Lufthunde. Burkhard Müller
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Название: Lufthunde

Автор: Burkhard Müller

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

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isbn: 9783866742116

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СКАЧАТЬ werden ist nicht schwer,/​Vater sein dagegen sehr«, lautet eins seiner geflügelten Worte, die selbst in der zitatarmen heutigen Zeit noch kursieren; und doch gilt ebenso: »Onkel heißt er bestenfalles,/​Aber dieses ist auch alles.«

      In einem umfassenden Sinn ist Wilhelm Busch unser aller Onkel geblieben. Als ein glückliches Resultat wird man das nicht bezeichnen wollen, eher als eine typisch familiäre Notlösung (mehr Not als Lösung, möchte man sagen). Der Preis, den er für die Duldung im Schoß seiner Lieben zu zahlen hat, liegt in der Anmutung der Lustigkeit, die er seiner doch eigentlich traurigen Existenz zu geben hat; aufs Lustige kommt man bei Wilhelm Busch immer wieder zurück. Es eignet dieser pläsierlichen Haltung eine ansteckende Kraft, fast wie einem Gähnen, die bis heute zu spüren ist: Die Mechanismen, an denen Busch sich formte und von denen er verformt wurde, können nicht gänzlich verschollen sein. Man muss schon sehr kämpfen, um sich da nicht einfach kongenial gehen zu lassen. Noch Gerd Haffmans schreibt 2004 in seinem Nachwort: »Sollte der unmögliche Fall der Fall sein, dass jemals jemand alkoholische Getränke in ein wenig reichlicher Form zu sich genommen hat, so wird er bei Betrachtung dieser Bilder nur ebenso bitter wie beifällig in sich hineinmurmeln: ›Jaja, genau so isses.‹« Dabei liegt es auf der Hand, dass diese Bilder – gemeint sind vor allem die Rausch-Episoden der »Haarbeutel« – das Werk eines schwer alkoholkranken Mannes sind. Indem Haffmans Busch den Gefallen tut, diese Tatsache schmunzelnd zu verharmlosen, tut er ihm zuletzt keinen Gefallen; er verweigert ihm das erlösende Wort, das hier so dringend nötig wäre wie im »Parsifal«: Oheim, was ist Euch?

      Und so hat man bei der Busch-Rezeption oft den Eindruck, auch nach hundert Jahren, dass hier weniger die Nachwelt als eine verschleppte Mitwelt zugange ist. Man hat bei Busch die vielen Momente seiner zeichnerischen Technik betont, die in die Moderne bis hin zu Film und Abstraktion vorausweisen, gewiss mit gutem Grund. Als machtvoller aber erweist sich sein Potential, uns zum Rückfall zu ermuntern. Wir halten uns für Bürger des 21. Jahrhunderts, von dem wir doch noch gar nichts wissen können. (Wer hätte vor hundert Jahren was vom 20. gewusst?) Was uns aber offenbar so unverlierbar anhaftet wie Knopp, wenn er seine eleganten Tanzfiguren aufs Parkett legt, der heimlich und außerhalb seines Gesichtskreises angenähte Schweineschwanz, das ist immer noch das vorvergangene Säculum; in ihm suchen wir Behagen, seine gereimten Ohrwürmer üben immer noch schmeichelnde Gewalt über unser Gehör und Gedächtnis, zu ihm greifen wir wie ein Kind, dem seine Eltern die Schokolade verboten haben, gierig, sobald niemand zuguckt. In keinem anderen Autor verkörpert sich für uns so machtvoll ein lasterhaft süßes Heimweh nach dem 19. Jahrhundert. Mit Verwunderung über die ungebrochene Lebenskraft eines so gebrochenen Phänomens und nicht ohne Respekt sei es gesagt: Den habt ihr noch nicht hinter euch!

       Knopp und sein Schwänzchen

      Es gab früher eine besondere Art von Losorakel, das seinen Ursprung wohl in den innigeren Traditionssträngen des Protestantismus hat, dem Quietismus, dem Pietismus und wie sie alle heißen: das Bibelstechen. Man stellte der Heiligen Schrift eine Frage, die das persönliche Schicksal betraf, griff dann zu einer Strick-, Spick- oder Stopfnadel, einem langen spitzen Gerät jedenfalls, das den Körper des Buchs in voller Länge zu durchdringen vermochte, stach hinein, entschied sich noch für rechts und links – und da stand der Spruch, der unfehlbaren Aufschluss gab, wenngleich man ihm diesen oft erst durch langes und manchmal gewundenes Nachdenken entlocken musste. Den Amtskirchen war diese Art von privater Hermeneutik wohl immer ein Dorn im Auge, weil er dem Hauptstrom der Verkündigung ein kleines Wässerlein entzog, das jemand auf seine eigene Mühle zu lenken trachtete. Und es steckt gewiss auch ein frivoles Moment darin. Dieses muss sich verstärken, wo der Glaube schwächer wird. Auch ich, ein Heide, habe dieses Orakel verschiedentlich bemüht und andere ermutigt, es mir gleichzutun; ein Gesellschaftsspiel haben wir daraus gemacht. Aber darum waren die Fragen, die wir an das Buch richteten, doch immer bedeutsame – und die Antworten nicht minder; ja zuweilen war es erheiternd bis gespenstisch, wie ohne Umschweife der entlegene Vers auf das, was wir ihn fragten, passte. Glaubte man ihm? Nichts weniger. Und tat es doch in jener Weise, wie der Aberglaube es zu tun pflegt, nämlich im Erlebnis der guten oder schlechten Laune, in die man sich versetzt fand, je nachdem. In dieser Gestimmtheit besuchen pietätlose Touristen ein Spukschloss. Den Spuk erklären sie für Unfug und wären doch enttäuscht, wenn sie herausfänden, dass die Überlieferung ihn in Wahrheit einem anderen Ort zuschreibt und sie sich bei der Wahl ihres Reiseziels geirrt hätten. Sie wären sogar imstande, ihr Geld zurückzuverlangen, weil sie sich betrogen fühlen. Das sind so die homöopathischen Spätzustände der Geschichte.

      Ein entsprechendes Stechen in den Gesammelten Werken Friedrich Nietzsches kann nicht ganz auf dieselbe Art funktionieren. Wir taten es zu zweit, nachdem wir einen langen, erschöpfenden Abend mit der Behandlung eines anderen literarischen Werks verbracht hatten: abschließend, zur Erholung und damit so etwas wie ein Ausklang da wäre. Während es mit der Bibel, auch im Zeitalter ihrer Säkularisierung, ja immer so steht, dass nicht wir sie prüfen (obwohl wir das vorgeben), sondern sie uns, musste es bei Nietzsche umgekehrt sein. Es ist ein Werk, groß genug, dass es sich verlohnt, es in jedem seiner Sätze einzeln zu untersuchen; aber doch eben wieder allzu deutlich Menschenwerk, als dass der Reiz dieses Verfahrens nicht eben vor allem darin bestünde, es dem Urteil auszusetzen. Nicht »Was sagst du mir?« konnte die Frage lauten, sondern »Was soll ich von dir halten?« Das ist übermütig bis zur Anmaßung, aber angesichts eines unabsehbar gewordenen Ruhmes hilft es womöglich weiter. »Nietzsche als solcher«, das ist ein Trumm, vor dem jeder instinktiv zurückschreckt. (Tucholsky erzählt von einem wiederkehrenden Albtraum: Es ist Deutschabitur, alle warten gespannt auf die Stellung des Aufsatz-Themas, da kommt es: Goethe als solcher. Schweißgebadet erwacht er.) Aber wenn es gelänge, Nietzsche nach einem zuverlässig kaleidoskopischen Verfahren zu sondieren, da könnte was herausspringen – zumal Nietzsche, speziell der mittlere, ja selbst dazu neigt, das Werk in kleinen Portionen vorzusetzen, durchnumeriert, um das Zufällige zu betonen, das in jeder Reihe herrscht, so dass man die Gefahr, hier etwas aus dem Zusammenhang zu reißen, als gering taxieren darf. Er will, was er zu sagen hat, durchaus in Brocken geben? Testen wir also die Brocken!

      Drei oder vier Stiche wagten wir an jenem späten Abend und waren angenehm enttäuscht: enttäuscht, wie wenig er Stich hielt, in des Wortes buchstäblicher oder mindestens absätzlicher Bedeutung; aber doch angenehm, in welchem Grad wir der Zwiesprache teilhaftig wurden. Ja, an den mittleren hielten wir uns, der redet und mit sich reden lässt, und führten die Stiche mit einer gewissen vagen Vorauswahl (wie es beim Bibelstechen der tut, der möglichst weit hinten stochert, in der Hoffnung, ein Kraftwort aus der Apokalypse zu ergattern). Denn wir wussten gut genug, dass der späte nicht minder als der frühe Nietzsche vor allem Stil ist, ein ihn selbst arg strapazierender Stil; dass er dort ganz in sich befangen bleiben muss und sich dem anderen nur um bewundert zu werden, also: gar nicht öffnet. Den »Zarathustra« muss man zuallererst mögen oder nicht mögen; da bleibt die Frage nach seiner Wahrheit auf der Strecke, jene Frage, die dem, der sie stellt, immer sofort eine überschwengliche Freiheit beschert.

      Auf was wir damals stießen, tut jetzt nichts mehr zur Sache. Jetzt halte ich die Nadel (einen hölzernen Schaschlikspieß) neu in der Hand und warte nicht ohne Bangen, worauf die kecke Wünschelrute wohl diesmal zeigt. Die Reaktion erfolgt im Kommentar, assoziativ, beipflichtend, weiterführend, einwendend, je nachdem, es soll hier keine Regel geben. Nur eine regulierende Bedingung führe ich ein: Wo das erstochene Stück mehr als zwanzig Zeilen hat, also zu viel, um in seiner Gänze Präsenz zu erlangen, lasse ich es beiseite und versuche es noch einmal.

       Erster Stich: Menschliches, Allzumenschliches,

       Erster Band: Anzeichen höherer und niederer Kultur, Nr. 266

      »Unterschätzte Wirkung des gymnasialen Unterrichts. – Man sucht den Wert des Gymnasiums selten in den Dingen, welche wirklich dort gelernt und von ihm unverlierbar СКАЧАТЬ