Der Fremde: Ein Gleichniss. Hans von Kahlenberg
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Название: Der Fremde: Ein Gleichniss

Автор: Hans von Kahlenberg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066116903

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      „Guten Abend!“ sagte der kleine Richard.

      Fritz Kuhlemann brummte widerwillig seinen Gruss.

      Der Fremde war an ihrer Seite geblieben. Er ging denselben Schritt wie sie. Nur war es dem Kleinen, als ob der Wind ihn jetzt nicht so träfe. Er empfand das angenehm.

      „Es ist spät,“ sagte der Fremde. „Und es ist kalt hier aussen.“

      „Das ist nun nicht gerade etwas Neues, was Du uns sagst,“ höhnte Fritz Kuhlemann. „Wenn Du eine Pulle in Deiner Tasche hast und etwas Warmes drin, thätest Du uns einen grösseren Gefallen, wenn Du uns theilen liessest.“

      „Ich habe keinen Wein und keinen Branntwein,“ sagte der Fremde. „Ich komme von weit. Und es ist spät.“

      „Sehr spät, um den Christbaum zu schmücken und den Aufbau fertig zu stellen. Aber vielleicht [pg 13]sind Sie hier herum Hausbesitzer oder haben eine Villa gemiethet und die liebe Familie erwartet Sie?“

      „Ich habe kein Haus.“

      „Dann würde ich Dir rathen, Freund, dass Du Dir Geld in die Tasche thust. Denn umsonst giebt’s hier nichts auf dieser faulen Welt. Und zumal in Berlin, wohin wir unsre Schritte jetzt lenken. Mein Freund Matzke kann sehr eklig werden gegen flaue Kunden. Also, Freundchen, wenn Deine Tasche wohlgefüllt ist, öffne sie und spendire Deinen guten Freunden, die im Dalles sind, in der That nicht wissen, wo sie ihr Haupt niederlegen sollen.“

      „Ich habe kein Geld Dir zu geben,“ sagte der Fremde. Er sagte es traurig, mit seiner sanften, klingenden Stimme, die von sehr weit herzukommen schien.

      Der Rothe lachte: „Du bist ein famoser Bruder, das muss ich sagen! Schleichst hier auf nächtlichen Wegen und schlängelst Dich an andre Leute ran. Denkst Du, wir können einen Zaungast brauchen? Lass doch mal sehen, wie Du aussiehst bei dieser noblen Beleuchtung!“

      Die kleine Laterne eines Zimmerhofs warf einen [pg 14]zweifelhaften Schein. Der rohe Bursche drehte den Fremden um. Er stiess ihm die Schulter gegen den Lichtfleck.

      Er sah ein blasses Gesicht. Ein bescheidner Bart umrahmte den unteren Theil. Es war das Gesicht eines Mannes von etwa zweiunddreissig Jahren. Der Fremde hatte seltsame Augen und sah ihn ernsthaft und traurig an.

      „Lass doch den Mann!“ sagte der kleine Richard müde.

      Selbst der Rothe war betroffen. „Teufel auch!“ knurrte er in den Bart. „Wo hab’ ich das Gesicht schon gesehen? Du bist ein seltsamer Heiliger, Du!... So eine Sorte Wanderprediger wohl? Ich habe mal Einen gekannt. Er war mit uns in der Herberge. Des Abends las er seine Bibel. Er that das alle Abend. Er sah dabei aus wie Du. Er sagte nichts.“

      Der Fremde sagte auch nichts.

      ... „Er hat mir den Fuss kurirt und eingewickelt. Ich wusste, wo er sein Geld hatte. Ich hab’s ihm gelassen.“

      Das Gesicht des Fremden schien berauschend auf ihn zu wirken. Er verwirrte sich in wilden Erinnerungen.... „Ein Mädchen ... Ich drängte [pg 15]sie gegen das Thor. Was hatte die dumme Liese sich anzustellen? Sie war doch genau wie die Andern. Hexe! – Weibervolk, die sind Alle nichts wert.

      „... In ihrer Karosse sah ich sie mal. Eine vornehme Dame. O sehr vornehm! Vornehmer wie eine Prinzessin. Sie sass in ihrer Karosse und wartete. Ich wollte sie ermorden. Weil ich hungrig war und kein Bett hatte. Sie war reich und sass im Wagen. Sie sah mich an. – Ich fasste an den Hut und schlich mich fort. ... Nachher brachte mir der Diener ein Goldstück. Das warf ich ihm nach in den Dreck gegen seine unverschämten Kalbswaden.

      „... Weisst Du, wo ich herkomme? In der Gosse haben sie mich gefunden neben einer todten Katze und einem Kohlstrunk. Meine Eltern wollten nichts wissen von der Rabenbrut. Dann haben sie mich so rumgestossen. Die hohe Polizei! Das ist eine zarte Nährmutter. Glaube mir, Bruder, es ist eine lustige Welt! Man muss sie nur lustig zu nehmen wissen.“

      Er lachte roh auf. Der kleine Richard zitterte vor Kälte. Er fühlte glühende Zangen in seinen Eingeweiden. Seine Zähne schlugen aufeinander.

      [pg 16]

      „Nimm diesen Mantel,“ sagte der Fremde freundlich.

      Es war ein alter, fadenscheiniger Ueberzieher, wie ihn arme Leute tragen, auch zu dünn für den Winter. Der Junge wickelte sich mechanisch gehorchend hinein. Er fühlte die Hand des Fremden, die glättete, um ihn streichelte. Eine Art magnetischer Beruhigung ging von ihr aus. Es erinnerte ihn an die Berührung seiner Mutter. „Aber Du?“ fragte er wie betäubt.

      „Ich friere nicht,“ sagte der Fremde.

      „Dann musst Du von seltsamem Stoff gemacht sein,“ bemerkte Kuhlemann. „Dies verfluchte Wetter macht Einem die Blutstropfen im Leibe gefrieren.“

      In der That war es jetzt ganz empfindlich kalt. Der Wind pfiff mit scharfem Eishauch. Unter seinem Mantel glühte der Junge. Er wusste nicht mehr, wo er war. Er phantasirte.

      Er war bei sich zu Hause. In der kleinen Küche war es stickend warm. Solch’ eine fröhliche Wärme! Der ganze Heerd glühte, rothglühend mit hüpfenden, spritzenden Lichtern, obgleich es dunkel war, um Petroleum zu sparen. Aus dem Suppentopf stiegen weisse, nahrhafte Wolken. Ein Duft von Aepfeln kam aus der Röhre; man hörte ihre [pg 17]feinen, braunen Häute britzelnd zerspringen.... Er war da. Er war ein Knabe, er hielt die kleine Schwester auf den Knieen. Er fühlte deutlich den warmen, pulsenden Körper. Das Kind hatte die Aermchen um seinen Hals gelegt. Sie warteten auf die Mutter. Er erzählte ihr von Weihnachten.

      Von einem alten Mann mit weissem Bart erzählte er ihr. Er trug einen grossen Sack mit Aepfeln und Nüssen über der Schulter. Er hatte ein rothes, freundliches Gesicht, und eine Birkenruthe hielt er in der Hand. Wenn man seine Sprüche nicht wusste, gab es Schläge. Sie waren gute Kinder, sie konnten ihre Sprüche. Das kleine Mädchen hatte die Hände gefaltet und wiederholte sie mit halblauter Stimme. Die ganze Geschichte, die freundliche Lehrerin in der Kleinkinderschule hatte sie ihr vorgesprochen. Der grosse Bruder, der schon klug war und lesen konnte, half ein:

      „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzet würde.

      „Und diese Schatzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war.

      [pg 18]

      „Und Jedermann ging, dass er sich schätzen liesse, ein Jeglicher in seine Stadt.

      „Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heisst Bethlehem, darum, dass er vom Hause und Geschlechte Davids war.

      „Auf dass er sich schätzen liesse mit Maria, seinem vertrauten Weib, die war schwanger.

      „Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“

      „... Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“ ... wiederholte der kleine Handwerksbursche mit glühenden Lippen auf der eisigen Landstrasse.

      Dann fing er auf einmal mit leiser Stimme an zu singen: „O du fröhliche! O du selige! Gnadenbringende Weihnachtszeit!“

      „Nanu?“ СКАЧАТЬ