Название: Konstantinopel von unten und andere Schrecklichkeiten
Автор: Jürgen Rath
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783937881737
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Die Reise verlief zunächst erfreulich schnell, denn das Schiff segelte im Ballast, also ohne Ladung. Im englischen Kanal blies der Wind von achtern und als Kapitän Schütz den Kurs an der englischen Ostküste entlang nach Norden änderte, drehte der Wind auf Südwest, so dass die Luna auch dort recht schnell vorwärts kam. Am 10. Oktober war die Brigg nur noch 120 Seemeilen vom Zielhafen entfernt.
Doch mit einem Mal änderte sich der Wind. Er drehte erst auf West, dann auf Nordnordwest und kam damit genau aus der Richtung, in die das Schiff segeln musste. Das war ungünstig, denn nun blieb der Besatzung nichts anderes übrig, als mühsam aufzukreuzen. Aber das war nun mal so auf einem Segelschiff, das bereitete niemand Sorgen. Viel unangenehmer war, dass der Wind ständig zunahm. Er brauste durch die Takelage, die aufgewühlte See rannte gegen das Schiff an, Gischt spritzte über das Deck. Die Mannschaft enterte in die Masten, um einen Teil der Segel zu bergen.
In der Kajüte beobachtete der Schiffer mit zunehmender Unruhe, wie das Barometer immer weiter in den Keller sackte. Das sah nach einem kräftigen Sturm, wenn nicht sogar nach einem Orkan aus. Er überlegte einen Augenblick, schaute zur Sicherheit noch einmal in die Karte, dann stieg er die Stufen zum Achterdeck hinauf. »Gehen Sie höher an den Wind, Steuermann«, sagte er, »wir müssen möglichst rasch unter Land kommen, bevor der Wind Orkanstärke erreicht.«
Wilhelm Kolmorgen, der Steuermann, wiegte bedenklich den Kopf. »Gehen Sie vorsichtig mit der Luna um, Schiffer. Die Brigg ist 40 Jahre alt. Die erträgt nicht mehr so viel wie ein neues Schiff.«
Schiffer Schütz wischte den Einwand mit einer Handbewegung weg. »Die Luna wurde im letzten Jahr in der Werft überholt. Es sind viele Planken ersetzt worden. Das Schiff ist fast neu.«
»Wenn Sie meinen«, sagte der Steuermann.
Es wurden zusätzliche Segel gesetzt und die Luna durch den Sturm geknüppelt, das Schiff schwankte und rollte beängstigend in den hohen Wellen. Im Logis hatten sich die Leute zwischen Tisch und Bank festgeklemmt, sie balancierten ihre Teller mit der Erbsensuppe in der freien Hand.
Einer der Matrosen lauschte auf das Knarren und Ächzen der Schiffsverbände. »Dass wir die little old Lady so quälen müssen«, sagte er und schüttelte verwundert den Kopf, »so einen Höllenritt hält sie sicherlich nicht lange durch.«
Einen Tag später, am Nachmittag des 11. Oktober, gingen die Leute bei Wachwechsel an die Pumpen, wie immer zu dieser Zeit. War das Schiff für gewöhnlich recht schnell lenz, so wollte jetzt das Wasser, das die Pumpen aus dem Laderaum holten, überhaupt nicht weniger werden. Die Seeleute schauten sich erschrocken an.
»Wir haben Wasser im Schiff«, meldete der Zimmermann.
Der Schiffer gab sich gelassen. »Das ist normal. Jedes Holzschiff macht im Sturm etwas mehr Wasser.«
Am Abend waren sie noch 90 Seemeilen von Burntisland entfernt, das mühsame Aufkreuzen hatte nur wenig Fortschritt gebracht. Wieder drehten die Matrosen an den Pumprädern, wieder wollte das Wasser kein Ende nehmen. Mit einem Mal verfärbte es sich schwarz, die Pumpen förderte kleine Kohlenstücke an Deck, dann versiegte der Wasserstrahl.
»Wir haben das Schiff lenz bekommen«, triumphierte der Schiffer.
»Nein«, widersprach der Steuermann, »die Pumpen sind verstopft.«
Schiffer Schütz stieg mit dem Steuermann in den Laderaum hinunter. Er hatte zusätzlich den Zimmermann mitgenommen, der die unumschränkte Autorität an Bord in Sachen Holzschiffbau war. Bereits auf der Leiter hörten sie das Wasser von einer Seite des Raums zur anderen rauschen. Unten im Laderaum stand es zwar nur eine Handbreit hoch, doch schon alleine das Geräusch des schwappenden Wassers ließ den Steuermann erschaudern. Mit der Petroleumlampe leuchteten sie die Bordwand ab. Durch unzählige Ritzen sickerte Wasser herein, Schiffer Schütz und der Zimmermann blickten sich betroffen an.
»Können wir die Leckage abdichten?«, fragte der Schiffsführer.
Der Zimmermann prüfte die Plankengänge und tastete im Wasser auf dem Schiffboden herum. Schließlich erstattete er Bericht. »Überall auf dem Schiff gibt es kleinere Leckagen. Auf dem Schiffsboden, an den Seitenwänden und sogar im Deck. Wir müssten das gesamte Unterwasserschiff andichten, Schiffer. Das ist mit Bordmitteln nicht zu schaffen. Und an die undichten Stellen hinter den Spanten kommen wir ohnehin nicht heran.«
Während sich der Schiffer und der Steuermann berieten, machte sich der Zimmermann zu einem weiteren Kontrollgang auf. »Hier!«, rief er plötzlich. »Der Kohlenvorrat für die Kombüse ist in die Bilge gerutscht und hat die Pumpe verstopft.«
Abwechselnd legten sich nun die Matrosen in die schwarze Brühe und versuchten, die Saugkörbe der Pumpe freizuräumen. Doch all die Mühe brachte nichts, denn es hatten sich Kohlenstücke weit oben in den Rohren festgesetzt, an die nicht heranzukommen war. So musste die Besatzung tatenlos zusehen, wie an den undichten Stellen das Wasser ins Schiff plätscherte und der Pegelstand im Raum zunahm.
»Vielleicht können wir das Wasser mit Eimern aus dem Raum holen«, schlug der Steuermann vor.
Schiffer Schütz blickte über die See. Gerade wieder hatte eine Welle das Schiff getroffen. Die Luna neigte sich zur Seite, eine See kam über die Reling und setzte das Deck unter Wasser. »Das bringt überhaupt nichts«, sagte er. »Dazu müssten wir die Luke öffnen, doch dann schlägt mehr Wasser in den Raum, als wir herausschöpfen können.«
Im Stillen musste Steuermann Kolmorgen seinem Vorgesetzten Recht geben.
Am 12. Oktober stand das Wasser bereits kniehoch. Der Schiffer und der Steuermann zogen sich zur Beratung in die Kajüte zurück, während der Zimmermann und die Matrosen wieder einmal erfolglos versuchten, die Pumpe in Betrieb zu nehmen.
»Das viele Wasser im Laderaum macht der Luna schwer zu schaffen«, sagte der Steuermann, »sie lässt sich kaum noch steuern.«
Der Schiffer nickte.
»Und der Wind hat noch einmal zugelegt. Wir haben jetzt 11 Beaufort, in Böen 12. Wir treiben zurück, weg von der Küste.«
Wieder nickte der Schiffer.
Die beiden Männer horchten auf das Brausen des Orkans, das Dröhnen der Brecher an der Bordwand, das Rauschen des Wassers im Laderaum, das Ächzen und Stöhnen der Schiffsverbände. Schiffer Schütz trat an den Kajüttisch und blickte lange in die Seekarte. »Wir ändern den Kurs«, sagte er schließlich. »Wir segeln über die Nordsee mit Wind von achtern. Wir werden einen norwegischen Hafen ansteuern und das Schiff dort reparieren lassen.«
Steuermann Kolmorgen schreckte vor dieser ungeheuren Ankündigung zurück. Es grenzte an Wahnsinn, mit diesem leckenden Kahn quer über die Nordsee zu fahren. Da brauchte nur der Wind zu wechseln – und schon trieben sie hilflos mitten im Meer, bis ihnen das Wasser bis zum Hals stand. Andererseits gab es wohl keine Alternative, sosehr der Steuermann auch danach suchte.
Die Fahrt vor Wind und Wellen entlastete das Schiff zwar etwas, doch ungeachtet dessen stieg das Wasser im Laderaum weiter an.
»Ob wir es noch schaffen?«, fragte einer der Matrosen im Logis.
Die anderen zuckten hilflos mit den Schultern.
Steuermann СКАЧАТЬ