Lufthunde. Burkhard Müller
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Название: Lufthunde

Автор: Burkhard Müller

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

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isbn: 9783866742116

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СКАЧАТЬ zu gebrauchen, wider den Geschmack gehen sollte. Einmal bemerkt er zu Pascal: Es sei quälend anzuschauen, wie dieser in sich die Vernunft abtöte, wie ein zähes, langbeiniges Insekt, das nicht sterben will. Derselbe Anblick bei Nietzsche ist noch quälender, denn das Gut, in dessen Namen er den Abtötungsprozess vollzieht, ist jedenfalls ein noch niedrigeres als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Das »Leben«! Das Leben gibt es nicht, und wenn doch, dann nur als den Todfeind des Lebendigen, indem es sich stets und immer auf dessen Kosten erhält und weitermacht, wenn dieses stirbt.

      Das braucht keine Überhöhung, das sollte man nicht verherrlichen, das ist der traurig rätselvolle Lauf der Welt. Angesichts des Lebendigen aber kann es eigentlich nur ein Erschrecken vor dessen Gebrechlichkeit geben. Die Verleumdung des Diesseits begreift man am besten als eine Folge dieses Schrecks: so leicht und schnell soll uns der Hals gebrochen sein! Nein, das wollen wir nicht hinnehmen, wir wollen, dass das Lebendige in allem, was es in seiner kurzen Zeit war, an einem Ort aufgehoben werde. Diesen Ort bewacht und garantiert der christliche Gott. Er ist nicht bestellt, das Leben zu bekämpfen, sondern das Lebendige zu schirmen. Nicht das Nichts vertritt er, sondern das bisschen, das sich so erschütternd wenig davon unterscheidet, den »Hauch in den Mulden«, als den Max Frisch das Lebendige auf Erden vom Flugzeug aus gesehen hat. Wir sollten eher Erbarmen haben mit denen, die diesen Gott brauchten, und mehr noch mit uns selbst, die wir nicht einmal ihn mehr haben. Natürlich beruht der Glaube an ihm auf einem bedürfnisgeborenen Irrtum, er ist Illusion und aus den Mündern bestimmter interessierter Kreise, z. B. der Priesterschaft, sogar Lüge. Es lässt sich Vieles gegen das Christentum sagen, und mit dem Ton des Zorns. Nietzsches Einwände sind die verkehrten.

       Neunter Stich: Die Fröhliche Wissenschaft,

       Drittes Buch, Nr. 237 bis 241

      »237. Der Höfliche. ›Er ist so höflich!‹– Ja, er hat immer einen Kuchen für den Zerberus bei sich und ist so furchtsam, dass er jedermann für den Zerberus hält, auch dich und mich – das ist seine ›Höflichkeit‹.

      238. Neidlos. – Er ist ganz ohne Neid, aber es ist kein Verdienst dabei: denn er will ein Land erobern, das niemand noch besessen hat und kaum einer auch nur gesehen hat.

      239. Der Freudlose. – Ein einziger freudloser Mensch genügt schon, um einem ganzen Hausstande dauernden Missmut und trüben Himmel zu machen; und nur durch ein Wunder geschieht es, dass dieser eine fehlt! – Das Glück ist lange nicht eine so ansteckende Krankheit – woher kommt das?

      240. Am Meere. – Ich würde mir kein Haus bauen (und es gehört selbst zu meinem Glücke, kein Hausbesitzer zu sein!). Müsste ich aber, so würde ich, gleich manchem Römer, es bis ins Meer hineinbauen – ich möchte mit diesem schönen Ungeheuer einige Heimlichkeiten gemeinsam haben.

      241. Werk und Künstler. – Dieser Künstler ist ehrgeizig und nichts weiter: zuletzt ist sein Werk nur ein Vergrößerungsglas, welches er jedermann anbietet, der nach ihm hinblickt.«

      Hier ruhte die Spitze der Nadel eigentlich nur auf der Nummer 237, das heißt der unergiebigsten in weiter Runde (denn dazu, die Höflichkeit aus berechnender Furcht zu deduzieren, gehört nicht eben viel Erkenntnis); und ich habe mir die kleine Schummelei gestattet (kein Orakel und kein Aberglaube ohne kleine Schummeleien, von denen ihre Autorität merkwürdigerweise jedoch nie angetastet wird), die nächsten Nummern noch dazuzunehmen – auch darum, weil es einzeln eben wieder bloß ein Aphorismus wäre und Werk und Künstler als das erscheinen müssten, was Nietzsche in Nr. 241 sagt; dieses Stück soll um seines warnenden Inhalts willen die zitierte Strecke abschließen. Es ist in der »Fröhlichen Wissenschaft« doch ein anderes Bauprinzip vorhanden als die Selbstverliebtheit, nämlich der Wille, aus hingestreuten Mosaiksteinen ein Ganzes zu fügen. Es ist ein heiteres Prinzip. Nietzsche aber muss es sogleich übertreiben und spricht statt von einer heiteren von einer fröhlichen Wissenschaft. Damit senkt sich auf das Lichte etwas Schwüles herab, von dem das Gemeinte zu Boden gedrückt wird. So ähnlich steht es damit wie mit seiner, des hilflosen Nichttänzers, Rede vom Tanz, die peinlich berührt.

      Man beachte, wie in den Stücken 238 und 240 das Personalpronomen verwendet ist, wie es hier einmal »er« und einmal »ich« heißt, obwohl es sich bestimmt beidemale um niemanden als Nietzsche selbst handelt. Leichter liefert er seine bürgerliche Existenz aus, die in der Frage nach dem Immobilienbesitz tangiert wird. Seine Antwort: grundsätzlich nein, aber wenn ja, dann nur in größtem Stil. Ein bisschen Protzerei ist bestimmt auch dabei. Es schwingt außerdem noch etwas anderes mit, das sich, altphilologisch codiert, für den heutigen Leser so ziemlich verbirgt: Dieses Hinausbauen der Villen ins Meer stellt im philosophischen und poetischen Diskurs der römischen Kaiserzeit das klassische Beispiel für maßlose Verschwendung dar; kaum ein Autor, der sich dieses offenbar stark auffällige Motiv entgehen ließ, um zu demonstrieren, was an der Entwicklung seiner Zeit schiefläuft. Nietzsche schlägt hier, uns kaum mehr erkennbar, dem ethischen Konsens der Antike ins Gesicht. Es handelt sich um eine verkappte Polemik gegen die stoische Forderung nach Wahrung des rechten Maßes. Maßlos will er sein in der Wendung ans Elementare! Freilich so verklausuliert, dass es sein Maß doch wieder in der geringen Zahl jener trägt, die es wirklich verstehen können.

      Daneben steht eine andere und noch viel größere Vorsicht in Nr. 238. Es gehört nicht zu den Geheimnissen, dass unter Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen Neid, Hass und Eifersucht gedeihen wie kaum sonst irgendwo, einfach deswegen, weil erstens jeder, was er leistet, nur allein leisten kann, zweitens jeder andere als Konkurrent erscheint und es drittens keine ein für allemal ausgemachten Ränge gibt, damit auch keine Beilegung des Wettstreits, der tendenziell nie endet. Dichter, herrlich wie Möwen im Flug und wie Möwen abscheulich untereinander, sagt Elias Canetti. Hier vom Neid nichts wissen, heißt aus der Art zu schlagen und muss inniges Misstrauen wecken. Wie kann sich da jemand erlauben, nicht neidisch zu sein? Ist er so dumm? oder so größenwahnsinnig? oder gar wirklich so groß? Natürlich letzteres, wie Nietzsche von sich selber weiß, nicht weil er etwas Größeres hätte als die anderen, sondern weil er es will. Auf das, was dem anderen seinen höchsten Stolz bedeutet, nicht neidisch sein, ist für ihn die tiefste Kränkung; diese muss man, egal was man denkt, unbedingt vermeiden. Sonst bräche Neid auf die Neidlosigkeit hervor; und wenn generell gilt, dass der Neider unglücklich werden muss, weil er so selten kriegt was er will, so sähe der Neid sich in diesem Fall in eine spezielle Paradoxie und Sackgasse hineingedrängt, die ihn hochschlagen ließe wie eine Brandungswelle in einer engen Felskehle; der gewissermaßen gutmütige Normalneid würde zu völlig neuen Dimensionen der Bosheit gepeitscht. Und darum: Pst! und: »er«.

      In Nr. 239 unterläuft Nietzsche eine kategoriale Verwechslung. Als Gegenpart der Freudlosigkeit setzt er nicht etwa die Freude – die steckt nämlich durchaus an –, sondern das Glück, das nun freilich immer ein sehr persönliches ist und nicht ohne weiteres überspringt. Das gilt allerdings fürs Unglück auch. Und so fällt eigentlich bei näherer Betrachtung das ganze Stück dahin.

       Zehnter Stich: Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert: Streifzüge eines Unzeitgemäßen, Nr. 25

      »Mit Menschen fürlieb nehmen, mit seinem Herzen offen haushalten, das ist liberal, das ist aber bloß liberal. Man erkennt die Herzen, die der vornehmen Gastfreundschaft fähig sind, an den vielen verhängten Fenstern und geschlossenen Läden: ihre besten Räume halten sie leer. Warum doch? – Weil sie Gäste erwarten, mit denen man nicht ›fürlieb nimmt‹…«

      Die Gleichsetzung von Herz und Haus ist ein schönes Bild. Sonst aber bin ich mit diesem Stück recht unzufrieden. Mit Menschen fürlieb nehmen und mit seinem Herzen offen haushalten, das sind doch wohl zwei sehr verschiedene Dinge. Das Fürliebnehmen bedeutet so ziemlich das Gegenteil eines offenen Herzens, denn man darf den anderen um keinen Preis die darin schwingende Geringschätzigkeit spüren lassen, er wäre sonst – und zu Recht – tödlich beleidigt. Das offene Herz wendet СКАЧАТЬ