Bevor wir nun aber den „Quantensprung“ wagen und dieses anhand von Narr und Magier entwickelte Modell auf alle Karten übertragen, fassen wir noch einmal zusammen: Ich bin, der ich bin und Am Anfang steht die Tat sind die Schlüsselsätze, die dem Magier zugeordnet werden. Immer noch befinden wir uns an den Anfängen der großen Entwicklungslinie, die durch die Großen Arkana des Tarots allegorisch nachgezeichnet wird. Im Gegensatz zum Narren erfasst die Symbolik des Magiers bereits die ersten Schritte in den aus dem Nichts entfalteten Raum, in die aus der Ewigkeit geborene Zeit und in das konkrete, dynamische Leben. Damit befinden wir uns unwiderruflich auf jener Erkundungsreise, auf der man die Welt als das gespiegelte Bild in einem Spiegel, den Spiegel aber als das Symbol des kreativen Willens entdeckt.
Der Magier entspricht jenem Anteil der in uns wirkenden überpersönlichen Notwendigkeit, die das Selbst sich im verkleinerten Rahmen des Ichs erkennen lässt. Um erneut auf die biblische Mythologie zurückzugreifen: Wenn du den Apfel isst, wirst du wie Gott, versprach die Schlange. Damit motivierte sie das Ich des Menschen, das Selbst mit dem Willen einer sich selbst in den Mittelpunkt stellenden Energie zu überformen. Seither ist das Ich, wie die Tiefenpsychologie es ausdrückt, der „Schatten des Selbst“ oder – umgangssprachlich formuliert – der problematische Teil unserer Gesamtpersönlichkeit. Die Schlange hat nicht etwa zuviel versprochen! Durch den Zeugungsakt des Magiers – den Griff nach dem Apfel – sind wir zum Schöpfer geworden, zum Schöpfer unserer Erscheinungswelt, die wir nach unseren Vorstellungen gestalten.3 Der Magier projiziert seine Ideen in ein Objekt, um dieses handhaben zu können. Dem Narren hingegen ist es in seiner Verrücktheit (Ver-Rücktheit aus der Polarität von Subjekt und Objekt) erlaubt, durch die Verschleierungen des ihn prägenden Unbewussten hindurchzusehen. Auf der konkreten Ebene des Daseins weisen beide – Narr und Magier – den Weg, der von der Zeugung zum embryonalen Wachstum (II Die Hohepriesterin) und zur Geburt (III Die Herrscherin) des individuellen Seins führt.
Der Hintergrund
Der Schöpfungsfunke
Der Magier symbolisiert immer eine neue Entwicklung und den Beginn eines neuen Zyklus, denn er dient als Katalysator zur Entfaltung eines noch schlummernden zukünftigen Potentials. Dies allein ist seine Aufgabe – nicht etwa, über die Initialisierung hinaus auch noch in voller Bewusstheit ein bestimmtes Entwicklungsziel zu verfolgen. Deshalb ist es nur natürlich, wenn er sich gegenüber strukturierten und geregelten Formen des Lebens meist in Opposition begibt. Aufgrund dessen wird ihm oft Triebhaftigkeit und kindliche Aggression vorgeworfen. Das ist nicht ganz unberechtigt, aber bevor man seinen Durchsetzungswillen für verfehlt und ihn selbst zum Sündenbock erklärt, sollte man erkennen, dass der Magier die Urzelle der menschlichen Entwicklung ist. Ist es doch vor allem seine aggressive Ichhaftigkeit, die uns den Fortschritt und die menschliche Kultur gebracht hat! Es ist gewiss bedauerlich, dass der Preis der kulturellen Blüte die Verödung des ganzheitlichen Sinns der menschlichen Existenz ist. Es ist darüber hinaus richtig, dass es zu den Verfehlungen des Magiers gehört, das Ego in den Mittelpunkt zu stellen und es von der Natur abzuspalten. Doch um sich überhaupt entwickeln zu können, muss sich das Ego notwendigerweise von der „heilen Welt“ absondern! Wenn wir diese Tatsache als eine Grundlage des menschlichen Handelns begreifen, dann können wir den Magier als den Ahnherrn bezeichnen, der dem Menschen bei seiner Geburt an der Wiege stand.
In seiner menschlichen Form symbolisiert der Magier die weit in den Raum ausgreifende, vereinnahmende Bewegung (Eroberung, Sieg über den Feind). Dies ist das Prinzip, welches seit der Frühzeit dem Menschen das biologische Überleben sicherte. Seinerzeit war das persönliche Wohl von der Einbindung der Aggressionskräfte in die Sippengemeinschaft abhängig. Das gemeinsame Ziel entsprach nahtlos den Bedürfnissen des einzelnen, denn das Überleben war nicht nur von der Abwehr der äußeren Feinde abhängig, sondern auch von der aktiv-aggressiven Nahrungsbeschaffung. Erübrigen sich diese Ziele, fehlen auch dem Magier für seine Aktivitäten die Voraussetzungen! Er benötigt den äußeren Reiz, der ihn anspornt, gleichsam wie um einen motorischen Apparat in Bewegung zu setzen und ein konkretes Ziel anzupeilen – ganz egal, ob es Aufbau oder Zerstörung bedeutet. Angesichts des Fehlens von archaischen Zielen – etwa dem Standhalten gegenüber unmittelbarer Bedrohung der menschlichen Spezies durch andere Arten – werden heute Ersatzziele geschaffen, um den „Magier in uns“ befriedigt zu halten. Doch die Tatsache bleibt bestehen: Die urtümliche Aggression des Magiers ist nicht mehr das Mittel, das den Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht werden kann. Sie entspricht nicht mehr den gegebenen Erfordernissen, um der Menschheit das Überleben zu sichern, sondern sie schießt in der Unverhältnismäßigkeit ihres Einsatzes meist weit über das Ziel hinaus.
Die Deutung
Frau
Die Magierin verkörpert Aktivität, Selbstverwirklichung und das Streben nach Macht, sie ist für Abenteuer schnell entflammbar und zeigt dabei außerordentliche Lebenskraft. Denn wo die Närrin noch blind ist und nur ahnt, dass es etwas zu entdecken gilt, macht die selbstbewusste Heldin schon den ersten Schritt. Darin drückt sich der absolute Wille zur Gestaltung und Veränderung der Dinge aus. Du weißt, was du willst, und das lässt dich alle Ziele erreichen. Nur muss die Verwirklichung deiner Vorsätze sofort erreichbar sein, sonst klingt die Begeisterung schnell wieder ab. Dafür ergreifst du ohne Umschweife jede sich bietende Gelegenheit. Aber wenn du irgendwann nicht mehr weiterkommst, richtet sich dein Interesse unverzüglich auf ein anderes Ziel. Dein Tun hat nicht immer eine Richtung, sondern stellt oft einfach die Tat selbst in den Mittelpunkt. Also merkst du auch nicht immer, wenn die Objekte wechseln, solange dir subjektiv das Tun als solches erhalten bleibt.
Du hast nicht eine, du hast hundert Ideen, die du gleichzeitig verwirklichen möchtest. Dabei geht es nicht um einen tief schürfenden Gedankenaustausch, sondern um schiere Lebenslust. Das macht dich zur emotionalen „Schnelldurchlauferhitzerin“, die mit ihren Wünschen und Zielen fixer zur Sache kommt, als dies in Omas Knigge nachgeschlagen werden kann. Denn du lebst nach dem Motto: „Selbst ist die Frau!“ Du bist überzeugt, dass du die Fähigkeit besitzt, Menschen zu führen, weil es dir relativ leicht gelingt, sie zu motivieren. Du bist in allen Bereichen die siegreiche Amazone, die die innere Kraft durch äußeren Willen in Bereiche bringt, wo sie sich gewinnbringend entfalten kann.
Umgekehrt
Die umgekehrte Karte erzählt von der aggressiven inneren Frau, die ganz aus der urwüchsig-archaischen, wild und unverfeinert ans Tageslicht drängenden Triebenergie heraus lebt. Sie zieht ihre Aktionen ohne Netz und doppelten Boden durch, und sie wünscht sich dabei auch einen schwindelfreien Partner. Die Fieberkurve der Emotionen geht in deiner Gegenwart steil nach oben, und wer körperlich nicht halten kann, was du dir von ihm versprichst, findet sich schnell vor deiner Schlafzimmertür wieder. Dabei bist du weniger vom Bedürfnis erfüllt, Macht zu erringen, sondern du lässt dich vielmehr von deinem Instinkt leiten, der dir sagt, dass du nur im Sieg über die anderen ganz dich selbst bleiben kannst. Im Bereich dieser Schwäche liegt auch dein unbedarftes Bemühen, durch die Macht deines Willens schwache Dienstgeister zu mobilisieren, deren Aufgabe darin besteht, dir deine naiv-narzistischen Bedürfnisse unverzüglich zu erfüllen. Du öffnest dich weit gegenüber den Reaktionen der Umwelt – aber nur, um die eigenen Raubtier-Instinkte zu schärfen СКАЧАТЬ