Der Countertenor Jochen Kowalski. Jochen Kowalski
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СКАЧАТЬ Kinder doch gar nicht. Ich jedenfalls nicht.

      Als Sie in die Pubertät kamen, als Vierzehnjähriger im Jahr 1968, ereigneten sich gesellschaftlich und politisch einige markante Entwicklungen: Im Westen beherrschte die Studentenbewegung die Schlagzeilen, im Osten bildete die Niederschlagung des Prager Frühlings einen Einschnitt. Wie viel haben Sie von dem einen oder dem anderen Ereignis mitbekommen?

      Die Studentenrevolte hat mich damals nicht die Bohne interessiert. An den Prager Frühling kann ich mich allerdings erinnern. Wir hörten beim Frühstück immer den RIAS, und ich entsinne mich, dass damals, als die Nachricht vom Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts kam, eine extrem bedrückte Stimmung herrschte. Allerdings haben meine Eltern in Gegenwart der Kinder nicht darüber gesprochen, wir wurden dann rausgeschickt in unsere Zimmer. Und manchmal, wenn wir ins Wohnzimmer kamen, verstummten auch ihre Gespräche.

      Gab es in Ihrer Jugend eine Zeit, die man als Phase der Politisierung bezeichnen könnte? Mit siebzehn Jahren sind Sie ja in die damalige Blockpartei CDU eingetreten. Warum?

      Weil man mich in der erweiterten Goethe-Oberschule für eine Mitgliedschaft in der SED und die Offizierslaufbahn werben wollte. Ich, ein Offizier! Das ist allein schon ein ziemlicher Witz! Da dachte ich: Na wartet, jetzt bin ich mal eine Spur schneller als ihr! Die CDU-Tante aus Wachow wohnte genau bei uns gegenüber, ich bin zu ihr gegangen und habe sie einfach gefragt: »Kann ich nicht in der CDU mitmachen?« Und von dem Tag an hatte ich meine Ruhe. Es war also eine Schutzmaßnahme und kein Akt der Überzeugung. Die Ost-CDU hat sich bei mir danach erst wieder gemeldet, als sich meine ersten Erfolge einstellten: Da kam dann plötzlich ein Glückwünsch-Telegramm vom Vorsitzenden der Partei, Gerald Götting, voller Stolz auf dieses Mitglied: »Lieber Unions-Freund Kowalski …«

      Wann haben Sie sich aus der Partei wieder verabschiedet?

      Nach der Wende, als wir vereinigt wurden. Das wollte ich nun nicht mehr.

      In der DDR galt die allgemeine Wehrpflicht. Wie ist es Ihnen diesbezüglich ergangen?

      Das hat meine Mutter in ihre Hand genommen, sie war klasse in dieser Hinsicht. Mit vierzehn hatte ich nämlich eine Hirnhautentzündung, und sie zeigte sich ganz sicher: »Da machen wir was draus.« Sie ist deshalb mit mir von Arzt zu Arzt gezogen und hat es irgendwie geschafft, dass ich ausgemustert wurde. Ich sehe mich noch in Nauen bei der Nationalen Volksarmee sitzen, ein Offizier erscheint und erklärt: »Es tut uns wirklich sehr leid, dass wir Sie nicht aufnehmen können. Das ist zu gefährlich.« Und ich Trottel hab ihm geantwortet: »Ach, kann ich nicht wenigstens für sechs Wochen kommen?« Meine Mutter behauptete daraufhin: »Irgendwie ist bei dir tatsächlich etwas zurückgeblieben, du hast eine ziemliche Macke.«

      Aber dadurch waren Sie mit achtzehn Jahren frei und konnten gleich Ihr Erwachsenenleben beginnen …

      Ja, ich war frei und hatte sogar schon einen Studienplatz, es war alles geregelt und organisiert in der DDR. Ich wurde nach Leipzig geschickt, wo ich Binnenhandel studieren sollte, das war mir zugeteilt worden, obwohl ich es überhaupt nicht wollte. Und da ich ein großer Liebhaber der Deutschen Staatsoper Berlin war, habe ich mich lieber der staatlichen Vorsehung entzogen und fing im August 1972 dort als Requisiteur an.

      Intermezzo 1

      »Entweder singen oder saufen«

      Der Sängerberuf: ein Traum und seine Tücken

      Lieber Herr Kowalski, zwischen die einzelnen Kapitel Ihrer Lebensgeschichte möchte ich gerne Intermezzi einschieben, die um bestimmte zeitlose Aspekte Ihres Berufs und Werdegangs kreisen. Als erstes würde ich mit Ihnen gerne ein Gedankenspiel unternehmen. Sie haben gerade erzählt, dass Sie als Teenager keine Ahnung davon hatten, wie Sie Ihren Traum, einmal Sänger zu werden, verwirklichen könnten – weshalb Sie zunächst ja auch versucht hatten, sich bei der Komischen Oper für eine Ausbildung anzumelden. Stellen Sie sich also einmal vor, Sie wären ein Berufsberater für angehende Sänger oder für solche naiven Träumer, wie der junge Jochen einer war. Und versuchen Sie dann aus dieser Perspektive, ein paar Fragen zu beantworten.

      Die erste lautet, aus gegebenem Anlass: Woran erkennt man eigentlich, welche Stimmlage man hat?

      Ich erkenne das meistens schon, wenn jemand zur Tür hereinkommt: an seinem Körperbau, an der Art, wie er geht, an seiner Größe und Statur – das gibt erste Orientierungswerte. Natürlich muss ich einräumen, dass man sich dabei auch täuschen kann … Jeder einzelne kann es für sich selbst dadurch ermitteln, in welcher Stimmlage er sich am wohlsten fühlt. Wenn jetzt eine junge Frau oder ein junger Mann mit dieser Frage zu mir käme, dann würde ich mit ihnen ans Klavier gehen und mir was vorsingen lassen. Und dann würde ich merken, in welcher Lage was passiert – ob die Stimme zur Tiefe hin tendiert oder zur strahlenden Höhe. Sicher, man kann beide Richtungen etwas ausbauen, aber es gibt schon natürliche Grenzen. Und das gilt auch für Countertenöre.

      Was nun mein Stimmfach angeht, so muss ich zugeben, dass es oft Zufälle sind, die am Beginn der Karriere stehen: Ich selbst hatte anfangs nur aus Spaß in der hohen Lage gesungen und ahnte gar nicht, dass man daraus einen Beruf machen könnte. Inzwischen aber sind doch viele meinem Beispiel gefolgt. Neulich sprach ein junger Mann aus Georgien, aus Tiflis, bei mir vor, der mit seiner Musikgruppe zwei Tage in Berlin war und mir am Rande einer Probe die Arie LASCIA CH’IO PIANGA vorsang: auf ein Zuspielband mit einem schrecklich kitschig gespielten Orchesterpart. Aber es ging ja um die Stimme, und da war ich wirklich platt, wie schön das klang. Ich habe ihm gesagt, dass er dringend versuchen sollte, diese Stimme an einer Fachakademie wie der Schola Cantorum Basiliensis ausbilden zu lassen. Denn noch war es die reine Natur, die ich zu hören bekam, ein Rohdiamant, und der muss nun geschliffen werden.

      Wie kann man feststellen, ob man für den Sängerberuf wirklich begabt ist?

      Oh, das wird man erst im Beruf feststellen. Man muss die Ausbildung wagen und braucht dabei einen langen Atem. Mit der Einstellung »Ich will jetzt Karriere machen« läuft jedenfalls gar nichts. Auch darf man sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen, die sind unausbleiblich. Und natürlich braucht man eine gute Portion Glück: Man muss die richtigen Leute zur richtigen Zeit treffen, ob Lehrer oder Agenten oder Leute vom Theater. Manchmal ist es so, dass eine Tür zugeht und sich eine andere dafür öffnet. Ob Wettbewerbserfolge tatsächlich aussagekräftig sind, wenn es um die Befähigung für den Beruf geht, wage ich übrigens zu bezweifeln: Von vielen dieser Preisträger hört man nämlich später gar nichts mehr. Ich finde es viel besser, wenn sich jemand in Ruhe entwickelt und sich nicht beirren lässt.

      Wie würden Sie die Gewichtung zwischen Begabung und Ausbildung quantifizieren? Überspitzt gesagt: Könnte jeder, der ein bisschen Stimme hat und fleißig genug ist, Sänger werden?

      Sicher nicht. Die echte Begabung ist das A und O, und sie setzt sich durch, selbst wenn die Ausbildung an der einen oder anderen Stelle zu wünschen übrig lässt. Wenn jemand wirklich das Sänger-Gen in sich hat – die meisten allerdings landen doch sowieso im Chor –, dann wird er sich auch trotz Widrigkeiten behaupten. Freilich gibt es leider auch Lehrer, die Talente völlig zerstören und fehlleiten können: Die Zahl der Scharlatane unter den Pädagogen und selbst an den großen Musikhochschulen ist nicht zu unterschätzen. Das ist ein heißes Thema.

      Woran merkt man, ob man beim richtigen oder ob man beim falschen Lehrer gelandet ist?

      Zum Beispiel daran, ob man nach dem Unterricht immer heiser ist. Man sollte sich auch nicht von Lehrern zu irgendwelchen Übungen bequatschen lassen, die einen nicht weiterbringen. Und man wird rasch merken, ob man in technischer Hinsicht von seinem Lehrer profitiert. Wenn das nicht der Fall ist, sollte man sich umorientieren. Ich selbst habe mich leider viel zu lange als Medium und Aushängeschild benutzen СКАЧАТЬ