Название: Konstantinopel von unten und andere Schrecklichkeiten
Автор: Jürgen Rath
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783937881737
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Am Abend des 14. Oktober sichtete die Besatzung der Luna das starke Feuer von Lindesnes an der norwegischen Küste, Hoffnung zeichnete sich in den Gesichtern der Seeleute ab.
»Wird auch Zeit«, brummte der Schiffer, »das Wasser im Raum steht schon zwei Meter hoch.«
»Ich wundere mich schon lange, warum die Luna noch schwimmt«, sagte der Steuermann.
Sie waren nur noch drei Seemeilen vom Hafen entfernt, da sprang der Wind plötzlich auf Nordost um. Er kam damit von vorne und trieb die Brigg von der Küste weg. Mit einem Schlag waren alle Hoffnungen zunichte gemacht. Die Männer standen schweigend an der Reling, sie waren unfähig, ihre Verzweiflung in Worte zu fassen.
Schiffer Schütz versammelte die Besatzung um sich.
»Männer!«, rief er, »wir können Lindesnes nicht mehr erreichen. Der Wind lässt es nicht zu und die Luna gehorcht kaum noch dem Ruder. Deshalb werden wir unseren Plan ändern. Wir segeln nach Süden durch das Skagerrak. Morgen früh setzen wir die Brigg an der dänischen Küste auf den Strand.«
Am Vormittag des 15. Oktober kam die dänische Küste in Sicht, doch angesichts der hohen Wellen entschloss sich der Schiffer, erst einmal in sicherer Entfernung zum Land weiter nach Süden zu segeln. Allerdings erfüllte sich seine Hoffnung auf eine ruhigere See nicht. Der Sturm heulte unentwegt in gleicher Stärke, die Wellen gingen hoch, und überall an der Küste stand die gleiche tödliche Brandung. Um 2.00 Uhr nachmittags lag die Luna so tief, dass jeden Augenblick mit dem Sinken des Schiffes gerechnet werden musste.
»Es bringt nichts, weiter zu segeln«, sagte der Steuermann.
Schiffer Schütz nickte. »Wir werden jetzt auf Land zusteuern. Wenn wir viel Glück haben, hebt uns eine See über die Brandung hinweg an den Strand. Dann ist das Schiff zwar verloren, aber die Leute gerettet.«
Zu hoffen wäre es, dachte Wilhelm Kolmorgen. Doch ein Blick in die Seekarte hatte ihn belehrt, dass die flachen Sandbänke vor der Küste es kaum zuließen, ungeschoren bis an den Strand zu kommen. Und der Schiffer wusste das sicherlich auch.
Zur Beschleunigung der Fahrt wurden alle Segel gesetzt, das schwer angeschlagene Schiff nahm Fahrt auf die Küste auf. Mit klammem Herzen standen die Männer an Deck und starrten auf die Brandungswellen, die sich höher und höher aufbauten, um dann mit unbeschreiblichem Lärm auf den Strand zu donnern.
»Ob wir das überleben?«, fragte der Matrose, der die Befürchtungen der Mannschaft als einziger aussprach.
»Wenn wir bis an den Strand kommen, sind wir gerettet«, sagte der Zimmermann.
Mit seiner schweren Wasserladung lag die Brigg recht tief, zu tief, um über die Sände hinweg zu kommen. Hundert Meter vor der rettenden Küste stieß das Schiff inmitten einer furchtbaren Brandung auf Grund. Durch den schlagartigen Stillstand des Schiffes stürzten die Männer zu Boden. Im gleichen Augenblick knallte es über ihnen laut und scharf. Das waren die Segel, die jetzt zum Land hinflogen.
Steuermann Kolmorgen rappelte sich als Erster auf. Er blickte nach achtern und erstarrte. Eine Grundsee hatte sich hinter ihnen aufgebaut, nahm an Mächtigkeit zu und überragte schließlich das Schiff. Sie knallte gegen das Heck der Luna und hob es an. Der Segler stieg höher und höher, die Männer mussten sich festhalten, um nicht noch einmal nach vorne zu fallen.
Dann war die See unter dem Schiff hindurchgelaufen. Das Achterschiff rauschte das Wellental hinunter und krachte auf den Meeresboden. Holz splitterte, das schwere Ruderblatt schoss aus dem Wasser, wie von einer Kanone abgefeuert. Es flog hoch in die Luft, fiel mit einem schrillen Pfeifton wieder herunter und blieb senkrecht im Deck stecken. Gleichzeitig wurden die Männer mit Gischt überschüttet, die ihnen jegliche Sicht nahm.
Steuermann Kolmorgen wischte sich das Salzwasser aus den Augen und blickte wieder nach achtern. Erschreckt rieb er sich noch einmal die Augen, doch der Anblick veränderte sich nicht: Wo das Heck der Luna hätte sein müssen, war nur noch ein Gewirr aus geborstenem Holz und verbogenem Relingsgestänge. Das Rettungsboot war in zwei Teile gebrochen, die Reste schaukelten in ihren Aufhängungen.
Wieder wälzte sich eine Grundsee heran. »Alle Mann in die Masten!«, brüllte der Steuermann.
Die Aufforderung wäre nicht nötig gewesen. Die Seeleute rannten bereits über das Hauptdeck, vorbei an dem aufgespießten Ruderblatt, und hetzten die Wanten hinauf, als wären sie vom Teufel verfolgt.
Sie waren tatsächlich vom Teufel verfolgt, von einem Seeteufel. Diesmal lief die Welle nicht unter dem Schiff hindurch, diesmal fiel sie mit der Gewalt von Hunderten von Tonnen über die kleine Brigg her. Donnernd schlugen die Wassermassen an Deck, bis zur Saling hinauf spritzte die See, die Masten schwankten von einer Seite zur anderen. Die Welle hob das Schiff vom Grund hoch, schwenkte es parallel zur Küste, setzte es dann wieder mit einem schrecklichen Krachen auf dem Meeresgrund ab.
Steuermann Kolmorgen starrte vom Mast herab auf das Toben der Elemente. Es schien ihm, als wäre die Luna verschwunden, nur die beiden Masten ragten noch über die Brandungswelle hinaus. Einen Augenblick später zog das Wasser weiter Richtung Strand und gab das Schiff frei. Doch wie sah die Brigg jetzt aus: Das Deck war geborsten und die Aufbauten weggerissen. Wer es bisher nicht hatte wahrhaben wollen, sah es jetzt überdeutlich: Die Luna war zum Wrack geworden.
Neben sich hörte der Steuermann ein Fiepen, wie von einem Hund, der alleingelassen worden war. Er blickte auf den Mann, der in den Wanten hing wie ein nasser Sack.
»Was ist los mit Ihnen, Zimmermann?«
»Es ist aus mit uns. Wir machen es nicht mehr lange. Jetzt holt uns der Teufel.«
»Reißen Sie sich zusammen! Es ist doch nicht Ihre erste Strandung.«
»Nein, die dritte. Aber mit jedem Mal werden die Nerven dünner.«
»Noch sind wir nicht tot. Bestimmt kommen bald Leute, die uns retten werden.«
Es waren tatsächlich Helfer am Strand, doch die kümmerten sich nicht um die Luna. Sie hatten genügend mit der Rettung der Besatzung eines anderen Schiffes zu tun, das kurz zuvor gestrandet war.
Inzwischen waren auch die Masten der Luna kein sicherer Zufluchtsort mehr. Jedes Mal, wenn eine Welle das Wrack anhob und dann wieder auf den Meeresboden setzte, lockerten sie sich mehr und mehr in ihrer Verankerung. Sie, die einst fest und sicher gestanden hatten, schwankten jetzt von einer Seite zur anderen. Sie schwankten inzwischen so stark, dass sich die Leute eisern festhalten СКАЧАТЬ