Schlangen, Guillotinen und ein elektrischer Stuhl. Dennis Dunaway
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СКАЧАТЬ wusste ich nicht, was ein Bass war. Auf jeden Fall konnte ich kein solches Instrument auf meinem schäbigen kleinen Plattenspieler heraushören. Ein Bass schien nicht sonderlich herauszuragen. Wenn ich nun Bass spielen musste, würde ich das Instrument aber an die vorderste Stelle bringen!

      Unsere Pläne wurden von der Dringlichkeit bestimmt. Doch zuerst musste ich mir einen Bass und einen Verstärker anschaffen, was aus finanzieller Sicht einer Mammut-Aufgabe glich. Die Rettung kam nicht vom Himmel herab, sondern aus einer unerwarteten, verdammt coolen Richtung. Eines Tages reichte mir Mum einen Brief und meinte: „Hier. Lies das. Es ist von deinem Großvater.“

      Auf dem Papier standen folgende Sätze in perfekter Sprache und Schrift: „Du kannst gerne bei mir und deiner Großmutter wohnen. Wir werden dich durchfüttern und grüne Bohnen anbauen. Und wenn du ein guter Arbeiter bist, gehst du mit genügend Geld nach Hause, um dir diese Bass-Gitarre zu kaufen.“

      Zwischen dem üppig grünen Farmland Oregons und der sonnengebleichten Wüste Arizonas lagen Welten. Ich kannte Oregon, da ich neben der Farm meines Großvaters ausgewachsen war. Als Kids rannten mein Bruder Dean und ich mit Spielzeug-Revolvern durch seine Felder, vorgebend, wir wären plündernde und um sich schießende Cowboys. Und so fuhr ich jetzt für einen dreimonatigen Aufenthalt dorthin.

      Man könnte leicht der Ansicht verfallen, dass ein sommerlicher Farm­aufenthalt für jeden angehenden Rock’n’Roller wie eine Zwangseinweisung in der Hölle wirkt. Doch es war ein großartiger Sommer. Ich lernte das Traktorfahren, das Pflügen einer geraden Furche und das Hochbinden junger Triebe. Nach drei Monaten, verbracht mit dem Wuchten von Säcken mit grünen Bohnen, hatte mein Muskelumfang deutlich zugenommen. Mein dunkler, von der Sonne Arizonas gebräunter Teint, die langen Haare und die Jeansjacke mit einem aufgestickten Indianer veranlassten die anderen Arbeiter zum Irrglauben, ich sei tatsächlich ein Indianer. Ich blieb ruhig und dachte viel darüber nach, wie sich die Band entwickeln könnte.

      Eines Morgens lief ich die lange, schmutzige Zufahrt zum Briefkasten an der River Road hoch. Dort fand ich einen Brief von Vince. Hastig riss ich ihn auf. Er hatte sich beim Sommerschlussverkauf ein Shark­skin-Jackett zugelegt. Momentan trainierte er täglich und legte dabei drei Meilen zurück. Er schrieb, dass er nach meiner Rückkehr gerne „Mr. Moonlight“ ausprobieren würde.

      Zurück in Phoenix ging es nach nur einem Tag wieder in die Vollen. Glen begleitete mich zum Montgomery-Ward-Kaufhaus, wo wir uns die Airline-Model-Bässe ansahen. Wir standen auf dem Gang, spähten zu den Instrumenten hoch und schlugen abwechselnd die Saiten an. Mit treffsicherem Blick schaute Glen den Hals eines Basses hinunter, um die Verarbeitung und Gleichmäßigkeit zu prüfen. Zufrieden reichte er ihn mir und resümierte: „Hier ist er, Mr. Bassman.“

      Mich beschlich das Gefühl, er hätte mir das Zepter gereicht, mit dem ich zum König der Welt aufsteigen würde. Schleunigst drängten wir zur Kasse, an der ich den Sommerverdienst ablieferte.

      Nun fehlte noch ein Verstärker. Die göttliche Vorsehung erschien mir dann in Form meiner Kusine Glynnell, die einen gewissen Tyke geheiratet hatte, der in einer Country-Band aus Oregon Steel-Gitarre spielte. Tyke vermachte mir seinen alten Fender-Verstärker. Er war mit dem braunen Material bezogen worden, das man als „Tweed“ kannte, und schien geradezu nach erdiger und urwüchsiger Musik zu riechen.

      Nun war ich ganz offiziell bereit zum Rocken!

      John Speer meldete sich auf eine Anzeige in der Phoenix Gazette hin und fand auf diesem Weg ein bescheidenes, aber ordentliches Drum-Set. Vince beschaffte sich ein Tamburin, Maracas und eine Mundharmonika. Obwohl man ihn nie beim Üben „erwischte“, schien er ein gutes Rhythmusgefühl zu haben. Auch entlockte er der Mundharmonika einen intensiven, klagenden Ton.

      Natürlich hätte ihn niemand gefragt, ob er einen Gitarrenkoffer oder sogar ein komplettes Schlagzeug in die Höhe wuchtet. Diese Art von Frondienst schien seine Möglichkeiten witzigerweise zu übersteigen. Darüber hinaus hatte er allein schon seine Schwierigkeiten dabei, auf den Inhalt des kleinen Instrumenten-Köfferchens zu achten. Aufgrund dieser „Unfähigkeit“ hinterließ Vince auf seinem Lebensweg eine Spur verschiedenster Gegenstände, sich darauf verlassend, dass sich andere einen krummen Rücken machten, zurückrannten und das Zeug wiederbeschafften. So lebte er nun mal. Vince war mit einer Mutter aufgewachsen, die ihn ständig als kleinen Prinzen verehrte. Diese Angewohnheit lässt sich möglicherweise auf die Kindheit zurückführen, in der man ihn nach zahlreichen Operationen überfürsorglich behandelt hatte. Deshalb wandelte er durch das Leben und verließ sich darauf, dass gewissermaßen alles, was er auf den Boden warf, wieder den Weg in seine Hände fände.

      Vince hatte eine dünne nasale Stimme, doch er traf die Noten und behielt die Texte. Sein wohl größter Vorzug lag in der wundervollen geselligen Persönlichkeit, die ihn zum geborenen Frontmann machte. Er war einfach ein sympathischer Typ. Hatte er Charisma? Tja, wenn man mal über den spindeldürren Körper und den riesigen Zinken hinwegsah, erkannte man sein brennendes Verlangen, in jedem sozialen Umfeld zu unterhalten. Und das war so tief verwurzelt und verlief so gleichmäßig wie der Colorado River.

      Wenn Vince mit einer seiner fantastischen Geschichten begann, wechselten Glen und ich nur einen flüchtigen Blick und wussten: „Hol die Schaufel raus, er erzählt wieder einen Mist, den man schnell untergraben muss.“ Vince spulte seine Storys ab, die mich jedoch niemals langweilten, die ich ständig hören wollte – sogar bei Wiederholungen. Er hatte durchaus Recht, denn sie verwandelten das normale und routinierte Alltagsleben. Auch interessierten uns die neuen Schlenker, die er in die alten Kamellen einbaute.

      Doch auch Gespräche mit Glen hatten einen hohen Unterhaltungswert, obwohl er eher einem griesgrämigen W.C.-Fields-Charakter glich. Er empfand das Leben als so absurd, dass er nicht anders konnte, als ständige Kommentare abzulassen. Wir gewöhnten uns schnell an den Redefluss des ätzenden Spottes.

      Die Earwigs verfügten über keinen eigenen Proberaum, und so benutzten wir abwechselnd die Häuser unserer Eltern. Glens Zuhause stand schnell an erster Stelle, da man sich hier über die Privatsphäre einer abgetrennten Garage freuen durfte. Allerdings gleicht eine Garage in Phoenix eher einem Heizofen, und man könnte dort seitliche Schilder anbringen: BÄCKEREI, GRILL, BARBECUE.

      Glens Vater arbeitete gemeinsam mit Vince’ Daddy in einer Fabrik namens AiResearch, wo Turbolader und Ausrüstung für den Raketenbau gefertigt wurden. Mr. Buxton hegte natürlich die Hoffnung, dass Glen – bedenkt man sein Interesse an technischen Spielereien – auch eines Tages dort arbeiten würde. Die Firma schien eine deutlich hoffnungsvollere Zukunft zu bieten als eine Karriere mit den Earwigs. Doch alles, was einem Wecker oder einer Stechuhr glich, löste bei Glen eine Phobie aus, die mit Begleitsymptomen wie ausgeprägtem Ekel einhergingen. Was die Stunden des Tageslichts anbelangte, war Glen immer auf der Hut.

      Wie viele jüngere Geschwister stand er im Schatten eines älteren Bruders, der schon einiges erreicht hatte. Glen beschlich das Gefühl, ständig mit Ken verglichen zu werden, einem schlauen Köpfchen – und zugleich ein in praktischen Belangen höchst geschickter Mann.

      Während einer unserer verschwitzten Brutkasten-Proben öffnete sich die Garagentür, und Glens Familie kündigte einen Wochenendurlaub an.

      Mrs. Buxton starrte Glen mit einem stahlharten Blick an: „Wir vertrauen dir, dass du auf das Haus Acht gibst“, forderte sie mit einem bedrohlichen Unterton. Wie schon erwähnt, sah es in Glens Haus sauber, aufgeräumt und höchst ordentlich aus. Wenn wir auch nur einen Hauch von Fehlverhalten hätten an den Tag legen wollen, so stoppte uns Mrs. Buxtons unheilvoller Gesichtsausdruck von einer auf die andere Sekunde. Man nannte ihn den „bösen Blick“.

      Glen machte eine lapidare Handbewegung und antwortete: „Du musst dir überhaupt keine Sorgen machen.“

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