Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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Название: Zwei Freunde

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783957840127

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СКАЧАТЬ mittägliche Tafelrunde die erstaunliche Langsamkeit, mit der vorgeschlagene Ernennungen geprüft wurden, sowie die Unzulänglichkeit von Beamtengehältern. Unkontrollierbare Nachrichten über Veränderungen der »Liste« waren plötzlich da, erregten die Gemüter und wurden auf demselben Flüsterweg, auf dem sie gekommen waren, auch wieder dementiert. Inspektor Baier machte von Zeit zu Zeit Besuch bei dem jungen Assessor, um ihm das Leid seines ordnungsliebenden und schwachen Herzens zu klagen und zugleich über den neuesten Fußballänderkampf zu berichten. Ein Strauß roter Astern, von unbekannter Hand gestiftet, hatte sich auf dem Schreibtisch vor der gelblichen Wand eingefunden. Als Wichmann ihn heimlich und in vergnügter Absicht dem Kollegen Meier-Schulze in den Orient hinüberstellte, war die Wirkung durchschlagend. Dieses älteste Mitglied der Abteilung wollte nicht ruhen, ehe die unbekannte Spenderin ermittelt sei. Fräulein Sauberzweig kicherte und sah den Assessor Wichmann mit dem Blick eines jungen Rehes an, wenn er diktierte.

      Ein gemeinsamer Weg mit Korts und Casparius nach Dienstschluß bürgerte sich ein. Die Gespräche waren nicht tiefgründig, und Wichmann unterließ bald seine Versuche, zu einem philosophischen oder sonstigen allgemeinen Thema zu kommen. Aber die Unterhaltung, mehr vielleicht noch das anspruchslose Zusammensein selbst lockerten die geistigen Muskeln von den Folgen einseitiger Beanspruchung und bereiteten die Lösung von allem Tages geschehen durch den nächtlichen Schlaf vor.

      Es war wieder einmal Sonntag. Des Morgens im Zwielicht zwischen Schlaf und Wachen hörte der junge Mann unter der warmen Decke das Klopfen und Pladdern von Regentropfen am Fenster. Seine Glieder dehnten sich, und eine natürliche Furcht des Körpers vor Kälte und Nässe ließ ihn das Warme und Weiche, das ihn umgab, um so angenehmer empfinden. Die Witterung, deren Ungunst entschieden war, beruhigte das Gewissen über alle nicht gefaßten Entschlüsse und gab unwiderlegliche Beweisgründe gegen das strengere Ich. Verweilen in der Höhle, die Menschenkunst gebaut und mit Gegenständen ausgestattet hatte, war heute natürlicher Trieb und Ergebnis schonsamer Vernunft zugleich. In die Freude, aller Verpflichtungen ledig zu sein, teilten sich Seele und Körper. Das Roßhaar der Matratze, die Daunen, die Luft, die ihre Wärme aus glimmendem Ofen, ihre Frische durch den Fensterspalt in sich sog, das milde Wirken des Vorhangs, der das Licht durch seine Fasern zu grünem Dämmer filterte, fanden sich zusammen mit dem von Gedanken und Wünschen losgewordenen Stillesein des erwachten Schläfers. Kein Wecker schrie, Martha klopfte nicht, auch um halb neun lief kein Motor mit mahnendem Geräusch vor dem Hause Kreuderstraße 3 an.

      Die Frage, ob der Ruhe oder der Nahrung der Vorzug zu geben sei, wurde endlich zugunsten des Sonntagsfrühstücks entschieden. Der junge Mann schlug die Decke auf, um seinen Vorsatz vor sich selbst zu bekunden, und als es langsam kühl um seine Glieder wurde, erhob er sich gähnend. Das Bad in der gestrichenen Wanne gab zu neuem Verweilen Anlaß. In dem grünlichen Fensterglas schwammen Fische von unmöglichen Formen. Sie kamen nie von der Stelle. An der Wand saß ein Frosch mit goldener Krone und glotzte. Die duftende Weichheit der Seife schmeichelte um die Hautnerven; die Poren taten sich auf und atmeten. Das Gewicht des Körpers veränderte sich. Seine alltägliche Schwere schwand im Wasser; die Füße schwammen, wenn der Zwang der Muskeln sie freigab, und halb schwebend, Zehenspitzen über die Oberfläche treibend, ließen sie ein Gefühl der Leichtigkeit den ganzen Körper hinauflaufen.

      Oskar Wichmann pfiff. Der Raum, der keine schalldämpfenden Polster und Stoffe enthielt, machte den Ton kräftig; die rhythmische Melodie konnte sich ungehemmt um Frosch und Fisch schwingen.

      Draußen war Marthas Schritt zu hören. Die große Standuhr aus dem Wohnzimmer schlug nicht, um anzutreiben. Sie sang einen Baßklang zu Wichmanns Melodie vom tiefen Keller, in dem er zu sitzen vorgab.

      Das Frühstück an diesem Tage entbehrte nicht einer kleinen besonderen Feierlichkeit. Auf der mit dem Muster von Blättern und Früchten gewirkten Decke, die über das Tischchen am Fenster gebreitet war, stand eine Kaffeetasse aus dem geheimrätlichen Urgroßmutterschrank von ungewohnter Form, mit goldenem Rand. Das Vertrauen der Hausherrin zu einer ruhigen, nichts zerstörenden Hantierung ihres Mieters am heiligen Sonntag drückte sich in der Freigabe dieses Porzellans aus. Die dazugehörige Kanne enthielt im ausladenden Bauch eine größere Menge der Flüssigkeit, die schwarz wie die Nacht war und süß wie die Sünde über die Zunge floß. Die Butter war reichlicher als am Werktag zugemessen, und das geschliffene Gefäß mit dem Glaslöffelchen gab Johannisbeergelee aus statt der werktäglichen Marmelade. Wichmann würdigte diese Unterschiede. Unter der Wirkung des verführerischen Koffeins erschien die Welt leicht zu erobern, und langsam konnte man auch die Zeitung aufschlagen, um zu sehen, was der Witz hierzu verpflichteter Journalisten und Dichter dem zahlenden Zeitgenossen zum Sonntag aufzutischen habe. Überschriften und erste Sätze entschieden über Lektüre oder Ablehnung. Die Theaterkritik war zu bissig für die warme Stimmung der Stunde, der Roman kam nicht vom Fleck, aber die Beschreibung einer Reise nach Griechenland hielt Auge und Phantasie fest, und die griechische Sonne schien über helle Ruinen und ungezieferbehaftete Gaststätten, während draußen der Regen in dünnen unzähligen Fäden floß und seinen Schleier über Häuser und Gärten legte. Der Asphaltglanz der leeren Straße fing den Blick, der von der Lektüre abirrte.

      Gefallene Blätter klebten in der Feuchtigkeit am Boden. Die schmiedeeisernen Rosen und Ranken des Gartentors von Kreuderstraße 3 gaben ihre kunstvoll-schlichten Formen der Morgenhelle und der Neugier frei. Der glattgekehrte Sand des Gartenwegs sog Nässe ein.

      Oskar Wichmann hatte nun doch ein Stückchen schwabbelnden roten Gelees auf das Weiß der Frühstücksdecke fallen lassen. Behutsam hob er mit dem Messer das Schandfleck erzeugende Etwas ab und strich es auf den Tellerrand, um dann den letzten Bissen zum Munde zu führen.

      Das eine Fenster der Gartenvilla, das er drüben zu sehen vermochte, war genauso trübe verregnet wie die hohen Scheiben des geheimrätlichen Wohnhauses, an denen die Tropfen auf krummen Wegen hinabrannen. Das sanfte Grau von Himmel und Nebel schien alles unbestimmt und tatenlos zu machen. Zum Fallen schon bereite Blätter hingen noch an den Zweigen, weil keine Luft sie lösen wollte. Wichmann wandte den Kopf und betrachtete den barocken Heiligen in der Ecke. Sein lang gezogenes, ausgemergeltes Gesicht mit den überirdisch großen Augen schaute in den himmlischen Regen und die Unzulänglichkeit der Welt.

      Als es gegen zwölf Uhr ging, hatte Martha das Frühstücksgeschirr abgeräumt und dem Herrn Assessor die Zeitung der Geheimrätin gebracht, nicht ohne auf das Angenehme eines gelüfteten und geordneten Zimmers hinzuweisen. Wichmann mußte darüber nachdenken, ob er sich zu einem Spaziergang oder lediglich zu einem Raumwechsel innerhalb der Wohnung entschließen wollte. Er entdeckte dabei, daß sein Entschluß längst feststand und er den dazu passenden Anzug schon am Leibe trug. Der Regierungsassessor Dr. Wichmann wollte nicht länger zögern und seine Karte in der Kreuderstraße 3 abgeben.

      Es war unmöglich, zu diesem Gang den Schirm mitzunehmen, den die besorgte ältere Schwester dem Gepäck des Bruders beigegeben hatte. Der gute Überzieher und der gute Hut mußten den kurzen Weg im Regen zum gegenüberliegenden Hause überstehen können. Wichmann hatte eine ausgesprochene Abneigung gegen eine Schutzvorrichtung, die seit dem Kriege als unmännlich galt und bei Gebrauch nur andeuten konnte, daß ihr Träger ein Jahr zu spät geboren war, um noch an der Front gewesen zu sein.

      Die Visitenkarte in der Brieftasche … wildlederne Handschuhe … ein letzter Blick in den Spiegel mit der Frage, ob die Erscheinung notfalls auch vor der Kritik eines galonierten Dieners bestehen könne dann – öffneten und schlossen sich die Türen, und Oskar Wichmann ging zum erstenmal quer über die Straße stracks auf das Gartentor zu.

      Links neben der Pforte hing am Zaun der Briefkasten, am Pfosten war das kleine Messingschild angebracht mit den dünn eingeritzten Buchstaben GREVENHAGEN. Wichmann drückte auf die Klingel, das Schloß summte. Die vom Handschuh befreite Rechte griff die tropfnasse eiserne Rosenknospe, die sich als Klinke bot. Wichmann trat in den Garten ein. Auf dem Sandweg zeichneten sich die Umrisse seiner Schuhsohlen ab. Vor ihm schien heute noch niemand hier gegangen zu sein.

      Der Weg war von Rosenstöcken СКАЧАТЬ