Grundbegriffe der Ethik. Gerhard Schweppenhäuser
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СКАЧАТЬ sich dadurch allererst selbst bestimmt. Indem es so in sich zurückgeht, ist es auch über sich selbst hinaus, weil es nun einen Begriff von sich [47]hat. Wer philosophiert, reflektiert in besonderer Weise. Er bildet seine Gegenstände nicht ab. Philosophieren ist vielmehr die reflexive Stilisierung des Sprechens (im Sinne von ›etwas bezeichnen‹ und von ›etwas zum Ausdruck bringen‹), des Interpretierens, des Verstehens und der explikativen Sinndeutung (vgl. Rentsch/Rohbeck 2002, 52).

      Auch die beiden Definitionen von Ethik, die hinter den verschiedenen Begriffen der Reflexion stehen, hängen miteinander zusammen, doch sie beleuchten verschiedene Aspekte des Gegenstands. Wenn ›Reflexion« das kontinuierliche Nachdenken über unser Handeln ist – über die Grundlagen, die Möglichkeiten und die Realität von Handeln –, dann wird der Aspekt der rationalen Reflexion betont. Und damit steht die potentielle Distanz zur Wirklichkeit unseres Handelns im Vordergrund, die ja mit kritischer (d. h. wörtlich: unterscheidender) Reflexion immer auch gesetzt ist. Ethik als »Reflexionstheorie der Moral« ist dann normative Ethik, ein gedanklicher Zusammenhang, der das Seinsollende betont. Versteht man dagegen unter ›Reflexion‹ den Widerschein, also die theoretische Abbildung dessen, was ist, erhält man einen ganz anderen Begriff von Ethik. Philosophische Ethik wäre dann

      eine wissenschaftliche Vergegenständlichung vorgefundener Auffassungen über das, was gut und böse ist, eine Analyse moralischer Vorstellungen und moralischen Sprachgebrauchs, eine Klassifizierung verschiedener sittlicher Auffassungen und Traditionen unter soziologischen, psychologischen oder logischen Gesichtspunkten (Spaemann 1991, 9 f.).

      [48]Der hier zitierte Robert Spaemann war ganz und gar nicht der Ansicht, dass die von ihm an dieser Stelle referierte Position die richtige ist. Doch ist sie verbreitet.

      2.5 Empirische Ethik und der naturalistische Fehlschluss

      Keine Moralphilosophin und kein Moralphilosoph hat ein Problem mit deskriptiven Ethiken, also, in Eislers Terminologie, mit »beschreibender Moralwissenschaft«. Brenzlig wird es erst dann, wenn behauptet wird, nur die deskriptive, empirische Moralbetrachtung sei sinnvoll, und sinnlos sei es, normative Moralphilosophie (oder normative Moraltheorie) zu betreiben. Diese Auffassung wird häufig vertreten; für Moralphilosoph*innen ist sie höchst fragwürdig.

      Nicht nur die soziologische Systemtheorie Luhmann’scher Provenienz vertritt diesen Standpunkt; auch in der »evolutionären Ethik« wird so argumentiert. Man sucht dort nach den »natürlichen Invarianzen« (Neumann 1999, 18) des sozialen und moralischen Handelns der Menschen und stellt dabei das Paradigma der Evolution in den Mittelpunkt. In deren zielgerichtetem Verlauf hätten sich bestimmte Verhaltensweisen, die für die Entstehung der Menschengattung vorteilhaft gewesen sind, gleichsam genetisch festgeschrieben. Konrad Lorenz hat erforscht, wie moralähnliche Verhaltensweisen von Tieren physiologisch gesteuert werden, die dem Wohl des Rudels nützen. So verhalte es sich auch bei Menschen: Diese seien in ihrem Verhalten teilweise oder auch ganz determiniert durch den Evolutionsprozess. Eine Verhaltensdisposition, die einst nützlich zum Überleben war, nämlich Aggressivität, sei [49]sozial problematisch geworden, weshalb sie durch Moral gebändigt werde.

      Die evolutionäre Ethik ist heute in zwei Lager zerfallen, von denen das eine, in der Nachfolge von Lorenz, sich auf das Kollektiv der Art konzentriert, während das andere Lager individualistisch argumentiert.

      Die Gruppenselektionstheorie basiert auf der lange Zeit unbestrittenen Beobachtung von Lorenz über »moralanaloges Verhalten bei soziallebenden Tieren« und geht von der Existenz einer artbezogenen und deshalb arterhaltenden Gemeinnutzenstrategie aus. Erscheinungen im Sozialverhalten werden als für die Gesamtpopulation zweckmäßig und aus Sicht der rivalisierenden und kooperierenden Individuen als altruistisch interpretiert und als funktionale Bestandteile der Instinktausstattung begriffen. Damit wird die Vorstellung vertreten, es existiere so etwas wie eine stammesgeschichtliche Vorprägung »moralischen« Verhaltens, weshalb moralische Imperative keinesfalls »amoralischen« Naturtrieben schroff gegenüberstehen. (Neumann 1999, 18.)

      In neuerer Zeit ist diese Theorie, die an kollektivistische Ideologien der Vergangenheit gemahnt (»Gemeinnutz geht vor Eigennutz«), aus der Mode gekommen. Propagiert wird nun eine individualistische Theorie, deren Nähe zu neoliberalen Ideologien unverkennbar ist.

      Der evolutionäre Selektionsprozeß zeigt sich als Individualselektion und wird nicht durch ein artbezogenes Prinzip des Gemeinnutzes, sondern durch das Prinzip [50]des genetischen Eigennutzes bestimmt. Untersuchungen über Konfliktpunkte im Sozialleben tierischer Sozietäten bestätigen danach die »moralische« Indifferenz der belebten Natur. Behauptet werden natürliche Gesetzmäßigkeiten, die nicht das fördern, was wir unter moralischem Verhalten verstehen. Wollte der Mensch seine natürlichen Ziele erreichen, so müßte er in der Lage sein, aus den Gesetzmäßigkeiten der Natur herauszutreten. (Ebd.)

      Moral ist demzufolge nur eine »Illusion, die uns von unseren Genen für den Zweck der Fortpflanzung angedreht wurde« (Ruse, zit. nach Pieper 1998, 75); eine ›kollektive Illusion‹ der Freiheit, in Wahrheit ein deterministisches Programm der sozusagen ›altruistischen‹, letztlich aber egoistischen Gene. Weil wir von unserer Biologie festgelegt seien, mache die Suche nach normativen Moralprinzipien keinen Sinn.

      Wenn man der evolutionären Ethik glaubt, geht Moral aus einem Naturverhältnis hervor. Freiheit und moralisches Sollen sind dann nichts als Schein: ein Ergebnis der List der Gene und der Evolution. Ethik, so der Kampfruf der Biologen, ist damit gegenstandslos. Diese naturalistische Position setzt das Faktum der Entscheidungsfreiheit zu einer bloßen Einbildung herab. Dabei arbeitet sie mit einer Konstruktion, die alles andere als evident ist: nämlich mit einer Teleologie des evolutionären Prozesses. Der Naturalismus legt die Existenz eines Sinns nahe und definiert mit Hilfe dieser Sinnunterstellung bloße Fakten (den im Nachhinein zu beobachtenden Erfolg im evolutionären ›Kampf‹ der Arten) wie einen Endzweck, dem einzelne biologische Elemente der Verhaltenssteuerung durch ein [51]genetisches »Programm« sinnvoll zugeordnet seien. Wenn die genetischen Programmierungen aber Mittel zu einem Zweck sind, auf den sie hin geordnet sind, dann ist dieser Zweck eine Norm. Das leugnen die Vertreter der evolutionären Ethik im Grunde auch nicht. Doch damit ist klar, dass sie in einen Widerspruch verstrickt sind, denn sie sind in die Falle des naturalistischen Fehlschlusses gegangen.

      Dieser Fehlschluss besteht darin, dass aus einem Ist-Zustand ein Soll-Zustand abgeleitet wird. Das ist ein Verstoß gegen das sogenannte Hume’sche Gesetz, welches besagt, dass aus einem Sein niemals logisch ein Sollen folgt: Es ist logisch unzulässig, aus einer Tatsachenfeststellung einen moralischen Schluss zu ziehen. Ein klassisches Lehrbuchbeispiel dafür: In Afrika hungern Menschen. Also soll ihnen geholfen werden. Menschlich ist das höchst plausibel, sozial gesehen äußerst sinnvoll; aber logisch stimmig ist es nicht. Angelsachsen nennen so etwas jumping to conclusions. Denn dass jenen Menschen geholfen werden sollte, lässt sich erst dann schlussfolgern, wenn zur Beobachtung der ersten Prämisse noch eine zweite hinzugenommen wird. Etwa so:

       (1) In Afrika hungern Menschen.

       (2) Hungernden Menschen soll man helfen.

      Also soll den Hungernden in Afrika geholfen werden.

      Die zweite Prämisse ist eine moralische Setzung. Wenn sie gilt, kann man aus ihr Schlussfolgerungen ziehen. Dass sie gilt, ist aber logisch nicht selbstevident.

      Die Lehre aus Humes Hinweis auf naturalistische Fehlschlüsse: Das Moralische bleibt zu einem gewissen Teil [52]immer »unableitbar«. Moralische Schlüsse können nur dann gezogen werden, wenn moralische Prämissen im Spiel sind. Das heißt, über die logische Korrektheit hinaus: Moralisches Handeln kann aus nichts anderem abgeleitet werden als aus der Entscheidung, moralisch zu handeln. Diese Entscheidung fällt nicht vom Himmel, ebenso wie ihr Gegenteil; aber sie kann nicht aus etwas anderem abgeleitet werden, das ihr letztlich äußerlich ist.

      Wie СКАЧАТЬ