Название: Konstantinopel von unten und andere Schrecklichkeiten
Автор: Jürgen Rath
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783937881737
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»Ich weiß es nicht«, rief er zur anderen Seite hinüber.
Der Schiffer wollte antworten, doch in diesem Augenblick prallte wieder eine Brandungswelle gegen das Wrack. Als die See weitergezogen war, rief der Schiffer seine Anweisungen in den Wind: »Wir können uns nicht mehr halten, Leute. Springt über Bord und schwimmt an Land.«
»Zu früh!«, schrie Steuermann Kolmorgen zurück.
»Wer gibt hier die Befehle?«, schimpfte der Schiffer.
Die Leute waren unschlüssig. Sie blickten zwischen ihren Vorgesetzten hin und her. Schließlich wandten sie sich an den Zimmermann, denn der war der Fachmann für alles, was mit Holz und Schiffbau zu tun hatte, sein Wort war jetzt entscheidend. Der Zimmermann löste seine verkrampften Hände von den Webleinen und hangelte zum Schiffer hin.
»Die Luna geht zum Teufel, sie ist kein sicherer Ort mehr«, kreischte er. »Ich gehe in die See.«
Das war das Zeichen, sich zum Sprung bereit zu machen. Zwei der Seeleute hatten jedoch Bedenken, sie suchten sich einen Platz in der Nähe des Steuermanns.
Der Schiffer zielte mit dem Finger auf das kleine Grüppchen, seine Stimme schnappte fast über. »Ich befehle Ihnen zu springen!«
»Nein, ich bleibe hier«, widersprach der Steuermann trotzig. »Solange ich noch Holz unter meinen Füßen spüre, bleibe ich.«
Nun gab es nichts mehr zu sagen. Der Kapitän löste seine Hände von den Wanten, kletterte zum Deck hinunter, hangelte auf den Bugspriet hinaus und ließ sich in die Brandung fallen. Der Zimmermann, zwei der Matrosen und der Leichtmatrose folgten ihm, ohne zu zögern.
Die drei Männer in den Wanten verfolgten mit bangen Blicken den Weg ihrer Kollegen. Die hatten bereits die Hälfte der Strecke zum Strand zurückgelegt, als sie von einer Brandungswelle hochgehoben wurden.
»Ich hätte auch springen sollen«, sagte einer der Matrosen, »dann wäre ich jetzt in Sicherheit.«
Keiner der Männer konnte sich mit weiteren Erörterungen aufhalten, denn der nächste Brecher rollte bereits heran. Er traf die Brigg auf der Seite und drückte sie platt aufs Wasser. Die Schiffbrüchigen wurden wie reife Äpfel aus dem Mast geschüttelt. Steuermann Kolmorgen fiel in das eisige Wasser, er ruderte mit den Armen, spürte einen Gegenstand, griff instinktiv danach. Mit beiden Händen klammerte er sich an das Seil, während das Wasser an ihm vorbeiströmte und an seinen Kleidern zerrte. Auch die beiden anderen hatten nach dem Tau gegriffen wie nach einem Rettungsanker. Doch von Rettung konnte keine Rede sein. Der nächste Brecher schlug das Wrack in Stücke, überall schwammen plötzlich Deckteile, Planken und Balken. Der Steuermann erkannte die einmalige Gelegenheit. Er ließ das Seil los und zog sich auf ein vorbeitreibendes Stück Bordwand hinauf. Die beiden anderen Seeleute hatten sich ebenfalls an Teile des Schiffes geklammert, ständig der Gefahr ausgesetzt, von den sich in der wilden See übereinanderschiebenden Schiffsteilen erschlagen zu werden.
Der mit dem Kapitän ins Wasser gesprungene Zimmermann hätte besser seinem Werkstoff, dem Holz, vertrauen sollen. Denn die Männer, die als erste das Wrack verlassen hatte, ertranken allesamt, während die anderen drei auf ihren Holzflößen wohlbehalten den Strand erreichten.
Das Seeamt Rostock3, das sich mit dem Seeunfall der Brigg Luna zu beschäftigen hatte, führte das Leckwerden des Schiffes auf sein hohes Alter zurück,
»denn ein nahezu 40 Jahre altes Schiff kann nicht mehr diejenige Festigkeit im Verbande seiner einzelnen Theile besitzen, welches erforderlich ist, um die Angriffe der See bei schlechtem Wetter zu bestehen.«4
Allerdings stufte das Seeamt den Wassereinbruch nicht als so gravierend ein, dass er nicht durch die Deckspumpe hätte beseitigt werden können. Der eigentliche Grund des Schiffsunfalls war daher in den verstopften Pumprohren zu sehen. Dass die Besatzung bis zum Schluss versucht hatte, die Pumpe wieder in Betrieb zu nehmen, erkannte das Amt wohlwollend an. Die freiwillige Strandung wurde als gerechtfertigt eingestuft, um das Leben der Besatzung zu retten. Die Frage, ob Schiffer Schütz seine Leute zu früh zum Verlassen des Seglers aufgefordert hat, stellte sich das Seeamt nicht. Dies war das übliche Verfahren, denn wenn ein Schiffsführer beim Schiffsunfall verstarb, erledigte sich die Frage, ob er fahrlässig gehandelt hatte und ihm damit die Befähigung zur Führung eines Schiffes aberkannt werden musste.
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