Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990. Heinz Scholz
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Название: Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990

Автор: Heinz Scholz

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783867775649

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СКАЧАТЬ wollte, für ein Fernstudium im Fach Deutsch von 1954 – 1957. Mit mir noch drei Kollegen/​innen aus unserer Löfflerschule. Nach abschließender Prüfung erhielten wir Diplom und Lehrbefähigung für das Fach Deutsch bis zur Klasse 10. Fast alle nahmen danach noch ein zweites Fernstudium auf, ich z. B. im Fach Geographie.

      Wir Neulehrer waren gewohnt und darauf eingestellt, im weiteren Verlauf unseres Berufslebens ständig dazuzulernen. Mancher musste unentwegt nachholen, was andere schon als junge Menschen auf höheren Schulen und Universitäten gelernt hatten. Das kostete zusätzlich Kraft und Zeit und ging zeitweise zu Lasten des Familienlebens. Doch diese Spannung, dieser auf uns lastende Bildungszwang, hatte zugleich zur Folge, dass man als Lehrer immer in dem Bewusstsein arbeitete: Ist alles richtig, was du machst? Was kannst du noch verbessern? Man betrachtete seine Lehrtätigkeit kritisch, prüfte sich, suchte nach neuen oder besseren Lehrmethoden und konnte sich kaum in Routine verlieren. So sah ich mich auf Dauer gefordert, mir ergänzendes Wissen anzueignen und methodisch kreativ zu denken und zu unterrichten. Und mit der Erfahrung eigener Lernanstrengungen und -schwierigkeiten begriff ich auch besser das Maß der Anstrengungen, das ich den Schülern abverlangte.

      Ich glaube, dass das zwangsläufige unablässige Streben nach beruflicher Vervollkommnung bei manchen von uns einen besonderen Idealismus erzeugte. Es war wie ein spezifisches Neulehrer-Ethos, seine pädagogische Eignung und gleichrangige Tüchtigkeit gegenüber akademischen Kollegen durch solide fachwissenschaftliche und pädagogische Arbeit unter Beweis zu stellen und dabei auch seine humanistischen Ideale verwirklichen zu wollen. Ich denke: Viele von uns Neulehrern sind engagierte Pädagogen geworden und haben ihren Beruf mit Leib und Seele ausgeübt.

      Eins hatten wir „alten“ Neulehrer den jungen Hochschulabsolventen, die ab Mitte der 50er Jahre zu uns stießen, voraus: unsere sozialen Erfahrungen in den Niederungen der alten Gesellschaft sowie die harten Erfahrungen aus Krieg, Gefangenschaft, Heimkehr oder Vertreibung und aus schwerer Nachkriegszeit. Wir Überlebenden jener Generation, die wir dem Inferno von Krieg und Bomben oder qualvoller Gefangenschaft gerade noch entronnen waren, konnten wohl – so dachte ich manchmal – mit einem reiferen Blick hineinsehen in ein ärmliches, vaterloses oder heimatloses Elternhaus. Heranwachsendes junges Leben zu hegen und zu fördern – das mussten wir nicht erst theoretisch lernen! Das hatten wir in uns.

      Trotz unseres Fleißes und unserer Mühen waren wir Neulehrer verständlicherweise auch der öffentlichen Kritik ausgesetzt. Manche Eltern misstrauten uns – besonders in den Anfangsjahren. Galten wir doch für sie in erster Linie als einseitig ausgerichtete, kommunistische Agitatoren der „russischen SED-Machthaber“. Infolgedessen wurden Neulehrer manchmal als schlecht ausgebildete, unwissende, dümmliche und politische Spottfiguren verhöhnt. Gelegentlich oder mit Lust wurden Beispiele für deren klägliches Versagen oder unverzeihliche Fehler weitererzählt. Wir wollten natürlich durch möglichst gute Arbeit solche Entblößungen verhindern oder Vorurteile abbauen, aber mit unserer Selbstkritik verfielen wir gelegentlich auch in Selbstironie.

      Ein Witz, den ich damals gern zum besten gab, zeigt, wie wir Neulehrer uns selbst auf die Schippe nahmen:

      Fritzchen erzählt seinem Vater, dass sie jetzt in der Schule einen neuen Geschichtslehrer bekommen hätten, einen „Neulehrer“, und dass sie nun im Unterricht über den Alten Fritz redeten.

      Und was hat er euch über den erzählt?

      „Och, der heißt nicht mehr Friedrich der Große, sondern Friedrich II. von Preußen … dann hat er drei Kriege gegen Maria Theresia geführt und Schlesien erobert.“ – Und was noch?

      „Zum Schluss ist er ermordet worden.“ „Was?“ sagt der Vater, „das stimmt auf keinen Fall, Friedrich der Große ist eines ganz natürlichen Todes gestorben! Sag das deinem Lehrer!“

      Fritzchen am nächsten Tag in der Schule hält das nun in gleichem Wortlaut seinem neuen Geschichtslehrer vor. – Dieser Lehrer lächelt überlegen: „Nein, nein, Fritzchen, da irrt sich dein Vater.“ Er geht zum Schrank, holt ein dickes Buch hervor, blättert darin und zeigt dann auf die Abbildung auf einer aufgeschlagenen Buchseite und sagt: „Siehst du, Fritzchen, hier unter diesem Bild steht ganz deutlich geschrieben: Friedrich der Große auf dem Totenbette nach einem Stich von Adolph von Menzel!“ –

      Zehn Jahre später, nachdem die erste akademisch gebildete Lehrergeneration mit uns vermischt war und es einigen unter diesen diplomierten Fachlehrern mitunter schwer fiel, neben bewährten Neulehrern gut zu bestehen, war dieser Witz nicht mehr aktuell.

      Mitte der fünfziger Jahre, im Zuge einer Lockerung nach dem 17. Juni 1953, wurden einige der ehemaligen Lehrer aus der NS-Zeit wieder als Lehrer eingestellt. Damit begründet, dass sie, nunmehr als einstige „nur nominelle Mitglieder der NSDAP“ eingestuft, rehabilitiert worden wären. Andererseits – wie wir dachten –, um die personellen Lücken zu schließen, die durch die zunehmende Fluktuation von Lehrern in den „Westen“ entstanden waren.

      In den ersten fünfziger Jahren waren die Wunden und Folgen des Krieges überall noch zu spüren. Sie zeigten sich ringsum in den mangelhaften materiellen Lebens- und Arbeitsbedingungen, vor allem in der großen Wohnungsnot, im Mangel an Lebensmitteln, Kleidung und Schuhen und in der allgemeinen Knappheit an allen notwendigen Bedarfsgütern für das tägliche Leben. Normalverbraucher oder „weniger produktive“ Berufstätige erhielten auf Lebensmittelkarte die minimale bzw. normale Zuteilung an Lebensmitteln. Dagegen bekamen privilegierte Helfer des neuen Regimes oder entsprechend eingestufte Berufsgruppen (z. B. Funktionäre, Schwerstarbeiter, Ärzte und wir Lehrer) etwas höhere Lebensmittelrationen zugesprochen. Natürlich gab es im Unter- oder Hintergrund des öffentlichen Lebens immer noch Schwarzhandel und Tauschgeschäfte, durch die sich manche Leute zusätzlich Lebensmittel oder andere begehrenswerte Güter zu verschaffen wussten. Die Städte sahen noch trostlos aus. Der Schutt war zwar inzwischen aus Straßen und Häuserlücken geräumt, aber Neues längst nicht aufgebaut. Wenigstens an einigen wichtigen öffentlichen Gebäuden waren die Bombenschäden behoben worden.

      So auch am Gebäude unserer Löfflerschule. Mancher hat geklagt über den kasernenartigen Klinkerbau aus der Gründerzeit, über die engen, dunklen Korridore und die ölig stinkenden Holzfußböden.

      Das hat mich nicht gestört, kannte ich doch kaum bessere, schönere Schulgebäude dieser Größe. Immerhin hatten wir eine schuleigene Turnhalle, eine Aula und einen großflächigen Pausenplatz. Zum anderen wussten wir alle, dass das Gebäude im Krieg durch Bomben beschädigt und erst 1948/​49 wieder aufgebaut und als Schule notdürftig eingerichtet worden war. Da mussten wir Unzureichendes in Kauf nehmen. Eine dieser Unzulänglichkeiten war der schlechte Zustand der im flachen Hofgebäude befindlichen Toiletten – mit hölzernen Reihen von Plumpsklos. Hygienisch kaum vertretbar. Aber von wo hätte man in den Nachkriegsjahren eine neue, metallene Sanitärtechnik für Wasserspülung hernehmen sollen? So blieb nichts anderes übrig, als für akkurate Reinigung zu sorgen. Und die Kinder damals waren weder verwöhnt noch sehr wählerisch. Das mit den übel riechenden Pissrinnen oder Gruben, das war nun mal so; man kannte es nicht anders und richtete sich auf die Gegebenheiten ein.

      Eine erhebliche Beeinträchtigung unseres Unterrichtsbetriebes war auch die völlig unzureichende Beheizung der Klassenräume während der Winterzeit. Dies lag zum einen an den 50 Jahre alten, schlecht heizenden Kachelöfen und an den mit ungeeignetem Material neu gebauten Ersatzöfen, hauptsächlich aber am Mangel an Brennstoffen. Zum größten Teil wurde Rohbraunkohle angeliefert, meistens noch feucht. Braunkohlenbriketts, die für diese Kachelöfen besser geeignet waren, gab es nur in geringen Mengen. Herr Knapp, unser Hausmeister, musste die tägliche Kohlenmenge für 24 Klassenräume in Eimern bis in die 3. Etage hoch tragen! Große Jungen halfen, so gut das möglich war. In den Wintermonaten war es üblich geworden, die Eltern zu bitten, ihren Kindern, wenn möglich, ein СКАЧАТЬ