Rattentanz. Michael Tietz
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Rattentanz - Michael Tietz страница 59

Название: Rattentanz

Автор: Michael Tietz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Edition 211

isbn: 9783937357447

isbn:

СКАЧАТЬ rutschte ein Stück näher und senkte die Stimme. »Juden, könnte ich mir noch ganz gut vorstellen. Jetzt echt. Die haben Kohle ohne Ende, haben sich überall ganz oben eingeschlichen mit ihrem ständigen Lächeln und ihrer Katzbuckelei. Und denk mal nach, Mann: Wer verdient hinterher daran, wenn alles wieder aufgebaut werden muss? Wem nützt es, wenn es bei uns bergab geht? Und wer hat noch ’ne alte Rechnung mit den Deutschen offen, he? Die Juden!«

      Ritter antwortete nicht sofort, sondern dachte einige Sekunden über das mit den Juden nach. Schien irgendwie Sinn zu machen.

      »Und wenn die es auch nicht waren, wer dann?«

      »Dann haben die in Berlin vielleicht einfach keine Lust mehr gehabt, weiterzumachen und ruck, zuck alle Hauptschalter umgelegt und sich dann aus dem Staub gemacht.« Beide mussten bei dieser Vorstellung lachen: Das Bundeskabinett beschließt mit nur einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen, die Lichter zu löschen. Alle trinken noch gemütlich ihr Mineralwasser aus, dann machen sie sich davon.

      »Vielleicht hat sich aber auch der Typ da unten«, Fuchs klopfte auf den gefliesten Boden, »der rote, mit den Hörnern, verstehst du − vielleicht hat der auch gedacht: He, is mal wieder an der Zeit, den alten Chef ein bisschen zu ärgern.«

      »Und wenn es der Chef nun selbst war?«

      »Du meinst, so ’ne Art Sintflut, nur halt ’n bisschen zeitgemäßer?«

      Fuchs kratzte sich am Kopf, die Zigarette im Mundwinkel. »Gar nicht so dumm, die Idee.«

      Er lehnte sich zurück und sah nach oben, zur Decke. Juden, Teufel oder Gott persönlich – spielte das überhaupt eine Rolle? Nein, entschied Fuchs, das war sozusagen scheißegal. Genauso scheißegal wie Ritter und der Türkenbengel. Wen interessierte schon das Warum. Ihm war es egal. Er hatte keine Lust, hier zu sterben, auch nicht, wenn er dafür von Gott persönlich über die Ursachen des ganzen Durcheinanders aufgeklärt werden würde. Er wollte lieber dumm weiterleben statt allwissend zu verrecken.

      Er betrachtete das, was die Decke sein musste. Der Tag hat auch bei mir Spuren hinterlassen, dachte Fuchs, anders konnte er sich die kleinen Lichtpunkte nicht erklären. Ich bin müde. Er rieb sich die Augen. Nach ein paar Sekunden sah er wieder hinauf. Aber sie waren immer noch da − kleine Lichtpunkte, unscharf und verschwommen, wie durch eine beschlagene Brille betrachtet. Sie waren da und versuchten ihm etwas zu sagen, ihn zu …

      »He!« Fuchs sprang auf. »Siehst du das auch oder spinne ich?«

      »Was denn?«

      »Da, da oben. In der Decke. Die Punkte. Siehst du die auch? Los, sag schon, siehst du sie?«

      Ritter blickte zur Decke und tatsächlich, jetzt, nachdem ihn Fuchs darauf aufmerksam gemacht hatte, sah er sie ebenfalls: winzige Pünktchen, etwas verschwommen zwar, aber trotzdem zu erkennen. Und wenn mitten in der Nacht in einem geschlossenen Raum Lichtpunkte auftauchten, schlussfolgerte er, dann konnten es nur Glühwürmchen sein, was sie ausschlossen. Oder aber in dem Gebäudeteil über ihnen gab es noch − oder wieder − Licht! Und wenn das durch die Decke leuchten konnte, mussten da irgendwelche Risse, Kabelschächte oder so sein, durch die man vielleicht rauskam.

      »Los«, drängte Fuchs, »los, Mann, heb mich hoch! Ich kletter auf deine Schultern und dann schau ich mal, was da oben ist! Vielleicht ist das die Chance, hier wieder rauszukommen!« Und euch zurückzulassen, fügte er in Gedanken hinzu. Aber Ritters Bauch sagte ihm unmiss verständlich, dass er einem Hermann Fuchs nicht vertrauen konn te.

      »Weißt du was?«, schlug Ritter schließlich vor, »Wir schlafen jetzt ein, zwei Stündchen und dann geht es meinem Bein sicher schon viel besser. Und dem Bengel vielleicht auch.« Und dann hebe ich den Türken hoch! Der wird nicht abhauen und mich im Stich lassen!

      Aber Fuchs wollte nicht aufgeben, nicht jetzt! Warum noch warten? »Ich weck den Jungen. Dann könnt ihr mich zusammen hochheben, in Ordnung? Dann ist es für dich allein nicht zu schwer und ich schau, was da oben ist.«

      »Jetzt nicht!« Ritter klang plötzlich kalt.

      »He, was soll das? Vertraust du mir etwa nicht, Mann?«

      »Genau«, antwortete Ritter und griff sich wieder an sein Bein. In der Aufregung, welche die Lichtpunkte in ihm auslösten, hatte sein Körper den Schmerz fast vergessen. Jetzt erinnerte er sich aber umso intensiver an das Versäumte und wollte es schnellstmöglich nachholen. »Warum sollte ich dir vertrauen? Wir kennen uns erst seit heute Morgen.«

      »Sicher, ich versteh ja dein Misstrauen. Aber das ist vielleicht die einzige Chance, die wir haben! Los jetzt, heb mich hoch und ich hol uns hier raus.«

      Aber Ritter schüttelte nur den Kopf. »Nein.«

      Daniel Ritter hatte sich auf dem kalten Boden ausgestreckt und versuchte wach zu bleiben. Er betrachtete die Lichtpunkte über sich und hatte den Eindruck, dass sie langsam vorrückten. Aber wahrscheinlicher war, dass ihm seine überreizte Fantasie und die Müdigkeit einen Streich spielten. Vielleicht bekam er auch Fieber. Er fühlte sich erschlagen, wie nach drei Stunden im Studio mit Hanteln und Gewichten. Nein, es war schlimmer, denn die Erschöpfung und der Schmerz im Studio waren angenehm, waren kraftvoll und frisch. Das jetzt hier war die Erschöpfung eines Kranken, krank an Körper und Geist. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass er einfach mal eben so, im Vorübergehen sozusagen (einmal Pommes mit Majo, bitte), einen Menschen würde umbringen können. Er streckte sich und entlastete das schmerzende Bein, indem er einen seiner Turnschuhe unter die Kniekehle legte. Aber es war schon ein geiles Gefühl, dem Bullen den Inhalt des vollen Magazins in den Bullenbauch zu jagen! Wow, hatte der gezuckt! Und wie das Blut aus ihm rausspritzte! Wahrscheinlich würden sie den Eingang zum Revier mit einem Dampfstrahler reinigen müssen.

      Er musste wach bleiben, das war die einzige Möglichkeit. Den Fuchs im Auge behalten, bevor er das Bein stiehlt. Im Auge … er lächelte blöde. Wie sollte man hier etwas im Auge behalten? Die Lichtpünktchen vielleicht?

      Er hatte Durst und musste pinkeln.

      Er hörte Mehmet jetzt tief und regelmäßig atmen. Vorhin, als Fuchs seine Stimme erhoben hatte, um Ritter davon zu überzeugen ihn jetzt und sofort an die Decke zu heben, da war der Bengel kurz unruhig geworden. Aber jetzt schlief er wieder tief und fest. Und wahrscheinlich hatte er den Daumen im Mund, während seine andere Hand zwischen den angewinkelten Knien liegt, wie bei einem kleinen Kind. Aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte Fuchs nicht atmen hören. Kein Geräusch aus dessen Richtung, keine Bewegung, nichts. Als wären er selbst und Mehmet allein. Er versuchte seinen Durst zu ignorieren, aber seltsam, egal an was er auch dachte – den toten Bullen vor dem Revier, den anderen, dem er das mit seinem Bein zu verdanken hatte oder die Leute am Morgen vor der Sparkasse –, immer wieder schob sich das Bild eines frisch gezapften Bieres vor sein inneres Auge. Mal war es auch ein Gebirgsbach, frisch und klar, er konnte das Plätschern des Wassers hören, es riechen.

      Kann Wasser riechen?

      Ritter wälzte sich auf die andere Seite.

      Warum war Fuchs so still? Beobachteten ihn seine Ohren? Warte te er nur darauf, dass Ritter einschlief, um ihn dann im Schlaf zu töten? Der Gebirgsbach sprang ausgelassen über blank polierte Steine. Gräser und gelbe Blumen säumten den Weg des Wassers und in den winzigen Tropfen, die wie tanzende Kinder hoch in die Luft sprangen, spiegelte sich dunkelrot die Sonne. Blutrot.

      Aber nein, überlegte Ritter, Fuchs würde ihm nichts antun. Sie waren aufeinander angewiesen. Sich gegenseitig zu töten wäre ein klassisches Eigentor. Das Wasser war blutrot! Es war Blut, СКАЧАТЬ