Schlangen, Guillotinen und ein elektrischer Stuhl. Dennis Dunaway
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СКАЧАТЬ Sie sind die hocheffektiven Atomkraftwerke, die jeden Rockmusiker mit Energie versorgen, für einen Stromstoß sorgen, der ihn vom Boden des Wohnzimmers zu höheren Gefilden katapultiert. „Das Mädchen da hinten – sie sah mich eben so nett an …“

      Über Nacht waren wir berühmter geworden als das beliebte Automodell Edsel von Ford.

      Doch Moment mal – wir waren doch gar keine richtige Band, oder doch? Vince und ich dachten da nicht lange nach. Klar waren wir eine richtige Band, verdammt noch mal. Auch John Speer wollte das Spielchen fortsetzen. Schönling Phil Wheeler muckte nicht in einer albernen Combo, um an Mädels zu kommen, doch fürs Erste wollte er ebenfalls bei der Fake-Truppe mitmachen, einfach so aus Spaß. Allerdings mussten wir Einiges an Überzeugungsarbeit leisten, um die beiden „echten“ Musiker Glen und John – „das coole Duo“ – zum Einstieg in eine Täuscherband zu überreden. Nach der Schule ging ich auf Glen zu und fragte, ob er mitmachen wolle.

      „Na, klar! Willst du morgen zu mir kommen? Wir können einige Platten anhören. Bring doch deine Gitarre mit, und ich zeige dir einige Akkorde.“

      Am nächsten Tag sprang ich aufs Fahrrad und folgte Glens auf einen Zettel gekritzelter Wegbeschreibung zu seinem Haus. Es lag wie auch mein Zuhause in einer Mittelschicht-Siedlung, gekennzeichnet durch einige einstöckige Beton-Blockhäuser, und war limettengrün angestrichen.

      Ich klingelte. Nach langem Warten öffnete eine Frau, zweifellos Glens Mutter. Sie war dünn, wirkte jedoch keineswegs gebrechlich. Ihre Mimik vermittelte den unmissverständlichen Eindruck, dass sie keine Albernheiten durchgehen ließ. Mit meiner besten Sonntags-Stimme fragte ich säuselnd nach Glen.

      „Komm rein“, meinte sie. „Er ist in seinem Zimmer.“ Sie deutete auf das Ende des Flurs und verschwand in der Küche. Ich hatte das Gefühl, gerade einem Bewährungshelfer aus einem B-Movie über missratene Jugendliche begegnet zu sein, und klopfte schnell an Glens Tür. Aus der Küche hörte ich Mrs. Buxtons Stimme: „Geh rein. Er ist da.“

      Langsam öffnete ich die Tür. Durch die mit Aluminiumfolie abgedeckten Fenster in dem Zimmer fielen nur stecknadelgroße Sonnenstrahlen. Ich stolperte über das Kabel einer Tischlampe. Die schwache, orange angemalte Glühbirne erleuchtete den Raum nur spärlich und sorgte für eine Begräbnis-ähnliche Atmosphäre. Mich beschlich das Gefühl, wieder in der Dunkelkammer der Schule zu stehen. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, schaute ich mich um. Was war er wohl für ein Höhlenbewohner?

      Auf dem Boden lagen verstreut Ausgaben der TV Issue, ein Gitarrenkoffer und die Überreste verschiedener Elektrogeräte. Dann entdeckte ich Glens nackte Füße, die unter der Bettdecke hervorlugten. Ich blickte von dem in das Laken gehüllten Körper zu den an der Wand angebrachten Fotos von Ozzie und Harriet aus der gleichnamigen Sitcom, die nur provisorisch befestigt worden waren. Dort hing zudem ein kleineres Foto von Eddie Haskell, dem Sidekick aus Erwachsen müsste man sein. Auf Glens Gitarrenkoffer ruhte ein geöffnetes Chet-Atkins-Songbook. Auch andere Bücher lagen herum, darunter eine Biografie von W.C. Fields und eine abgenutzte Ausgabe von Der Fänger im Roggen. Auf einigen Gegenständen klebte noch das Preisschild. Später erfuhr ich den Grund dafür, denn Glen war beim Einkaufsbummel ein böser Flitzefinger.

      „Glen“, versuchte ich ihn zu wecken. „Es ist Nachmittag. Wollen wir ein paar Platten hören?“

      „Ohhh-ahh“, hörte ich als Antwort unter der Bettdecke. „Hau ab.“

      Nach einiger Zeit der Diskussion auf höchstem intellektuellen Niveau quälte er sich aus dem Bett und latschte wie ein Zombie in die Küche. Ein Tasse schwarzen Kaffees erweckte ihn langsam zum Leben.

      Nachdem Glen den Gitarrenkoffer geöffnet hatte, erhöhte sich seine Aufmerksamkeit rapide. Mit großer Liebe legte er seine Hände auf die in burgunderfarbenem Samt ruhende Epiphone. Das Stimmen des Instruments brachte mich auf eine wichtige Frage. „Welche Note ist das?“

      Er schaute hoch, lächelte und erklärte mir, was er da gerade so anstellte. Seine Gesichtsfarbe hatte sich verändert, denn er wirkte ganz und gar nicht mehr blass. Nun schimmerte ein gesundes und wunderschönes Rot auf seinem Antlitz. Der Kerl liebte Musik. Mich überkam das Gefühl, einen zutiefst gläubigen Menschen in einem erhabenen religiösen Moment zu beobachten.

      Er fragte mich, wo ich meine Gitarre hätte. Ich erklärte ihm, dass ich mit dem Fahrrad gekommen sei, woraufhin er mit einem Achselzucken reagierte und danach einen Plattenstapel durchwühlte.

      Das war also die erste Session mit Glen. Ich kann mich nicht nur glasklar daran erinnern, weil er so ein ungewöhnlicher Mensch war, sondern auch, weil ich das Treffen als einen bedeutenden Moment in meinem Leben erkannte. Im Laufe der Jahre wiederholte sich diese kleine Szene unzählige Male.

      Glen zog mich in eine reale Welt, die bislang nur in meiner Phantasie existiert hatte. Das war Glen – scheinbar verloren in einem Traumland aus zerbrochenem Kitsch, doch wiedererweckt durch das Musikmachen. Wenn er mit den Fingern Noten hervorzauberte, betrat er eine Übergangszone, in der sich sein Weltklasse-Talent zeigte.

      Er warf mir einen verschwörerischen Blick zu. „Wenn Gerry fragt“, begann er, damit seine Mutter Geraldine meinend, „erzählst du ihr einfach, wir würden Hausaufgaben machen.“

      „Euer Wohnzimmer sieht nett aus“, lenkte ich ab.

      Er sah mich an: „Man darf aber nicht direkt auf den Möbeln sitzen. Die Plastikabdeckungen sind dazu gedacht, dass sie niemand mit dreckigen Händen berührt. Gerry kauft alles in bar. Es soll für immer und ewig halten, und somit darf niemand das Mobiliar benutzen. Meine Eltern haben die meisten Anschaffungen noch in Akron gemacht, aber sie sehen noch nigelnagelneu aus. Fliegen müssen auf der Hut sein, bevor sie sich dorthin setzen. Weißt du, was ich meine?“

      Ich wusste, was er meinte, hatte jedoch noch nie jemanden so reden gehört.

      Dann ging es zur Sache. Er zeigte mir die Grundlagen, die jeder Anfänger draufhaben muss: Die Namen der Noten, wo man die einzelnen Töne auf dem Griffbrett fand, wie sich ein Akkord zusammensetzte und welche Wirkung er erzielte. Glen beruhigte mich und versicherte mir, alles so oft zu wiederholen, bis ich es kapiere. Ich war inmitten von Gitarristen aufgewachsen, doch das hier stellte eine neue Erfahrung dar. Der Typ wusste, wie man rockte.

      Bislang war Glen immer der Junge in der Klasse gewesen, der so wenig wie möglich machte, abgesehen von einigen Witzeleien, die er leise aus der letzten Reihe von sich gab. Doch nun hatten Vince und ich ihn entdeckt, womit er zum inneren Kreis gehörte. Glen stieg zum Hauptfotografen des Tip Sheet auf, woraufhin wir uns alle in die Dunkelkammer verdrückten und vorgaben, wir würden an einem wichtigen Foto arbeiten.

      Er nahm auch am Sportunterricht teil. Seine durchgedrückten Beine ähnelten zwei Albino-Schlangen. Nach dem Kurs verhüllte er sie wieder mit der zerrissenen Jeans. Auch die Arme blitzen schneeweiß, was in Arizona so gut wie nie vorkam. Er versteckte sie immer in langärmeligen Hemden.

      Beim nächsten Besuch brachte ich meine Duane-Eddy-Platte mit. Glen hörte in kürzester Zeit die Noten heraus und spielte zum Song. Dann reichte er mir die Gitarre. Ich sah, dass er ein wenig ängstlich war und befürchtete, ich würde eine Macke in den perfekten Lack hauen.

      „Entspann dich“, meinte er, auf einen Bund deutend. „Das ist ein G.“ Er half mir bei der richtigen Handhaltung der Linken und erklärte mir, wie ich mit der Rechten das Plektrum halten musste. Ich fand die Bespielbarkeit der E-Gitarre deutlich einfacher als das Spiel auf der Cowboy-Klampfe von Dad, was nicht zuletzt am geringeren Abstand der Saiten zum Griffbrett lag. Innerhalb weniger Minuten hatte Glen mir das zentrale Riff von „Rebel Rouser“ beigebracht.

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