Lufthunde. Burkhard Müller
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Название: Lufthunde

Автор: Burkhard Müller

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

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isbn: 9783866742116

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СКАЧАТЬ (wobei man immerhin vermuten darf, dass er als Lateiner nicht an die verschiedenen neuzeitlichen Begriffsnuancen von »liberal« denkt, sondern an die ursprüngliche Bedeutung: »was eines freien Mannes würdig ist«). Dem »Vornehmen« misstraue man immer, da es sich ganz grundsätzlich mit nichts als der eigenen Abgrenzung und der Wahrung seines Privilegs beschäftigt; es schließt immer eine rohe Arroganz in sich, noch mehr als die verwandte Rede von der Elite, die sich ja immerhin funktional auf die Totalität beziehen könnte, während das Vornehme es immer nur für sich selbst ist. Das Vornehme ist in Wahrheit das Pöbelhafte, besonders wenn es sich seinerseits beim Namen des Vornehmen zu nennen geruht, und am allermeisten in der vulgären Kursivierung, die Nietzsche hier setzt. Man sieht hier förmlich eine neureiche Dame mit ihrem teuren Hut im Geschmack der 1880er Jahre promenieren. Auch beachte man das Gestrüpp im Bild des letzten Satzes: Wir haben hier direkt hintereinander eine Kursivierung, ein Paar Gänsefüßchenund drei weiterführende Pünktchen. Diese Räume sind in Wahrheit nicht leer, sondern komplett vollgerümpelt.

       Elfter Stich: Menschliches, Allzumenschliches,

       Erster Band: Der Mensch mit sich allein, Nr. 621

      »Liebe als Kunstgriff. – Wer etwas Neues wirklich kennen lernen will (sei es ein Mensch, ein Ereignis, ein Buch), der tut gut, dieses Neue mit aller möglichen Liebe aufzunehmen, von allem, was ihm daran feindlich, anstößig, falsch vorkommt, schnell das Auge abzuwenden, ja es zu vergessen: so dass man zum Beispiel dem Autor eines Buches den größten Vorsprung gibt und geradezu, wie bei einem Wettrennen, mit klopfendem Herzen danach begehrt, dass er sein Ziel erreiche. Mit diesem Verfahren dringt man nämlich der neuen Sache bis an ihr Herz, bis an ihren bewegenden Punkt: und dies heißt eben sie kennen lernen. Ist man so weit, so macht der Verstand hinterdrein seine Restriktionen; jene Überschätzung, jenes zeitweilige Aushängen des kritischen Pendels war eben nur der Kunstgriff, die Seele einer Sache herauszulocken.«

      Hier musste auch ich einen Kunstgriff zu Hilfe nehmen: Das Orakel wies erst auf die Nummer 619, sie überging ich, ebenso 620, um mich erst mit der 621 zufriedenzugeben. Der elfte sollte nämlich der letzte Stich sein – elf, die klare Zahl der Schiefe, des Abbruchs und der Untererfüllung. Aber dann durfte dieses elfte Stück eben kein belangloses sein. – Was Nietzsche hier, übrigens selbst für ihn, den großen Stilisten, in besonders schwungvoller Sprache, beschreibt, sollte eigentlich die normale Vorgehensweise eines jeden Kritikers darstellen. Was gibt mir dieses Buch, das ich vorher nicht kannte? So sollte der Kritiker fragen und ihm auf dieses Neue hin allen möglichen Kredit einräumen. Enthält es Neuesüberhaupt (und sei es im bündigen Ausdruck eines allgemein umlaufenden, aber bislang noch nicht auf seinen Namen getauften Irrtums oder Fehlers), so verdient es jedenfalls Beachtung. Erst jetzt darf man beginnen, ihm die Mittel vorzurechnen, mit denen es dieses sein Neues mehr oder weniger zielgenau erreicht.

      Ich schränke meinen Kommentar hier ausdrücklich auf das Buch ein, während Nietzsche ja eine Dreier-Reihe aus Menschen, Ereignissen und Büchern aufmacht. Daran zu glauben, dass Ereignisse Individuen wie Menschen oder Bücher wären, fiel dem geschichtsstolzen 19. Jahrhundert ja eben so leicht, wie es uns heute schwerfällt. Befremdlich finde ich, dass in Nietzsches Blick keinerlei Differenz zwischen Büchern und Menschen statthat und er die Neigung zu beiden mit dem universalen Namen der Liebe umfasst. Natürlich lebt das Beste eines Autors in seinem Buch, und er fühlt sich im Innersten verletzt, wenn man das Buch attackiert. Der du dies liest, gib Acht! sagt Gertrud Kolmar im Einleitungsgedicht ihres lyrischen Werks, denn sieh! du blätterst einen Menschen um. (Ich werde dieses Gedicht an seinem Ort noch ausführlicher zitieren.) Und doch gibt es auch in der innigsten Liebe zu einem Werk noch etwas, das dem Menschen nicht völlig zugehört, oder umgekehrt: es fehlt dieser Liebe die Qualität und Wärme des Bedingungslosen, die für einen Menschen das Kostbarste ist, was ihm widerfahren kann, die bei einem Buch aber fehl am Platze wäre, ja gar nicht entstehen könnte, denn ein Buch wird ja doch immer für etwas geliebt. Von diesem Unterschied, der eigentlich jedem selbstverständlich ist, weiß Nietzsche wenig; man spürt hier deutlich, wie seine besondere Begabung an einen menschlichen Defekt gebunden bleibt. Nietzsche will kühl sein. Wüsste er aber, welche Kälte wirklich aus einem Titel wie »Liebe als Kunstgriff« strömt, er wäre wahrscheinlich doch erschrocken.

      Natürlich blättere ich nach Abschluss dieser elf Stiche noch ein bisschen in Nietzsche herum und finde andere, möglicherweise noch interessantere und »bessere« Stellen. Auf sie einzugehen, muss ich mir aus methodischen Rücksichten versagen. Nur so, wie ich es getan habe, in der abrupten Endlichkeit, konnte ich mich auf Nietzsche, diese unendliche Lockung, einlassen. Den Anschein der Anmaßung, Abschätzigkeit und Ungerechtigkeit konnte ich dabei nicht völlig vermeiden. Aber das ist egal. Nietzsche wird meistens ganz falsch geehrt, nämlich als großer Monologist. Dabei gibt es wohl niemanden, der inständiger zum Gespräch auffordert. Er beweist sich, sobald man bereit ist ihm zuzuhören, als das, was Sokrates zu sein bloß behauptete: als der Pädagoge, der den anderen im Dialog zu sich selbst bringen will. Sokrates ist die große Gegenfigur, an der sich Nietzsche zeitlebens abarbeitet, mit uneindeutigem Ergebnis. Sokrates veranlasst den anderen zum Reden; aber er weiß vorher genau, wohin der Weg führt. Er achtet den anderen als anderen nicht wahrhaft. Es wird diesem zuerst entwunden, was er sicher zu haben glaubte, und sodann ein neues Programm gestartet, bei dem ihm dann kaum mehr etwas zu sagen bleibt als »Wie auch nicht, o Sokrates«, »So meine ich auch, o Sokrates«, »Aber gewiss doch, o Sokrates«. So verfährt Nietzsche nicht. Er ist tatsächlich und nicht nur scheinbar offen; er hat keinen verborgenen Lehrplan, den er sukzessive entfaltet; er schweigt lange zwischen den Einzelstücken, in die er seine Rede zerbricht, damit der andere Gelegenheit zur Gegenrede erhält. Manches von dem, was Nietzsche sagt, ist falsch, vieles verstiegen; ja, verstiegen wie ein Bergsteiger, der sich ohne Seil und Haken, ungesichert bis zum Halsbrecherischen, in eine übersteile Bergwand gewagt hat, aus der er nun nicht mehr herunterkommt. Er tut es zu unseren Gunsten, damit wir angesichts des Überspitzten und Unhaltbaren den Mut zur Widerrede finden. Die sollte man ihm nicht verweigern. Dann zaubert er, zwangloser und wahrer als der Athener, Dinge aus uns hervor, von denen wir gar nicht wussten, dass sie in uns lagen. Er hat in dieser seiner guten, mittleren Phase viel zu wenig zurückbekommen; man ließ, was freundlich-dringliches Angebot zum Gespräch war, auf sich beruhen als in sich selbst vergnügtes heiliges Wort. Im Absoluten sah man nicht die Ironie (eine Ironie, die, anders und humaner als die sokratische, ihn selbst meint und nicht die Unterlegenheit des Gegenüber), nahm es für bare Münze und gab ihm kein Wechselgeld heraus. Da scheint er sich irgendwann gesagt zu haben: dann eben nicht, und ist aus lauter Enttäuschung über seine allzubraven Schüler erst in jenes brüllende Selbstgespräch verfallen, das schwellenlos in seinen Wahnsinn überging. Das ist das Gute daran, wenn einer tot ist: Es hebt die Reihenfolge auf und den Zwang, der in ihr liegt, und alles was einer je getan und geschrieben hat, stellt sich wieder gleichzeitig ein, als wäre es nie verreist gewesen. Der mittlere Nietzsche steigt nun nicht mehr mit Unabwendbarkeit in den Hades des späten hinab; halten wir ihn auf und bereiten wir ihm ein anderes, ein freies Schicksal. Ich kann hier wirklich jeden bloß ermutigen, dass er, allein oder zu mehreren, selbst zur Nadel greift.

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