese staatlich gesteuerte Lückenfüllerfunktion aber weder strukturell zwingend notwendig und effektiv ist, noch den Kompetenzen der betroffenen Personen als qualifizierte Lehrkräfte gerecht wird. Die Frage ist darum vielmehr, wie Lehrpersonen mit Vorberufserfahrungen dem Bildungssystem über die ihnen oft zugeschriebene Funktion als Lückenbüsser hinaus dienlich sein können, welche Impulse und Ressourcen sie in den Lehrberuf hineinbringen, welche Ausbildungs-, Berufseinführungs- und Weiterbildungsmassnahmen für sie geeignet sind und was dazu beigetragen werden kann, dass auch diese Lehrpersonen langfristig in ihrem neuen Beruf verbleiben. Wie alte und neue Erfahrungen zusammenspielen, was dies für die professionelle Entwicklung von Lehrpersonen ganz allgemein und von Berufswechslerinnen und Berufswechslern im Speziellen bedeutet und inwiefern diese Prozesse Einfluss auf den Berufsverbleib haben, bleiben daher weiterhin wichtige Fragen der Professionalisierungs- und der Verbleibforschung, zu denen die folgenden Kapitel einen Beitrag leisten sollen.

      Die Befunde, die in diesem Band präsentiert werden, basieren auf dem von der Pädagogischen Hochschule PHBern finanzierten Projekt «Berufsleute als Lehrpersonen», das im Zeitraum zwischen 2013 und 20151 durchgeführt wurde. Ziel war, diplomierte Lehrpersonen mit und ohne Vorberuf einige Jahre nach der Diplomierung zu befragen und hinsichtlich verschiedener Aspekte ihrer beruflichen Entwicklung miteinander zu vergleichen. Konkret wurde untersucht,

      –wie kompetent sich die Lehrpersonen gegenüber den Anforderungen des Lehrberufs fühlen, als wie beanspruchend sie die verschiedenen Berufsanforderungen wahrnehmen und wie wichtig sie ihnen sind,

      –wie zufrieden und belastet sie mit dem Lehrberuf sind und von welchen Faktoren dies abhängt, sowie

      –ob sie im Lehrberuf verblieben sind oder ihn inzwischen wieder verlassen haben und welche Gründe allenfalls zum Ausstieg aus dem Lehrberuf beigetragen haben.

      Hinsichtlich dieser Fragen wurden die Lehrpersonen mit und ohne Vorberuf miteinander verglichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Lehrergruppen analysieren zu können. Nur bei den Berufswechslerinnen und Berufswechslern wurde zudem in Interviews erfragt,

      –welche Herausforderungen sich ihnen in den ersten Berufsjahren als Lehrkräfte stellten,

      –welche Bedeutung sie in ihrer Vorberufserfahrung für die Arbeit СКАЧАТЬ