Название: Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990
Автор: Heinz Scholz
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783867775649
isbn:
Einige Lehrer, z. B. die Kollegin B., dachten sich Hörspiele aus, mit denen wir über den Schulfunk auf bestimmte Klassen erzieherisch Einfluss nehmen wollten. Ich erinnere mich an ein Hörspiel, in dem wir das Bekritzeln und die Beschädigung von Schulbänken zum Thema gemacht hatten. Insgesamt zeigten sich die Schüler beeindruckt, sie nahmen die „Erziehung“ über den Schulfunk ernst.
Bald griff die Lokalzeitung diese Neuerung im Schulbetrieb der Löfflerschule auf. In einem ausführlichen Artikel berichtete sie von den „guten Beispielen der Schulfunkarbeit an der Löfflerschule“.
Abgesehen von der fragwürdigen oder dauerhaften Nutzbarkeit jener Schulfunktechnik, hat sie doch fürs erste nach außen hin Aufmerksamkeit erregt. Womit die Löfflerschule da in Erscheinung trat, das wurde als „fortschrittlich“ gewertet, was auch immer man damals unter „Fortschritt“ verstand. Dorffunk, Stadtfunk, Schulfunk waren geschätzte technische Mittel der politischen Agitation. Und wer „voranschreitend“ eine Schulfunkanlage einsetzte, dem traute man selbstverständlich „fortschrittliche“ Absichten zu. Galt es doch, politische Anliegen, wie „die Friedenspolitik von Partei und Regierung“, die „Deutsch-sowjetische Freundschaft“, den „Aufbau des Sozialismus“ und den „Kampf gegen den westdeutschen Militarismus“, mit allen Mitteln zu propagieren und möglichst jedermann einzuhämmern.
„Transparentitis“
Das „positive“ Ansehen der Schule musste oder konnte auch – nach damaligen politisch-propagandistischen Gepflogenheiten – durch eine entsprechende agitatorische Sichtwerbung am Schulhaus erwirkt oder bewiesen werden. Politische Transparente an der Fassade des Schulhauses sollten den „positiven“ politischen und „revolutionären“ Charakter einer Schule nach außen hin sichtbar machen. Daher mussten Schulleitung, Lehrer und Schüler für eine aktuell politisch dekorierte Fassadengestaltung sorgen. In den Augen der SED und der Staatsfunktionäre waren Schulen nicht unparteiliche Bildungs- und Erziehungsanstalten, sondern aktive politische Agitationszentren, die nach außen in alle Öffentlichkeit sichtbar wirken sollten. Sie hatten dem „ideologischen Kampf“, also dem „Klassenkampf“ zu dienen. Die Lehrer, im Dienst des Staates verpflichtet, sollten vor Schülern und Eltern als „Klassenkämpfer“ auftreten, und die Schule musste dies auch durch ihr äußeres Bild, nämlich durch politische Sichtwerbung, beweisen bzw. vorzeigen. Das bedeutete für Schulleitung und Lehrer permanent, Transparente und immer wieder Transparente zu bauen: möglichst großflächig, lang, breit und hoch, mit aktuellen politischen Losungen als Imperative und Verpflichtungen, an den Fassaden des Schulgebäudes gut sichtbar aufgehängt und sicher befestigt. Das war in zu- und abnehmender Wellenbewegung, je nach Intensität und Wechsel der politischen Kampagnen, eine Kraft zehrende Arbeit, die die Lehrer zusätzlich zu leisten hatten. Schon die Beschaffung des nötigen Materials war problematisch. Langwierig dann das Schriftmalen auf rotem, blauem oder weißem Tuch im Leistenrahmen, nachmittags, meist unter Anleitung der Zeichenlehrer und unter Hilfe älterer Schüler. Und zuletzt das schwierige Aufhängen und das gegen den Wind sichere Befestigen an der Fassadenwand durch uns Lehrer. Unser Zeichenlehrer, Kollege W., hatte einen Hauptteil dieser Arbeit zu leisten. Das ging so weit, dass er vom Unterricht freigestellt werden musste, damit vor einer bevorstehenden „Volkswahl“ schnell noch die nötigen aktuellen Transparente an die Hauswand kamen. Ich erinnere mich, wie er auch große Wandbilder für die Außenfront und für die Aula gemalt hat, mitunter Kopien zeitgenössischer Künstler. Für seine Monumentalbilder bevorzugte er Figuren oder Motive von Max Lingner. Eines der größeren Wandbilder – ich sehe es noch deutlich vor mir – zeigte in einer vergrößerten Kopie, wie die Bürger von Calais einen im Hafen ausgeladenen amerikanischen Panzer mit vereinten Kräften über den Kai ins Wasser stürzen – das als Zeichen eines aktiven Friedenskampfes gegen die „Kriegspläne des amerikanischen Imperialismus“.
Mühe bereitete uns die Auswahl der Losungen für die Transparente. Wir versuchten unsachliche Parolen zu vermeiden und vorgegebene penetrante oder pathetische Formulierungen abzuwandeln in vertretbare Fassungen. Wir als Schule wollten nicht die plumpen Phrasen agitatorisch hinausschreien! Waren wir doch eher darauf bedacht, von innen heraus ein seriöses Gesicht zu wahren. Von Seiten der SED-Kreisleitung kontrollierte und bewertete man die propagandistische Fassadengestaltung! Ein einziges Transparent allein an der Vorderfront unseres Schulgebäudes „verlor“ sich und genügte nicht. Meist sahen wir uns gezwungen, drei aufzuhängen, um zu beweisen, dass unsere Schule auf dem Posten war.
Diese obligate, belastende Transparentitis, wie wir es nannten, wurde in den 70er und 80er Jahren nach und nach nicht mehr so genau genommen. Sie setzte sich jedoch unvermindert fort bei der Gestaltung und Ausschmückung unserer Marschkolonnen am 1. Mai und bei anderen öffentlichen Vorbeimärschen bzw. Pflichtdemonstrationen. Hier blieb es dabei, durch möglichst zahlreiche und aktuell „passende“ tragbare Spruchbänder, Tafeln, Fahnen und Fähnchen das politische Gesicht der Schule nach außen hin unter Beweis zu stellen.
Wir wissen: Die geforderten „Trag- und Winkelemente“, so in der Partei-Sprache benannt, blieben ein wichtiger Bestandteil der öffentlichen SED-Paraden bis 1989.
Partei und Schule
Ich rede hier, wenn ich von Schule spreche, immer noch von materiellen Bedingungen und politischen Begleiterscheinungen. Wäre es nicht angebracht, zuerst über Unterricht, Lehrtätigkeit und Erziehung zu schreiben? Aber da zögere ich. Über dieses Hauptgeschäft zu reden, das schiebe ich vorerst noch vor mir her. Ich denke, ohne die staatlich vorgeschriebenen und politisch oktroyierten Rahmenbedingungen zu beschreiben, kann man die schwierige Arbeit eines Lehrers im ersten Jahrzehnt der DDR nicht verstehen. Von politischer Einflussnahme auf die Schule war bei dem bereits Gesagten schon die Rede. Nun scheint mir nötig, davon ausführlicher zu berichten, wie die Staatspartei, die SED, und deren Parteiapparat bzw. Funktionäre auf Erziehung, Bildung und Unterricht in unserer Schule eingewirkt haben.
Ich war seit März 1950 Kandidat der SED, wurde 1952 (am Ende der Kandidatenzeit) nach entsprechender Überprüfung als Mitglied in die SED aufgenommen und dann so fest und endgültig eingebunden, dass mein berufliches Leben als Lehrer künftighin nicht mehr zu trennen war von meiner Bindung an die Partei. Einige Geschehnisse und persönliche Erlebnisse aus meinem Parteileben, besonders in den harten Zeiten der 50er Jahre, haben sich in mir so fest eingeprägt, dass ich sie bis heute nicht vergessen kann. Manche Belege oder auch Notizen von einst habe ich mir aufgehoben, immer in dem Gedanken: Halte das fest, das glaubt dir sonst später niemand. Als Mitglied der SED verstand ich mich zwar bis zu einem gewissen Grade als sozialistisch denkender Mensch, kam aber nicht los von einem zehrenden Misstrauen gegenüber „meiner“ Partei. Manche meiner Erfahrungen, z. B. bei meinem „Parteieintritt“ in der Pädagogischen Fachschule, standen im Widerspruch zu meinen gewonnenen politischen Anschauungen. Ich hatte mich in den Nachkriegsjahren mit Hitler, mit der Nazi-Diktatur und mit dem II. Weltkrieg auseinandergesetzt, zunächst autodidaktisch und anschließend vor allem durch meine Studien während meiner Ausbildung zum Geschichtslehrer. Damit hatte ich fürs erste die selbst miterlebte NS-Gewaltherrschaft – so weit möglich – verarbeitet. Doch wie sich das „neue antifaschistisch-demokratische“ System“ in der Praxis dann darstellte, vor allem wie die SED als sozialistische Arbeiterpartei absolut und erbarmungslos СКАЧАТЬ