Der verschwundene Brief. Eckart zur Nieden
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Читать онлайн книгу Der verschwundene Brief - Eckart zur Nieden страница 6

Название: Der verschwundene Brief

Автор: Eckart zur Nieden

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

Серия:

isbn: 9783865069580

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СКАЧАТЬ ihr Kollege sich am Computer zu schaffen macht, beschäftigt Hannah sich mit einem Buch aus ihrer Bibliothek in Blindenschrift. Keiner stört den anderen durch unnötige Konversation.

      Bis Hannah ein leichtes Lachen ausstößt.

      „Liest du was Lustiges?“, fragt der Kommilitone.

      „Eigentlich nicht“, lächelt Hannah. „Ich lese in der Bibel.“

      „Okay – und da gibt es was zum Lachen?“

      „Auf jeden Fall. Aber ich habe eben eigentlich gar nicht richtig gelacht.“

      „Um was geht’s denn?“

      „Ich habe gerade in einem Psalm gelesen: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“

      „Schon beeindruckend, dass du über deine Behinderung noch Scherze machen kannst.“

      „Vielleicht deswegen, weil der Satz stimmt: Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Auch wenn das mit den Augen eher schwierig ist.“

      „So“, sagt Jaron, „fertig. Gib mir mal einen Text, zum Ausprobieren. Aber nicht in Brailleschrift.“

      Hannah tastet auf ihrem Schreibtisch. „Hier … Ach nein, das geht nicht. Handschrift. Aber vielleicht das …“

      Es dauert eine Weile, dann hört Hannah eine trockene Computerstimme: „Barmer BEK. Kassel, den vierzehnten fünften zweitausendundsechzehn. Betreff: Ihre Anfrage wegen Kostenerstattung. Sehr geehrte Frau Droste, wir bestätigen den Eingang Ihres …“

      Jaron schaltet das Gerät ab. „Das reicht. Es funktioniert. Und ich muss ja nicht deine Post mithören.“

      Er verschweigt, dass er sich schon heimlich in eine persönliche Angelegenheit Einblick verschafft hat. Während der Scanner arbeitete, hat er den handschriftlichen Brief überflogen, den Hannah ihm zunächst geben wollte. Merkwürdig! Ein Brief von 1941! Und da ist von einem Code die Rede! Irgendwas mit Judenverfolgung und verborgenen Schätzen. Er hat lautlos sein Smartphone genommen und den Brief fotografiert.

      „Super, danke, Jaron! Jetzt musst du mir nur noch sagen, was ich in welcher Reihenfolge machen muss!“

      Das tut Jaron auch. Zehn Minuten später verabschiedet er sich, und Hannah geht ins Wohnzimmer.

      „Ich grübele schon über dem Code“, begrüßt Mats sie. „Ehrlich: Ich komme keinen Schritt weiter.“

      „Wie bist du die Sache angegangen?“

      „Erst mal habe ich gezählt, welcher Buchstabe wie oft vorkommt. Ich dachte, dass der häufigste für ein E steht oder ein N.

      Aber kein Buchstabe fällt durch besondere Häufigkeit auf. Und selbst wenn es so wäre – wie sollte ich weitermachen, wenn ich wüsste, was ein E ist?“

      „Es muss ja nicht sein, dass ein bestimmter Buchstabe im Code immer ein bestimmter Buchstabe im Klartext sein muss. Das wäre zu einfach.“

      „Wie meinst du das?“

      Hannah zuckt die Achseln. Es wirkt bei ihr immer etwas unbeholfen, denn sie hat das nie bei anderen gesehen, man hat ihr nur gesagt, dass Achselzucken ein Zeichen für „ich weiß nicht“ ist. „Es ist sicher nicht so ganz schlicht. Wenn sich die Jungs damals so eine Geheimschrift ausgedacht haben, werden sie vermutlich einiges an Überlegungen investiert haben, um die Sache einigermaßen sicher zu machen.“

      „Weiß nicht, wie wir da ohne die Hilfe eines Fachmanns weiterkommen sollen!“

      „Gib nicht gleich auf, Bruderherz! Hast du nicht ’ne Zwei in Mathe?“

      „Das hat doch nichts mit Mathe zu tun! Außerdem – bist du in Mathe nicht noch besser gewesen?“

      „Am besten, du diktierst mir mal die ganze Buchstabenfolge, und ich schreibe sie mir in Brailleschrift auf. Dann kann ich auch alleine darüber nachdenken.“

      „Okay. Bleib sitzen, ich hole deine Maschine.“

      Und dann diktiert Mats: „NPDBNUZJMILATHDCDUGBKAGL …“

      Mama kommt rein. Sie macht ein Gesicht, als könnte sie sich nicht entscheiden, ob sie zornig oder traurig sein soll.

      „Ist was?“, fragt Mats. „Wo ist Mia?“

      „Sie spielt. Ich habe mit Florian telefoniert. Unglaublich. Er will nicht zu Jennis Beerdigung kommen!“

      „Aber das muss er!“, empört sich Hannah.

      „Hab ich ihm auch gesagt. Sie war seine Freundin, und vor allem, sie ist die Mutter seines Kindes gewesen!“

      Mats ergänzt: „Und wenn es Selbstmord war, kann man wohl auch sagen, dass er an ihrem Tod nicht ganz unbeteiligt ist.“

      „Mit so einer Aussage muss man vorsichtig sein!“, mahnt seine Mutter. „Aber unabhängig davon – es ist egoistisch und ignorant und … ach, was rege ich mich auf. Ich habe mir schon oft genug fest vorgenommen, mich durch Florians Verhalten nicht in einen Nervenzusammenbruch treiben zu lassen. Was macht ihr da?“

      „Hannah will den codierten Brief in Braille haben, damit sie miträtseln kann.“

      Mama nickt und setzt sich neben ihrer Tochter auf das Sofa. „Wenn man sich das Elend von diesem Daniel Grüntal vorstellt … Es gab und gibt wohl noch größere Sorgen als meine.“

      Hannah bleibt stehen, noch ehe ihr Stock an ein Hindernis gestoßen ist.

      „Guten Abend, junge Frau!“, sagt eine Männerstimme. Sie klingt etwas piepsig, und Hannah hört auch, dass der Mann etwas kleiner sein muss als sie. „Nicht schlecht! Woher wussten Sie, dass ich Ihnen im Weg stehe? Ich war ganz leise!“

      „Aber nicht der Hund, den Sie da neben sich haben.“

      Dass der Mensch nicht besonders freundlich wirkt, liegt nicht nur an der übertriebenen Höflichkeit seiner altmodischen Formulierungen, sondern auch am Tonfall seiner Stimme.

      „Würden Sie mir jetzt bitte den Weg freigeben?“

      „Einen Augenblick noch, wenn Sie gestatten, Frau Droste.“

      „Kennen wir uns?“

      „Vermutlich kennen Sie mich nicht“, antwortet der Fremde, „aber ich kenne Sie. Habe Sie in den letzten Tagen beobachtet. Aber ich stelle mich gern vor. Blaschke ist mein Name. Hubert Blaschke. Sie sollten sich den Namen gut merken, weil ich Sie bitten muss, Ihrem Bruder Florian einen Gruß von mir zu bestellen. Ach – das ist eigentlich auch nicht nötig, ich kann ihn selbst grüßen, wenn Sie mir sagen, wo ich ihn finde.“

      „Mein Bruder wohnt nicht hier.“

      „Ich weiß. Deswegen brauche ich ja seine neue Adresse.“

      „Warum sollte ich das tun?“ Hannah СКАЧАТЬ