Über Umwege zum Lehrberuf. Dilan Aksoy
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Название: Über Umwege zum Lehrberuf

Автор: Dilan Aksoy

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783035508499

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СКАЧАТЬ auf der Sekundarstufe I unterrichten möchte und daher die Aufnahmeprüfung für einen regulären Studiengang absolviert. Eine Mitdreissigerin mit kaufmännischem Hintergrund, die sich für ein Quereinsteigerprogramm bewirbt mit dem Wunsch, später vielleicht Schulleiterin zu werden. Oder ein 50-jähriger Mathematiker, der im letzten Berufsabschnitt sein Wissen an die jüngere Generation weitergeben möchte.

      Diese Heterogenität widerspiegelt sich in den zahlreichen Bezeichnungen für diese Gruppe von angehenden und praktizierenden Lehrkräften. Während sich im englischsprachigen Kontext relativ einheitlich die Begriffe «second career teachers» und «career switchers» etabliert haben, findet sich im deutschen Sprachraum eine verwirrende Vielfalt von Begriffen: Berufwechslerinnen und Berufswechsler, Lehrpersonen mit Vorberuf, Quereinsteigende, Seiteneinsteigende, Berufsumsteigende, nicht-traditionelle Studierende, alternativ zertifizierte Lehrkräfte, Lehrpersonen auf dem zweiten Bildungsweg oder zuweilen auch berufserfahrene Lehrpersonen. All diese Begriffe beziehen sich in der Regel auf Studierende oder Lehrpersonen, die bereits über einen früheren Berufs- oder Studienabschluss verfügen und mehrheitlich Berufserfahrung in diesem Feld aufweisen. Eine Übersicht für Deutschland, Österreich und die Schweiz bieten Puderbach, Stein und Gehrmann (2016) in ihrer Bestandsaufnahme zu sogenannt nicht-grundständigen Wegen in den Lehrberuf. Die Autoren klären die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bezeichnungen und legen die spezifischen Ausbildungsprogramme dar, die für diese unterschiedlichen Zielgruppen angeboten werden.

      Bei aller Heterogenität gibt es aber auch verbindende Elemente, die Quereinsteigerinnen und Berufswechsler teilen. Mit einer beruflichen Neuorientierung ist zudem in der Regel ein Wechsel vom Experten- zurück zum Novizenstatus verbunden sowie die Herausforderung, Denkmuster, Arbeitsroutinen, Erwartungen und Kenntnisse aus dem alten Beruf in die neue Berufssituation zu übertragen. Zudem fällt der zweite Berufseinstieg oft in die Phase der Familiengründung, was zu Doppelbelastungen, aber auch zu einem gegenseitigen Transfer von Kompetenzen führen kann, wie Keller-Schneider, Arslan und Hericks (2016) ausführen. Desweiteren haben Lehrkräfte mit Vorberufserfahrung die Entwicklungsaufgabe «Berufseinstieg» im Sinne eines zentralen Rollenübergangs (Oerter & Dreher, 2002) schon mindestens einmal vollzogen und sind damit den Lehrpersonen im Erstberuf einen Schritt voraus, was die Bewältigung berufsunspezifischer Entwicklungsaspekte des Berufseinstiegs angeht. Dazu wird vor allem die berufliche Sozialisation gezählt und damit der Wechsel von der klar strukturierten Ausbildungssituation in eine offenere, weniger strukturierte Arbeitswelt, der Umgang mit noch unbekannten Handlungsfeldern und Rollenerwartungen, die Eingliederung in ein Arbeitsteam sowie die allmähliche Übernahme der Hauptverantwortung für eine berufliche Funktion (Ganser & Hinz, 2007). Schliesslich ist neben dem höheren Alter auch der Aspekt verbindend, die notwendigen finanziellen, personellen und oft auch sozialen Ressourcen für einen Berufswechsel mobilisiert zu haben. Diese Gemeinsamkeiten legen nahe, dass Berufswechslerinnen und Quereinsteiger möglicherweise über besonders hohe Ressourcen verfügen, die ihnen im Lehrberuf zugutekommen könnten. Ob diese Hypothese tatsächlich bestätigt werden kann, ist unter anderem Inhalt dieses Bandes.

      Im vorliegenden Band wird von Berufswechslerinnen und Berufswechslern in den Lehrberuf oder von Lehrpersonen mit Vorberuf gesprochen. Dies sind relativ neutrale Bezeichnungen, da sie generell Personen umfassen, die aus einem anderen Beruf in den Lehrberuf wechseln – unabhängig davon, welche Art der Ausbildung sie im Rahmen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung absolvieren. Zudem treffen sie auf die Stichprobe der präsentierten Studie gut zu: Untersucht wurden Lehrpersonen, die mindestens eine Berufsausbildung absolviert und entsprechende berufliche Erfahrung erworben hatten, anschliessend über eine Aufnahmeprüfung an die Pädagogische Hochschule Bern gelangten und einen regulären Studienabschluss auf der Vorschul-, Primar- oder Sekundarstufe I erwarben (Details zur Stichprobe vgl. Kapitel 3 die Studie in Kürze, S. 20).

      Zur Entwicklung von Expertise in einem bestimmten Feld ist umfangreiches Fachwissen vonnöten, das gemäss Expertiseforschung nur durch ein grosses Ausmass an Erfahrung erworben werden kann (Gruber & Mandl, 1996). Berufswechslerinnen und Berufswechsler waren bereits einmal Experten in einem anderen Tätigkeitsfeld – oder auf dem Weg dazu –, bevor sie in den Lehrberuf und damit wieder in den Novizenstatus wechselten. Viele Wissens- und Erfahrungsbestände, die sie in ihren früheren Tätigkeiten erworben haben, können potenziell für den Lehrberuf nutzbringend sein: konkretes Fachwissen, Kommunikations- und Verhandlungskompetenzen, Wissen und Erfahrungen im Projektmanagement, in der Handhabung von Computerprogrammen etc. Doch können Lehrpersonen mit Vorberufserfahrung ihre Expertise, das heisst ihr Wissen und Können aus ihrer früheren Tätigkeit tatsächlich auf den neuen Beruf übertragen – sind also ihre Erfahrungen für den Lehrberuf überhaupt relevant? Eine positive Antwort scheint naheliegend, ist aber nicht immer zutreffend, wie die Forschung zeigt.

      Professionelles Lehrerhandeln basiert auf erwerbbaren Kompetenzen – dazu gehören Fachwissen, fachdidaktisches und pädagogisches Wissen, aber auch berufsbezogene Überzeugungen, Motivation und die Fähigkeit zur Selbstregulation –, die mit den eigenen biografischen Erfahrungen eng verknüpft sind (Baumert & Kunter, 2006; Cramer, 2012; Dick, 1997). Insbesondere die nicht-fachbezogenen Kompetenzen werden nicht nur im Rahmen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, sondern auch in informellen Kontexten erworben und unter anderem von der individuellen Schul- und Berufsbiografie geprägt (z.B. Cramer, 2012). Studien zu Lehrpersonen auf dem zweiten Bildungsweg legen nahe, dass sich Erfahrungen aus früheren beruflichen Tätigkeiten tatsächlich positiv niederschlagen können: in einer ausgeprägten Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und einem hohen Verständnis für Management- und Organisationsstrukturen (Freidus & Krasnow, 1991), effektiveren Arbeitsweisen, was das Zeitmanagement, die Problemlösung und den Umgang mit Herausforderungen angeht (Haggard, Slostad, & Winterton, 2006; Kember, 2008; McDonald, 2007) sowie besonders ausgeprägten interpersonalen und kommunikativen Fähigkeiten im Umgang mit Schülerinnen und Schülern, Eltern, dem Kollegium oder der Schulleitung (Chambers, 2002; Freidus & Krasnow, 1991; Kahn, 2015). Betroffene selbst nehmen ihre grössere Lebenserfahrung, einen starken Praxisbezug, die Fähigkeit mehrere Projekte gleichzeitig zu leiten und eine hohe Arbeitsmoral als Vorteile wahr, die ihnen im Lehrberuf von Nutzen sind (Chambers, 2002). Von Praktikumslehrpersonen und Schulleitungen werden Lehrkräften mit Vorberufserfahrungen im Vergleich zu Lehrkräften im Erstberuf ein fokussierteres Lernen, eine schnellere Integration in die Schulorganisation, eine höhere Offenheit für pädagogische Innovationen sowie höhere Eigenverantwortung zugeschrieben (Tigchelaar, Brouwer & Korthagen, 2008). Zu den spezifischen Kompetenzen von Berufswechslerinnen und Berufswechslern gehören zudem eine höhere intrinsische Berufsmotivation als bei Lehrkräften im Erstberuf (Freidus, 1994; Novak & Knowles, 1992; Resta, Huling, & Rainwater, 2001; Weinmann-Lutz, 2004; Weinmann-Lutz, Ammann, Soom & Pfäffli, 2006) und höhere Selbstwirksamkeitserwartungen (Weinmann-Lutz, 2004; Weinmann-Lutz et al., 2006).

      Solche Erfolgsmeldungen können den Eindruck erwecken, dass Praxiserfahrung sich ganz automatisch in Können niederschlage und sich zudem zielstrebig auf neue (Berufs-)Kontexte übertragen lasse. Diese weit verbreitete Annahme hat sich jedoch in der wissenschaftlichen Überprüfung als falsch oder zumindest als zweifelhaft erwiesen (z.B. Neuweg, 2004; Gascoigne & Thornton, 2013). Zwar belegt die Expertiseforschung deutlich den Wert von Erfahrungswissen für die Erreichung beruflicher Leistungsfähigkeit, gleichzeitig zeigt sie aber auch, dass ein Mehr an Berufsjahren – sprich an praktischer Erfahrung – erstaunlich schwach mit einem Mehr an Expertise verbunden ist (Gruber & Mandl, 1996). Erfahrungen führen nicht automatisch zu Expertise, sondern nur dann, wenn sie auf der Basis handlungsrelevanten theoretischen Wissens reflektiert und adaptiert werden können (Hascher, 2005; Neuweg, 2015). Zudem ist Expertise stark domänenspezifisch (Gruber & Mandl, 1996), das heisst es fällt schwer, das damit verbundene Wissen und Können auf andere Arbeitsbereiche zu übertragen. Für Berufswechslerinnen und Berufswechsler in den Lehrberuf heisst das: Ihre beruflichen Vorerfahrungen und Vorkenntnisse – beispielsweise in Zeitmanagement, Problemlösung oder Kommunikation – СКАЧАТЬ