Название: Briefgeschichte(n) Band 2
Автор: Gottfried Senf
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783961450459
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Wie geht es im schönen Geithain? Herr Diederichs schickte mir einen wunderbaren Kalender mit Farbfotos aus dem Kohrener Land. Es wurde mir übrigens beim Lesen von Hammers Bericht bewusst, dass ich mir bei meinen bisherigen Besuchen nie die Schule in Geithain-West angesehen habe. Vielleicht klappt das doch einmal.
Die herzlichsten Grüße und besten Wünsche Dir und Karin von John & Gisela
24. Oktober 1998
Lieber Gottfried, liebe Karin, ich möchte mich einmal herzlich bedanken für Deine Artikel im Sachsen-Telegraph. Herbert Straßburger schickte mir No. 1, 2, 4, 5 und 6, und ich habe die mit großem Vergnügen gelesen. Gottfried, Du hast die Artikel aus allem, was ich Dir geschickt habe, sehr hübsch zusammengestellt. Nur No. 3 habe ich nicht bekommen. Könnte ich davon bitte eine Kopie haben? Sind denn die Leute an diesen alten Geschichten interessiert? Es gibt doch sicherlich kaum noch jemand in Geithain, der sich an die Zeit vor dem Kriege erinnern kann. Auch wenn sich keiner daran erfreuen sollte, mir haben sie große Freude gemacht. Für einen Augenblick nahm es mir den Atem, diese alten Photos von meinem Bruder, dem Vetter Amadeus und Gottfried Wüstner in einem Zeitungsartikel zu sehen. Alle drei Jungs verloren ihr Leben im Kriege!
Nach einem sehr heißen Sommer haben wir nun einen herrlichen Herbst. Die Welt strahlt von diesen vielen orangefarbenen Ahornblättern. In zwei Monaten ist Weihnachten. Bis dahin wünschen wir alles Gute und Schöne. Was gibt es Neues in Geithain? Kam meine Reisebeschreibung an?
Lasst Euch umarmen
von Ulrich & Gisela
08. November 1998
Lieber Gottfried, die Wahlergebnisse in Deutschland verleiten mich dazu, noch einmal über die Ereignisse der letzten 9 Jahre nachzudenken. Man nennt Kohl zu Recht den „Architekten der Wiedervereinigung“, doch andererseits ist es sicher nicht falsch, wenn man in ihm den mit allen Wassern gewaschenen Politiker sieht, der sich den Wind zu Nutze machte, der ihm in den Rücken blies („Wir sind ein Volk!“). Möglicherweise wäre es besser für Ost-Deutschland gewesen, wenn das Zusammenkommen ein Jahr später stattgefunden hätte, nachdem sich die Ost-Deutschen eine demokratische Nachfolgeregierung gewählt hätten, die mit Bonn ebenbürtig hätte verhandeln können. Denn wir wissen es jetzt: Bonn hatte keinerlei Pläne ausgearbeitet für eine eines Tages kommende Wiedervereinigung und was da schnell und sozusagen aus dem Stegreif zusammengenagelt wurde, verdient den Namen „Architektur“ nicht. Die Wiedervereinigung war eine Vereinnahmung und die starke westdeutsche Wirtschaft diktierte mehr oder weniger die Richtung, in der marschiert wurde. Noch schlimmer ist es, dass viele West-Deutsche keinen Respekt oder Sympathie für die Ost-Deutschen haben. Die bösartigste Bemerkung, die mir begegnet ist, ist diese: DDR – Der Doofe Rest. Mit einiger Berechtigung jedoch gilt diese Bezeichnung für die „Eliten“, die Ost-Deutschland 40 Jahre lang regierten. Ursprünglich überlebten diese den Stalin-Terror in Russland, entweder weil sie zu blöde waren, um Stalin gefährlich zu werden, oder weil sie sich dazu hergaben, ihre Kameraden zu denunzieren. Dann wurden sie von der Siegermacht als Regierende eingesetzt und bekämpften das eigene Volk 40 Jahre lang, ohne etwas dazuzulernen. Solchen Leuten kann man nicht helfen. Die waren längst überfällig, als sie in diesem Moment vor 9 Jahren von Euch entmachtet wurden. Das sollen Euch die West-Deutschen erst mal nachmachen.
Leider habt ihr dann den „Modrows“ zu sehr vertraut. Das Heft hättet ihr nicht so schnell wieder aus der Hand geben sollen. Hinterher ist man klüger, und überhaupt musst Du mir diese Betrachtungen eines „Ausländers“ nicht übel nehmen. Bitte korrigiere mich, wenn ich falsch liege. Ich habe in den vergangenen Tagen noch einmal das dicke Buch durchstudiert, das Du uns vor zwei Jahren geschenkt hattest: „Burgen, Schlösser, Gutshäuser in Sachsen“. Hast Du das Buch selbst? Es ist ein erschütterndes Buch. Es war mir beim ersten Lesen gar nicht so bewusst wie diesmal, wie diese vertriebenen, ehemalig sächsischen Familien sich danach sehnten, wieder in ihre Heimat zurückzukehren, um beim Aufbau der Wirtschaft zu helfen. Ich hatte nie diesen Wunsch. Für mich ist das unvergesslich, wie wir im Herbst 45 zu Volksfeinden abgestempelt wurden und wie viele unserer früheren Nachbarn (um die eigene Haut zu retten) sich gegen uns stellten. Da wurde es mir bewusst, wie es den deutschen Juden zumute gewesen sein musste, als sich ihr Heimatland gegen sie wendete und kaum einer ihnen zu Hilfe kam. Natürlich wollte ich mir Geithain und den Sommerhof ansehen, weshalb wir im Mai 1990 in Geithain waren, aber dort bleiben? Nie und nimmer. Ohne Deinen Brief damals, im Herbst 90, wäre ich nie wieder nach Geithain gekommen. Aber dann wollte ich Dich kennenlernen, so kamen wir wieder, und unterdessen denke ich an Geithain und seine Menschen ohne Bitterkeit. Ihr habt so viel verloren, wir waren nur die Ersten, denen die Kommunisten an den Kragen gingen, aber dann kamen andere Teile der Bevölkerung, und schließlich (1953) wurden auch die Arbeiter zu Feinden erklärt, denen man nicht trauen konnte! Wozu brauchte man diese Mengen von Stasi-Informanten? Mir wurde bewusst, dass es unwürdig wäre, wenn ich mich für immer beklagen wollte. Die, die uns damals ausstießen, sind ja nun auch alt oder schon längst tot. Wenn ich schreibe, dass ihr viel verloren habt, so meine ich damit das, was in vielen Jahrhunderten gewachsen war, die Land- und Stadtbevölkerung verschiedenster Stände, die Struktur der Landwirtschaft und Landschaft. Besonders die Landschaft hat viel von ihrer Schönheit verloren. Da gab es einmal Hecken und kleine Gehölze und ein farbiges Mosaik von Feldern unterschiedlichster Größe, wo jetzt die riesigen Ackerflächen sich strecken, ununterbrochen bis zum Horizont. Übrigens fühle ich mich auch nicht in West-Deutschland als „zu Hause“. Deutschland ist Reiseland. Zu Hause bin ich hier in Kanada.
Dir und Karin wünschen wir eine frohe Vor-Weihnachtszeit. Bei euch treten die Flüsse über die Ufer und hier ist es so trocken wie noch nie. Seit Mai hat es kaum geregnet.
Mit herzlichen Grüßen, von John & Gisela
14. Januar 1999
Lieber Gottfried, liebe Karin,
herzlich bedanken wir uns für die Grüße zum Jahreswechsel auf der Ansichtskarte aus Teneriffa. Hier haben wir unterdessen einen halben Meter Schnee und weitere 20 Zentimeter sind uns angekündigt worden. So eine Stadt wie Toronto kommt durch diese Schneemassen fast zum Stillstand, aber hier in Georgetown ist es, für Leute wie uns, die nicht zur Arbeit gehen müssen, eigentlich ganz gemütlich. Wir sitzen am Kamin und lesen uns durch Berge von Büchern hindurch. Eines der Bücher waren die Erinnerungen des „Man without a Face“ (so ist das Buch im Englischen betitelt) von Markus Wolf. Die Welt der Spione, die einer gewissen Komik nicht entbehrt! Wie sich da die verschiedenen Länder, mittels ihrer Meisterspione, gegenseitig über´s Ohr hauen, reizt zum Lachen. Hervorragend ist der erste Band einer neuen Hitler-Biografie des englischen Historikers Ian Kershaw. Der Band beschreibt das Leben dieses schrecklichen Menschen von 1889 – 1936. Ein 2. Band soll folgen. Diese Lektüre brachte mich wieder einmal zu den Briefen meines Bruders, von denen ich Kopien einiger Seiten beilege. Man merkt denen natürlich an, dass sie von einem noch nicht 20jährigen geschrieben wurden. Den schmalzigen Leander-Film „Es war eine berauschende Ballnacht“ findet er großartig, der „totale Krieg“ kann selbstverständlich nur „siegreich“ enden, usw. usw. Man vermisst, aus heutiger Sicht, die Skepsis. Vielleicht interessieren Euch diese Beschreibungen aus dem Herbst 1939. Wäre das Archiv des Heimatvereins an Kopien dieser Briefe interessiert? Es sind 123 Schreibmaschinenseiten plus 19 Seiten Fußnoten von mir.
Herbert Strassburger schickte mir die letzten Fortsetzungen Deiner „Sommerhof“-Artikel. Wir danken dir für Deine Mühe. Was gibt es sonst an Neuigkeiten? Ist eine weitere Nordamerikareise eingeplant? Gute Wünsche und herzliche СКАЧАТЬ