Der Fremde: Ein Gleichniss. Hans von Kahlenberg
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Название: Der Fremde: Ein Gleichniss

Автор: Hans von Kahlenberg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066116903

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СКАЧАТЬ der Arbeit und des Verdienstes, um da ihr Glück zu versuchen.

      Der Jüngere war ängstlich; dennoch voll guter Hoffnungen. Er begriff es nicht, dass ein Mensch, der arbeitsam und mässig war, arbeiten wollte, keine Arbeit finden sollte. Er glaubte an ein vorübergehendes Missgeschick. Berlin sollte ihm Glück bringen, obwohl es ihm Furcht einflösste.

      Er war ein Junge, der zu Hause aus ganz kleinen, aber geordneten Verhältnissen kam. Sein Vater war beim Torfstechen ertrunken. Er hatte für die Mutter und drei kleine Geschwister mitsorgen müssen; alles das hielt sich über Wasser, lebte sehr respektabel. Er war ein Kind geblieben, mit runden, erstaunten Augen, die vergebens den Nebel zu durchforschen schienen, etwas ängstlich vor dem Gefährten an seiner Seite, aber doch gefügig gegenüber dessen grösserer Welterfahrung, beeindruckt vom Cynismus seiner Reden und Handlungen.

      Der war ein ziemlich wüster Gesell, der durch die halbe Welt gerollt war. Man wusste nicht, woher er kam, und er sprach nicht davon. Seine Papiere wiesen allerlei Bestrafungen auf, für Diebstähle, Widersetzlichkeiten. Das hatte ihn nicht [pg 6]gebrochen. Es lag Hohn und Trotz gegen die Gesellschaft in seiner Art, das Bewusstsein eines Ichs, der Kraft, in diesem Menschen, der mit klaffenden Schuhen über die Landstrasse stapfte, Hass gegen die Kälte, der er den Alkohol entgegensetzte, den brennenden Rausch, der besser hitzt wie Feuer.

      Ein gewisser Galgenhumor kam über ihn, während sein Gefährte ängstlich in seine blaugefrornen Finger pustete, die besten Stellen im Matsch aussuchte, um seine Füsse zu schonen, vor allem die Schuhe, die trotzdem schon barsten, Wasser einliessen, das sickerte, quietschte zwischen den Sohlen.

      Der Kumpan sah es mit gutmüthigem Spott: „Gieb’s nur auf, kleiner Richard! Das nützt Dir nichts. Das frisst sich durch Pelz und Wolle, um so mehr durch Lumpen und Löcher. Dagegen giebt’s nur eins!“

      Er bot dem Andern die Flasche, die der ängstlich zurückwies. So leerte er sie selbst auf einen Zug.

      „Das giebt wenigstens Muck! Das ist die einzige vernünftige Erfindung in diesem elenden Hundedasein. Sie sagen, der Teufel hat sie ge[pg 7]macht. Mich dünkt, der Teufel, das ist der einzige wahre Heilige in der ganzen Muschpoke. Er ist mein Schutzpatron. Es lebe der heilige Satanas!“

      Der Kleine sah sich scheu um, ob Jemand die Lästrung hörte. Er war fromm erzogen, gewohnt in die Kirche zu gehen des Sonntags. Die Mutter sass da und die andern alten Weiber in schwarzen, gehäkelten Kopftüchern mit dem goldbedruckten Gesangbuch. – Es war hart, dass man keine Arbeit fand. Aber er vertraute auf Gott. Und Berlin war nah, wo Tausende arbeiteten und assen. Sehr müde war er und weit konnte es nicht mehr sein.

      Es war, als ob Fritz Kuhlemann seine Gedanken errieth: „Ja, das ist fein, nach Hause zu kommen, wenn Einem die Olle schon in der Thür entgegenläuft! Der Junge hängt sich uns an den Rock. Auf dem Tisch dampft ein guter Happenpappen. Die Stube ist schon abgeschlossen, weil da der Christbaum steht. – So gut wird’s uns nicht bei meinem Freund Matzke. Eine fidele Bude, und Mädels auch die schwere Menge! Ich möchte wissen, ob die rothe Lene noch da ist?“ ... Er vertiefte sich in diese Erinnerungen, Saufgelage, [pg 8]Prügeleien, Dirnen,... während der Andre neben ihm hertrottete. Er war sehr müde. Er hätte am liebsten geweint, aber er schämte sich.

      „Du bist auch noch so ein Grüner. Dich werden sie schon erst hochnehmen! Wenn Du denkst, mit Gottvertrauen und Dummheit kommt man durch die Welt! Das ist gut für die, die mit einem silbernen Löffel im Munde geboren sind. Unsereiner, wenn der nicht eine Nase zehnmal so fein hat und Krallen zehnmal so lang, – dann kannst Du Dich man gleich am nächsten Laternenpfosten aufhängen lassen. Da drinne, da verstehen sie’s! Ist schon Mancher wie die reine Unschuld vom Lande eingewandert. Und wie er wieder rausgekommen ist! Per Schub mit zwei Gensdarmen neben sich. Auf Sonnenburg zu, oder Plötzensee. Ich kannte Einen, den haben sie gehetzt wie das liebe Vieh. In den Weiden und Binsen unten bei Tegel. Jede Nacht die Jagd und den ganzen Tag lang. Ob das noch ein Mensch ist! – Todtgeschlagen hatte er Einen. Todtschlagen – das ist auch dumm. Alles todtschlagen, kurz und klein! Dann wär’s noch was.“

      Nun ermannte sich der Andre. „Es giebt doch aber auch noch gute Menschen auf der Welt.“

      [pg 9]

      „Hast Du je Einen gesehn, dem’s auch gut gegangen ist dabei? Die Schlechten, die kommen auf, die sind hoch. Verfluchte Schweinerei!“

      „Man kann’s. Wenn man ehrlich ist und arbeitet.“

      „Versuch’s doch! Geh hin! Biete Deine Arbeit an. Lauf rum! Verkauf Dich für vier Groschen den Tag. Sieh doch, ob Dich Einer nimmt! En Vieh und en Esel. – Aber ein Stück Mensch! Und dann fallen Einem die Lumpen immer mehr vom Leib. Der Schutzmann hält die Augen drauf. Und wenn Du mal auf einer Bank, unter der Brücke einschläfst, hat er Dich am Kragen. Dann geht’s auf die Wache. Na, und wenn die erst ihren Stempel draufgesetzt haben! Die grosse Klappe – oder der Strick vorher und das stille Wasser!“

      Der Andre war dem Weinen sehr nahe. Es war die grosse Müdigkeit und die Aufregung vor dieser Stadt, die sich näherte, wie das Verhängniss, unsichtbar, in dem Nebel, der immer dicker wurde. Ein Wagen, der vorüberfuhr, eine Equipage oder geschlossene Droschke, bespritzte sie von oben bis unten.

      Kuhlemann sprang mit einem Fluch zur Seite: [pg 10]„Verdammte Protzenbande! Ich gönnt’s Euch! Ich gönnt’s Euch! Frisst sich satt von unserm Mark und Knochen. Sauft sich voll von unserm Blut, bis sie besoffen sind und speien!“

      Sie waren jetzt in der Gegend der Fabriken. Von beiden Seiten reihten sich dunkle, niedrige Schuppen um gemauerte Schlote, mit Latten eingezingelte Höfe. Man sah die schwarzen Eisenconstructionen zum Heben, die achatne Spiegelung der Fensterscheiben, ungeheure, stumpfe Massen aufgeschichteten Materials, die warteten, sich zersetzten. Aber Alles lag ganz still wegen des Festes, Alles war sehr schwarz. Der Kohlengeruch wurde bemerkbarer. Auf ihren Schienensträngen eilten die Züge der Vororte mit roten und grünen Lichtern, wie grosse Schlangen mit Augen, in die schweigende Ebene ausgeschickt.

      Der kleine Richard war vollkommen kaput. „Ach mein Gott!“ schluchzte er auf. „Mein Gott!“

      „An den glaubst Du auch noch?“ Die Nachwirkung des Schnapses begann sich bei Fritz Kuhlemann zu äussern. Er sah roth jetzt und schrie mit erhobner Stimme: „Die olle Finte, die uns die Pfaffen aufgebunden haben, damit wir kuschen und nicht Muck sagen! Ich sage Dir, [pg 11]wenn’s den giebt da oben, dann kann er sich begraben lassen für das, was er gemacht hat. Ich lach’ ihm in’s Gesicht. Ich schlag’ ihm die Faust in’s Gesicht für sein feines Zauberkunststück hier!“

      Die Lästrung verhallte in der Dunkelheit, die sich nicht rührte. Ein Wind schien sich erhoben zu haben, strich mit schriller Klage über die Telegraphendrähte, durch die Löcher der Jacke, in der der Kleine sich zusammendrückte. Alles blieb so, die schwarzen Fabrikgebäude, die Dunkelheit, die Kälte.... Und in der Ferne das Verhängniss, das anzog, sich näherte, etwas Schwarzes, Compactes, mit Augen ... Berlin, die Grossstadt.

      „Guten Abend!“ sagte eine Stimme neben ihnen.

      Jemand musste an ihrer Seite heraufgekommen sein. Er war wohl von rückwärts nahe gekommen. Sie hatten ihn nicht gehört, weil der weiche Schmutz alle Schritte erstickte. Und es war finster.

      Sie sahen, dass es ein Mann war. Er mochte in ihrer eigenen Grösse sein, nicht über Mittelgrösse. Er trug die Tracht eines Arbeiters, nicht gut und nicht schlecht, die eines Mannes, der Arbeit gethan hat und weit gewandert ist.

      [pg 12]

      „Guten Abend!“ sagte der Fremde noch einmal.

      Er СКАЧАТЬ