Paganini - Der Teufelsgeiger. Christina Geiselhart
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Название: Paganini - Der Teufelsgeiger

Автор: Christina Geiselhart

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783708105222

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СКАЧАТЬ Leute über Wasser? Na? Mit Bettelei, Betrug, Fälschung, Schmuggel …“

      „Ich bin nicht ganz Ihrer Meinung.“ Antonios brennender Blick schnitt dem Arzt das Wort ab. Entschuldigend lächelnd nahm dieser seinen Hut. Er drehte ihn verlegen in der Hand und suchte nach ein paar versöhnenden Schlussworten:

      „Jedenfalls wissen auch Sie, dass es nicht so weitergehen kann, denn Sie sind ein kluger Mann. Es muss Ihnen, wie jedem vollblütigen Italiener, eine Herzensangelegenheit sein, Italien zur Geburt zu verhelfen. Italia, Italia, mio amore!“, schrie er und stieß die Faust in die Luft. „Fort mit den Besatzern …!“

      Antonio unterbrach ihn verärgert:

      „Was Sie sagen, hört sich nach Kampf an, und ich mag das nicht. Ich will keine Unruhe im Land.“

      „Santo padre, Signor Paganini. Sie sind eine harte Nuss. Ich lade Sie doch nicht zu einer Versammlung streitsüchtiger Buben ein. Die meisten sind studierte Leute wie ich. Unser Vorsitzender hat Literatur und Jura studiert. Kommt aus Pisa wie Michelangelo und ist ein feuriger Bewunderer Rousseaus, des Freidenkers. Sie wissen doch, Signor Paganini, die Aufklärung, les années des lumières.“ Er sprach den französischen Satz mit stark italienischem Akzent aus. Antonia blickte ihn finster an, doch nichts in seinem Ausdruck deutete darauf hin, ob er irgendetwas verstanden hatte. „Lumières“, murmelte er nach. Gambaro griff das Wort nochmals auf und fügte an:

      „Esattamente, Antonio Paganini! Sie haben’s begriffen. Ans Licht, an die Sonne, heraus aus den Kellern der Unwissenheit und Unterdrückung!“

      „Hm“, brummte Antonio. „Mache ich mich dabei nicht strafbar? “

      „Ach, was! Im Gegenteil. Es ist die Pflicht des gebildeten Italieners zu reagieren. Und zwar jetzt, wo sich die Flamme der Freiheit auch in anderen Ländern entzündet. Kommen Sie! Ja, kommen Sie gleich heute Abend. Avanti popolo! Filippo Buonarotti ist heute Abend persönlich anwesend, während er bei der nächsten Sitzung vertreten wird.“ Dottore Gambaro setzte seinen Hut wieder auf, verneigte sich vor Signora Paganini, wies mit strengem Blick auf die Medikamente und strebte hinaus.

      Sekundenlang betrachtete Antonio seinen reglosen Sohn. Dann schloss er die Augen, setzte sich auf die Bettkante, strich über die verhüllten Beine des Jungen und grübelte. Es passte ihm nicht, dass der Dottore die Schmuggelei erwähnt hatte, weshalb er auch geneigt war, an dessen Diagnosen und Prognosen grundsätzlich zu zweifeln. Ob politisch oder medizinisch. Konzentriert hefteten sich seine Augen auf das Kind. Starr wie ein Toter lag es unter dem fleckigen Laken. Lebte er tatsächlich? Hatte sich der Dottore nicht getäuscht? Nichts hatte sich verändert. Und Teresas gerunzelte Stirn bestätigte ihn in seiner Vermutung, dass der Tod hämisch grinsend am Fußende des Bettes saß und auf seinen Einsatz wartete.

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      Ich kann euch nicht sehen, doch ich kann euch fühlen. Mamas weiche Hand, die mein störrisches Haar aus dem Gesicht streicht. Ihre Finger sind zart, aber zittern, weil sie die Temperatur meiner Haut fürchtet. Ist sie vielleicht kalt wie der Tod? Sie tastet über meine Nase, meinen Mund, meine Stirn und dort spüre ich nun ihre kühlen Lippen.

      Ich kann euch auch hören. Es ist schon sonderbar, aber meine Ohren nehmen das leiseste Geräusch auf, in den feinsten Tönen. Ich höre Stimmen, die zu Melodien werden. Sie schwingen hoch hinauf, brechen sich und fallen, fallen wie Blätter … setzen sich sanft auf meinem Bett nieder, wanken auf dem grauen Laken. Schwarze und weiße Fragmente der Melodien. Könnt ihr nicht sehen, wie sie einander suchen? Könnt ihr nicht sehen, wie sie sich finden auf einer schlangenförmigen Linie, die nach unten, dann nach oben schwingt? Viele winzige schwarze Köpfchen schmiegen sich aneinander, halten sich gegenseitig an ihren dünnen schwarzen Ärmchen fest, lassen sich los, machen da und dort einem hellen, ruhigen Köpfchen Platz, um sogleich in die Höhe zu springen, wo sie wild durcheinander wirbeln, bis sie in Reih und Glied stehen und mich mit ihren schwarzen Augen ansehen. Jetzt singen sie. Hört ihr sie nicht?

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      Das alles geht nicht mit rechten Dingen zu, dachte Teresa, doch ich will nicht undankbar sein. Santa Maria hat den Dottore durchs Dach der Kutsche klettern lassen, um uns zu sagen, dass Niccolò leben wird.

      Akribisch befolgte sie nun seine Verordnungen. Sie massierte den Brustkorb des Jungen, seine Beine, bettete ihn weich, betupfte seine Stirn mit belebendem Öl und ganz allmählich spürte sie, wie sich das junge Leben unter ihren Händen wieder regte. Ihr olivenfarbenes Gesicht hellte sich auf, in den stumpfen Augen erwachte der alte Glanz. Antonio hielt sich in einiger Entfernung auf und beobachtete die Szene. Dann glitt sein Blick über die Wände des Zimmers, über die grauen Flecken, schwarzen Löcher, die dünnen langgezogenen Risse. Schimmel wuchs unter den Deckenbalken. Fedrige Fäulnis bildete sich in den Wohnzimmerecken. Es stank nach Abfall, Urin, nach ungewaschenen Menschen, nach altem Knoblauch und verfaulten Zwiebeln. Augenblicklich mischte sich der Geruch von würzigem Öl und Kräutermedizin darunter. Er hasste diese erniedrigende Behausung. Er träumte den vergeblichen Traum von einem Häuschen in einem der Flusstäler Polcevera und Bizagno. Ein heftiger Ruck durchzuckte ihn, ließ ihn hochfahren. Er ging über die Schwelle und schlug laut die Tür hinter sich zu.

      2

      Der Vorsitzende erweckte Antonios Vertrauen. Seine Ideen begeisterten, seine Sprache war besonnen und seine Denkweise eher traditionsgebunden als revolutionär. Er sprach von ganz konkreten Problemen. Ständig steigenden Brückengeldern, Zöllen, Privilegien der Clans, von der Vielfalt der Währungen. Solange wir alles widerstandslos hinnehmen, kann nichts anders werden, sagte er und griff weit zurück in Italiens Geschichte. Antonio, der trotz bescheidener Herkunft ein wenig Bildung besaß, hatte den Eindruck, zum ersten Mal tiefgreifende Dinge über sein Land zu erfahren, über seine Menschen, über seine Leiden.

      „In den kleinen Dingen offenbart sich das Unheil des ganzen Landes. Um sie müssen wir uns kümmern, die kleinen Wunden müssen wir heilen, um ein gesundes Ganzes zu schaffen. Nicht zupflastern, nicht übertünchen. Nein! Den Bazillus ausmerzen und etwas Neues gestalten. Unser Konzept ist ein unabhängiges, von fremder Herrschaft befreites Italien, wir streben eine politische und wirtschaftliche Einheit aller fortschrittlichen Staaten unserer Halbinsel an. Dieses Ziel soll uns leiten und in den kleinen Dingen unser Richtmaß sein. Schritt für Schritt voran und keinen einzigen Schritt zurück. Es ist an uns, die wir gebildet sind, dieses Ziel, diese Botschaft, unters Volk zu tragen, das kaum lesen und nicht schreiben kann.“ Ernst blickte der Redner in die Gesichter der Zuhörer. Der stattliche Mann mit der hohen Stirn, den strengen Augen und dem energischen Mund sprach aus, was Antonio dachte. Dieser Mann hatte eine sorgsame, friedvolle Veränderung im Auge. So jedenfalls fasste Antonio seine Sätze auf und voller Bewunderung blickte er hinauf zu dem stattlichen Herrn, dessen dichtes schwarzes Haar den Denkerschädel noch ganz bedeckte. Zwar war sein Kopf quadratisch und saß auf einem kurzen Hals, der durch die modische Halsbinde noch kürzer wirkte, aber daran störte sich Antonio nicht. Es gab wenige harmonisch aussehende Menschen. Sehr wenige. Man konnte sie an fünf Fingern abzählen.

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      „Niccolò lebt!“, brüllte er am frühen Morgen des nächsten Tages seinem Freund entgegen. Hier am Hafen entfaltete die Sonne ihre ganze Kraft und durchströmte die kalten Monate mit ihrer Wärme. Sie spiegelte sich im ­glitzernden Meer, in den feuchten Dohlen der Landungsstege, im schmutzi­gen Weiß der niedrigen Gebäude. Antonio sprang über ein Fass und landete direkt vor Giorgios Nase. Beinahe hätte er ihn umgeworfen. Er war bester Laune, was man von Giorgio hingegen nicht behaupten konnte.

      „Che merda!“, entfuhr es ihm gegen seinen Willen.

      „Was СКАЧАТЬ